Zimbabwe´s Landreform frisst ihre Kinder

Peter Kuthan, 15.1.2005

Wenn es um die Landreform und gegen die (ehemaligen) Kolonialherren geht, kann Präsident Robert Mugabe auf der Weltbühne internationaler Gipfeltreffen mit respektvollem Applaus rechnen. So geschehen als er sich auf dem Gipfel der Afrikanischen Union im Juli des Vorjahres in Addis Abeba rühmte "über 11 Millionen Hektar gestohlenes Land wiedererlangt zu haben ohne einen Cent dafür zu zahlen". Und auch bei der UNO Generalversammlung im September, wo er die "beschleunigte Reform" als "signifikanten Beitrag für einen wirtschaftlichen Umschwung" des Landes bezeichnete.

Die Realität in Zimbabwe sieht anders aus. Entgegen der Regierungspropaganda wird täglich das ganze Ausmaß des Desasters deutlicher sicht- und spürbar. Ein Land, das - mit beträchtlichen natürlichen und menschlichen Ressourcen ausgestattet - einst der "Brotkorb des Südlichen Afrika" war, kann einen großen Teil seiner eigenen Bevölkerung nicht mehr ernähren und sieht sich mit der Demontage seines tragenden Agrarsektors konfrontiert. Eine Fahrt durch das Land zeigt es unübersehbar: weite Landstriche, die früher agro-industriell bewirtschaftet wurden, sind auf das Subsistenz-Niveau von Kleinbauern zurückgeworfen oder liegen überhaupt brach.

Die gesamtwirtschaftlichen Daten widersprechen dem angekündigten Umschwung ebenfalls: Zimbabwe bleibt weltweit das Land mit der am Schnellsten schrumpfenden Wirtschaft, der höchsten Inflation, einem in wenigen Jahren halbierten Brutto-Nationalprodukt pro Kopf und einem auf über 70% der Bevölkerung gestiegenen Anteil von Menschen, die unter der Armutsgrenze leben.

Der Brotkorb bleibt leer

Die im Vorjahr als Beweis für die erfolgreiche Landreform angekündigte "Superernte" von 2,4 Mill. Tonnen Mais, dem Hauptnahrungsmittel des Landes, ist wesentlich bescheidener ausgefallen. Bis Oktober waren gerade einmal 388 000 Tonnen in die Silos der halbstaatlichen Vermarktungsorganisation GMB abgeliefert worden, aber mindestens 1,8 Mill. Tonnen werden zur Versorgung der Bevölkerung bis zur nächsten Ernte gebraucht. Das UN World Food Programme WFP, das im vergangenen März noch 4,4 Mill. Menschen in Zimbabwe mit Hungerhilfe versorgt hatte, rechnet deshalb bis April mit einem noch höheren Anstieg der Zahl der Hilfsbedürftigen.

Der UN Children´s Fund berichtet einen deutlichen Anstieg von Unterernährung bei Kindern, besonders in den Städten, weil steigende Preise die Lebensmittel für die wachsende Zahl der Armen unerschwinglich gemacht haben. Zuletzt ist Maismehl wieder aus den Regalen verschwunden und ist nur zu horrenden Preisen auf dem Schwarzmarkt zu haben. Nach der jüngsten Verbraucherstatistik würde eine mittlere Familie 1,5 Mill. Zim Dollar pro Monat für das Lebensnotwendigste brauchen, ein Großteil der Beschäftigten verdient aber nicht einmal die Hälfte davon.

Der Kontrast zu Mugabes Statement (SkyNews, Mai 2004) "wir sind nicht hungrig wir wollen nicht gestopft werden, wir haben genug", mit dem er WFP und NGO´s aufforderte woanders als in Zimbabwe hilfsbedürftige Hungernde zu suchen, könnte also nicht schärfer und zynischer sein.

Hungerhilfe als politische Waffe

Inzwischen hat die ZANU-PF Regierung auch wieder die Maisimporte aus den Nachbarländern und Übersee erhöht. Die oppositionelle MDC wirft ihr vor die Knappheit bewusst auszunutzen um die Verteilung von Hungerhilfe besser kontrollieren und bei den bevorstehenden Parlamentswahlen im März erneut als politisches Druckmittel einsetzen zu können. Es häufen sich Meldungen, dass bei den halbstaatlichen GMB Depots Mais nur gegen Vorweis einer ZANU-PF Mitgliedskarte zu haben ist und bekannte Anhänger der Opposition abgewiesen werden.

