Bis auf den tiefsten Grund ohne Inhalt und Sinn. Aper bis in den Abgrund. Bar aller Pfründe, aller Kronländer und Kröten. Hürden umstellt. Nie gebricht es dem Herrn Kerner an Mangel, immer an Möglichkeiten. Es erleidet einen Verlust der Mittel. Diese fade Wiederholung. Die kennt der Herr Kerner in- und auswendig. Und sie ihn. Immer im Schatten der Auslagen stehen. Hinner hilf! sinniert unerlaubt der Herr Kerner. Noch heute muß er als Haupttreffer aus der Schürfkunst hervorgehen. Noch heute muß er heraus aus der drückenden Schwüle der Umstände. Der Herr Nothelfer. Hinner hilf! Spricht die Inbrunst. Der Herr Kerner kennt sie gar nicht. So ummantelt ihn die Not. Die höhere Ordnung zieht den Herrn Kerner an. Man muß sie nie aufräumen. Sie steht jederzeit bereit. Zur Benutzung. Zur Verhunzung. Für den Nuntius ebenso wie für den Neophyten. Jederzeit. Man läßt sie derangiert stehen. Sie mault nicht. Die Ideale finden allein zurück an ihren Platz. Sie sind nicht aus einem Stoff. Sie sind etwas Ätherisches. Abzählen! Da stehn sie im Gleichschritt. Sie warten auf den Herrn Kerner. Sie lächeln. So gebildet sind sie. Sie stolpern nicht in der Wirklichkeit herum, wenn sie nicht erwünscht sind. Das unterscheidet sie von der guten dürren Anna und der Tauroggener Edith. Die stehen immer an unerwarteten Punkten in der Lebensbahn. Sie meinen, sie sind eine Station. Der Herr Kerner will aber nicht an jedem Bahnschranken halten. Er will vorbeiziehen, wenn er will. Die Ideale brauchen keine Wäsche, keine Pflege, kein Regal, keinen Platz. Im Gebirge sind sie so präsent wie der Berg, den man sieht, während man die Ideale nicht sieht. Der Berg ist ihr bescheidenes mondiales Generalkonsulat. Die Abenteurer konsultieren sie; Kondulenz! Ein Ideal hat selten Sprechstunde. Es kommt ohne Koordinaten und Registraturen aus. Es ist deshalb schwer zu orten. Man weiß nicht, wo diese Münze geprägt wird. Ihre Haltbarkeit ist ungewiß. Ihr Wert als Zahlungsmittel stark schwankend. Das Ideal schlummert in jedem Menschen. Man muß ihm nur rechtzeitig den Wecker stellen. Morgenstund hat Gold im Mund. Das Ideal neigt zur Flucht. Macht Flüchtigkeitsfehler. Ja nicht frei flottieren lassen! Zusammenstutzen, die Rotte. Viele Köche verderben den Brei, muckt der Herr Kerner auf. Da wird nichts wuchern! Kein Ideal. Kein Regelfall. Hier wuchtet der Herr Kerner die Gegenmaßnahmen ans Licht. Seine wichtigsten Beteuerungen zucken aus ihm hervor. Das Biertrinken. Der Steuerbetrug. Der Seitensprung. Die Vorteilsannahme. Die Unterschlagung. Alle Unterlagen hat der Herr Kerner vernichtet. Aus seinen Fugen dringen Bedenken. Er ist die Beute von Flur und Anger. Flucht und Angst hat er in sich eingeschweißt. Schwäche darf sich der Herr Kerner heut nicht erlauben. Schwächen schwächen die Moral der Truppe. Erst recht die Ordonnanz. Der Herr Hinner erscheint einzeln. Das stärkt seine Führungsqualität. Er ist ledig. Bestimmt. Eine Familie ist einerseits gut, weil sie ruht. Als Gebirgseigenschaft ist sie schlecht, weil sie schwächt. Den Einsatz Eifer in Gefahr und höchster Not. Morgenrot bringt frühen Tod. Den Herrn Hinner kann keine eigene Familie in den Kerker stoßen. Er kennt keinen solchen Abgrund, in den der Familienvorstand Kerner unversehens stolpert. In seinem Familiengrab, dem Herzen, verbirgt der Herr Kerner diese Auswüchse. Nachts, quasi im Schluckauf, entschlüpft ihm diese undankbare Riege. Für wen tut der Herr Kerner denn alles? Für Familie und Oberhaupt! Diese Brut steckt ihm den ganzen Tag unter der Haut. Und juckt. Und triezt. Bis er sie nicht mehr erträgt. Wie diese Unausgeglichenheit auffällt mitten in der unerschütterlichen Balance des Bergmassivs! Die Fahne des Versagens pflanzt sich auf der Halde auf. Wimpelt dem Herrn Hinner entgegen. Der Herr Bergführer ignoriert das Menetekel. Eine Bergfreundschaft hält was aus! Der Herr Hinner weiß nicht, was eine Familie heißt und wohin sie einen treibt. Der Herr Hinner ist eine feste Größe. Er ist der Regulator der Ströme und Kreuzungen. Lenker und Henker der Bergleidenschaft. Er ist Vorsteher, Aufseher. Er paßt schon auf den Herrn


 
Elfriede Czurda
 
  Elfriede Czurda: Kerner  
Elfriede Czurda
 
 

Elfriede Czurda. Kerner. Ein Abenteuerroman.
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1987, S. 78-80.




 
 
 


Elfriede Czurda

Elfriede Czurda wurde 1946 in Wels, Oberösterreich geboren. Studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Salzburg und Paris. Nach längeren Aufenthalten in London, Paris und Wien zog sie 1980 nach Berlin. Seit 1975 ist sie Mitglied der Grazer Autorenversammlung. Mit ihrer ersten Textsammlung „Ein Griff = eingriff inbegriffen“ (1978) markierte sie ihren literarischen Weg.