In anderen Bereichen ging die landwirtschaftliche Produktion nicht minder dramatisch zurück, so ist der Viehbestand innerhalb von vier Jahren von 1,4 Mill. Rindern auf gerade einmal 210 000 Tiere gesunken. Die Tabakernte, früher mit 40% Devisenbringer Nummer eins, bewegt sich vom früheren Rekordniveau von 238 Mill. Kilogramm pro Jahr auf einen Tiefpunkt um die 50 Mill. Kilogramm, also auf weniger als ein Viertel zu.

Landumverteilung im großen Stil

Die jüngste fast track Landreform wurde Ende 2000 mit den so genannten war veterans als Speerspitze eines Third Chimurenga, also eines neuerlichen "nationalen Befreiungskampfs", und mit einer Serie von Farmbesetzungen gestartet. Ein halbes Jahr zuvor hatte Mugabe sein Referendum über eine Verfassungsänderung, die eine entschädigungslose Enteignung von Farmen erlauben sollte, verloren. Sollten die Besetzungen vorerst dieses Misstrauensvotum vergessen machen und so etwas wie einen Volksaufstand der Landlosen signalisieren, so verselbständigten sie sich aufgrund der herrschenden Unzufriedenheit und des wachsenden Bevölkerungsdrucks rasch zu einer ausufernden Bewegung, die am Höhepunkt 1.700 Großfarmen kontrollierte. "Zimbabwe versinkt in Anarchie - siegt der Mob?" war das Echo der ausländischen Medien (Die Presse, vom 18.4.2000), die fast ausschließlich das Schicksal der weißen Farmer im Auge hatten.

Tatsächlich scheuten die Besetzer vor Gewaltanwendung nicht zurück. Aber die schwarzen Farmarbeiter und deren Familien waren davon weit mehr betroffen als ihre weißen Herren. Noch 1999 waren auf den kommerziellen Großfarmen etwa 320 000 bis 350 000 Arbeiter beschäftigt, die mit ihren Hungerlöhnen für mehr als 1,8 Mill. Angehörige zu sorgen hatten. In der Mehrzahl verloren sie durch die Reform nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch Unterkunft und soziale Anbindung, so miserabel die Lebensbedingungen in den meisten Farmsiedlungen auch waren.

Mitte 2003 erstellte das von Präsident Mugabe eingesetzte Land Review Komitee eine Zwischenbilanz: unter dem A2 Schema für kommerzielle Landwirtschaft waren 2,1 Mill. Hektar Farmland an 7.620 Haushalte verteilt worden, also mit durchschnittlich 275 Hektar, was in Zimbabwe einer mittleren Farmgröße entspricht. Unter dem A1 Schema waren es 4,2 Mill. Hektar aufgeteilt auf 127.192 Haushalte, die mit durchschnittlich 33 Hektar hauptsächlich auf afrikanische Kleinbauern zur Entlastung der Communal areas abzielten. Allerdings waren nur zwei Drittel des verteilten Farmlands zu diesem Zeitpunkt auch tatsächlich in Anspruch genommen und bebaut worden, obwohl die Liste der Landsuchenden noch lang war. Von ursprünglich 4500 weißen Großfarmen waren nur noch 1300 in Betrieb. Inzwischen sind es gerade noch 500 und ein Ende der Enteignungen ist nicht abzusehen.

Neuere Daten sprechen von insgesamt 225.000 Haushalten, die 7,4 Mill. Hektar zugeteilt bekommen haben. Verglichen mit den 56.000 Haushalten auf 3,3 Mill. Hektar während der ersten Phase der Reform in den 80er Jahren sind das beachtliche Zahlen, auch im afrikanischen oder internationalen Vergleich. Sie zeigen aber auch einen weiterhin ungleichen und polarisierenden Zugang zum Land innerhalb der schwarzen Bevölkerungsmehrheit.

Subsistenz-Farming statt AgroBusiness?

Die neu angesiedelten Bauern sehen sich trotz großer Anstrengungen fast unüberwindbaren Schwierigkeiten gegenüber. Ende Dezember war deshalb landesweit erst ein Viertel des verfügbaren Landes bestellt - mit entsprechenden Konsequenzen für neuerliche Ernterückgänge. Trotz staatlicher Starthilfen fehlt es an Saatgut, Düngemitteln, Traktoren und Kredit. Von der etwa 700 Traktore starken Flotte des District Development Fund DDF sind noch ganze 300 im Einsatz, für die Mehrzahl fehlt es an Ersatzteilen und Diesel. Jetzt rächt sich für die Kleinbauern auch die über Jahre propagierte Umstellung auf importierte Hybridsorten anstelle des genügsameren und klimatisch angepassten einheimischen Saatguts.

Manche Umsiedler helfen sich selbst indem sie das traditionelle Chibhakera bzw. Zero Tillage praktizieren, wo ohne mechanische Bodenbearbeitung direkt in die im Vorjahr abgeerntete Wurzelzone gepflanzt wird. Und sie helfen sich gegenseitig indem mehrere Familien gemeinsam im Rotationsprinzip die Felder bestellen - das traditionelle, gemeinschaftliche Nhimbe. Viele haben aber ihre Familienangehörigen und sogar Vieh in den Communal areas zurückgelassen, weil der Anspruch auf das neue Land so unsicher ist. Sie haben bestenfalls ein Occupation Permit, das jederzeit widerrufen werden kann. Es ist ihnen nicht einmal gestattet eine feste Behausung zu errichten, geschweige denn ihre Toten zu begraben. Kein Wunder, dass viele Umsiedler die wenigen, verbliebenen Bäume fällen und als Brennholz verkaufen, statt das Land zu bestellen. Oder sie verwenden den Draht der Weidezäune für Schlingen um Wildtiere zu jagen. Abholzung, Bodenerosion und groß angelegte Wilderei nehmen inzwischen in dem Land, das einst für sein Natural Resources Management gerühmt war, das Ausmaß einer ökologischen Katastrophe an.

Umverteilung ersetzt nicht umfassende Agrarreform

Damit wiederholt die fast track Reform die Fehler des ersten Anlaufs in den 80er Jahren: es wird zwar Land umverteilt aber das vom kolonialen, rhodesischen Siedlerregime überkommene Agrarsystem nicht grundlegend sozial und ökonomisch umgestaltet.

Neu ist der radikale Eingriff in die durch den Verfassungskompromiss im britischen Lancasterhouse 1979 über zehn Jahre als unantastbar deklarierten Eigentumsrechte der weißen Großgrundbesitzer. Aber die Ausrichtung auf ein duales, primär auf Export statt auf lokale und regionale Wirtschaftskreisläufe orientiertes Agrarsystem bleibt aufrecht. Damit werden die massiven Input- und Importabhängigkeiten des kommerziellen Farmsektors nicht abgebaut, sondern vergrößert. Die typischen Monokulturen ruinieren weiterhin die natürlichen Grundlagen und biologische Vielfalt der Landwirtschaft - ganz im Gegensatz zum Klischeebild von den weißen Superfarmern. Die rapide gewachsene Zahl der schwarzen Großfarmer und ihrer Geschäftspartner ist inzwischen ebenfalls ein gewichtiges Hindernis für ein Umdenken und eine tiefer greifende Veränderung geworden. Die neoliberal ausgerichtete Strukturanpassung und die terms of trade der Welthandelsabkommen stellen die Weichen im internationalen Kontext ebenfalls gegen eine nachhaltige Reform.

Der Staat hält die Umsiedler völlig rechtlos und behält sich die totale Kontrolle über das Land vor. Es gibt völlig unzureichende Unterstützung und kaum Zugang zu den vergünstigten landwirtschaftlichen Inputs und Krediten, wie er für die weißen Großfarmer jahrzehntelang selbstverständliches und auch nach der Unabhängigkeit unangetastetes Privileg war. Es gibt keine Vorkehrungen für eine funktionierende Infrastruktur und für gemeinschaftliche Produktions- und Sozialeinrichtungen. Die sozio-kulturelle und spirituelle Bedeutung von Land und Landschaft wird zwar politisch ausgeschlachtet, im Kern aber missachtet. Der vordergründige Nationalismus ist angesichts der Preisgabe eines wirklich sorgfältig geplanten und auf nachhaltige Selbständigkeit ausgerichteten Weges der Agrarreform zur hohlen Phrase verkommen. Das politische Kalkül des blanken Machterhalts tritt zunehmend ans Tageslicht. Die vermeintlichen Nutznießer werden zu Opfern, die Landreform frisst ihre Kinder.

Tatsächlich sehen sich inzwischen viele Landbesetzer mit ihrer eigenen Vertreibung konfrontiert, so die 1500 wilden Siedler, die im September 2002 die Little England Farm in Mashonaland West besetzt hatten. Die Farm soll jetzt geräumt und nach dem A2 Schema auf lediglich 51 mittlere Einheiten aufgeteilt werden. Die Zustelladresse der Nutznießer ist laut Gerichtsakt in 19 Fällen Präsident Mugabe´s Statehouse. Es handelt sich also um seine Hausangestellten und sicher nicht die qualifizierten Masterfarmer, die früher als Auswahlkriterium für A 2 proklamiert wurden.

Das sind aber nur die kleinen Fische. Im Zuge des innerhalb der ZANU-PF ausgebrochenen, erbitterten Machtkampfs um die Nachfolge Mugabe´s und um die weitere Plünderung der Ressourcen des Landes werden auch unter den großen Köpfen die Messer geschliffen. Nachdem der große Land grab, das Zusammenraffen von Farmen durch die politische Elite allzu offenkundig geworden ist, mussten angesichts der im März bevorstehenden Wahlen und unter der Flagge der "Korruptionsbekämpfung" (maximal eine Farm für VIP´s ) etliche Minister und Parteifunktionäre überzählige Farmen wieder räumen, so Außenminister Mudenge, Local Government Minister Chombo und etliche andere Prominente, die aber alle der im Nachfolgerennen angeschlagenen Mnangagwa Fraktion zugerechnet werden. Das Lager hinter der neuen Vizepräsidentin Mujuru blieb hingegen bisher unbehelligt, obwohl sich dort etliche mehrfache Großgrundbesitzer wie der Provinzgouverneur von Matabeleland Nord Mpofu tummeln.

Landfrage bleibt virulent

Die politische Hauptverantwortung für den Weg ins Desaster und in die verlängerte Hungerkrise trägt sicher die Regierung Mugabe und seine ZANU-PF. Aber auch die weißen Großfarmer haben - offenkundig unter dem Glassturz der angebotenen Versöhnung, von Verfassungsgarantien und Privilegien - zu lange die Augen vor ihrer Mitverantwortung verschlossen. Auch die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien kann sich nicht ihrer Verantwortung und überfälligen Kompensation für die koloniale Landnahme, die um ein vielfaches grausamer war als die jüngsten Vertreibungen, entschlagen. Schließlich trägt auch die internationale Gemeinschaft Mitverantwortung - für die Folgen der Schuldenpolitik und Strukturanpassungsrezepte ihrer Finanzinstitutionen genauso wie für die diskriminierende Handelspolitik.

Die Landfrage ist im ganzen Südlichen Afrika virulent und von großer Bedeutung, das zeigt nicht nur der eingangs erwähnte Applaus für Mugabe, der in den Nachbarländern besonders stark ausfällt. Geht es doch um die Nahrungsmittelsicherheit und die Positionierung der ganzen Region im Kontext der globalen Neuordnung der Wirtschaftsbeziehungen. Die gegenwärtige Krise in Zimbabwe ist - bei aller Gefahr einer weitergehenden Zuspitzung und Militarisierung des Konflikts - auch eine Chance für eine neue Orientierung und Aufstellung der Kräfte. Sowohl im lebhaften Diskurs im Internet wie auch im Konflikt um eine aus Harare abgeschobene, südafrikanische Gewerkschaftsdelegation zeigen sich Ansätze zu neuen Perspektiven und Allianzen, vielleicht auch quer zu den gegenwärtig verhärteten Fronten.