1. Mai: Ausbruch aus dem Arbeitsgefängnis


Die Arbeit selbst führt in die Irre, sobald man/frau von ihr redet, sie zu verstehen glaubt. Sie hat eine empirische Vielfalt, so viele angedichtete Eigenschaften, Wirksamkeiten, Folgen, dass man/frau ihr Wesen, ihre Logik nicht erfasst. Der größte Unfug, wenn über Arbeit geredet wird, sei gleich eingangs erwähnt; ihre ontologische Aufblähung, ihre Rückprojektion auf andere Gesellschaften, Ausdehnung auf die ganze Menschheitsgeschichte, ihre Naturalisierung; wenn von Arbeit geredet wird, so kann nur von Arbeit in dieser Gesellschaft, im Kapitalismus gesprochen werden, weil es vorher keine Arbeit gab, die mit der Arbeit im Kapitalismus vergleichbar wäre, niemals eine derartig halluzinogene Wirkung hatte wie in diesem System und insbesondere in der jetzigen Phase. Die Arbeit existiert nur dort, wo das Geld die übliche Form gesellschaftlicher Vermittlung ist.

In den meisten Diskursen über die Arbeit geht es um ihre Bezahlung, gerechten Lohn, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Menge, Zeit, Intensität, Qualifikation, Fluch oder Identität, Leistung, psychischen Folgen, Mitbestimmung, Muße, Freizeit, Faulheit usw. aber nie darum, dass sie als Ganzes aufgehoben gehört. Dabei tritt meist geistige Kurzatmigkeit auf, weil man sofort fragt, wie sollen wir sonst leben. Und spätestens bei diesem Kurzschluss, müsste einem auffallen, wie befallen das Leben mit der Arbeit ist, wie sehr die Arbeit das Leben in Geiselhaft hält.

Friedrich Engels schreibt schon Mitte des 19. Jahrhunderts: „Nichts ist fürchterlicher, als alle Tage von morgen bis abends etwas tun zu müssen, was einem widerstrebt. Und je menschlicher der Arbeiter fühlt, desto mehr muss ihm seine Arbeit verhasst sein, weil er den Zwang, die Zwecklosigkeit für sich selbst fühlt, die in ihr liegen. Weshalb arbeitet er denn? Aus Lust am Schaffen? Aus Naturtrieb? Keineswegs. Er arbeitet um des Geldes, um einer Sache willen, die mit der Arbeit selbst gar nichts zu schaffen hat“.

Die ganze Welt ist zu einem Arbeitsgefängnis geworden. Und wenn man/frau in einem Gefängnis ist, will man/frau normalerweise raus; dazwischen geht es sicherlich auch darum, den Aufenthalt drinnen angenehmer zu gestalten, nicht der letzte Dreck sein zu müssen, aber letztendlich will man/frau die Mauern überwinden und die Schlösser knacken, wenn man/frau nicht ganz bescheuert werden will. Nur in den seltensten Fällen ist der herkömmliche Gefängnisaufenthalt lebenslang, sondern begrenzt, das Arbeitsgefängnis ist aber lebenslang und irgendwann richtet es man/frau sich so häuslich als möglich darin ein und arbeitet mit der Anstalt zusammen. War das im fordistischen Zeitalter noch eher möglich, so wird das Leben im neoliberalen Gefängnis für die meisten sehr ungemütlich, nervig, aufgekratzt, mit der dünnsten Suppe abgespeist, von den anderen aggressiv angepöbelt, gemobbt; am liebsten ist ihnen, wenn man/frau still und leise im Eck verreckt und sich am besten in Luft auflöst.


Arbeit wurde Diesseitsreligion

Die Arbeit ist wie die Hostie im Christentum; wie die Hostie die Realpräsenz Gottes im Menschen halluziniert, Gott quasi in den ganzen Menschen „einfährt“ und nicht nur manchmal außen von oben zuschaut, sondern Dauerpräsenz im Menschen einnimmt, die göttliche Beobachtung in den Menschen selbst verlegt und ihm selbst auferlegt, – so ähnlich ist es auch mit der Arbeit geworden. Am Anfang des Kapitalismus von außen mit Zwang eingebläut, die Menschen für die Arbeit mit Gewalt zugerichtet, mit liberalen Betrugsphrasen schöngeredet, fuhr sie analog zur Hostie in den Menschen ein und sitzt nun im Menschen selbst drinnen, und halluziniert die Realität zu einer Diesseitsreligion. War die Arbeit wie im fordistischen Zeitalter des Kapitalismus noch halbwegs auf die Produktion ,auf einen eigenen Bereich eingehegt und hat die Freizeit und das andere Leben noch einigermaßen in Ruhe gelassen, so quoll sie im neoliberalen Zeitalter, der jetzigen Phase des Kapitalismus, über und machte alles zur Arbeit. Sie ist das Organisationsprinzip für die ganze Gesellschaft, für das ganze Leben geworden. Die Arbeit als gesellschaftliches Organisationsprinzip, als eine Grundkategorie des Kapitalismus, ist wie ein geruchloses Gas, das überall eindringt, vor dem man/frau sich auch nicht einfach sinnlich schützen kann, weil man/frau es erst dann spürt, wenn es schon in einem eingedrungen ist. Die Arbeit ist ein ungeheuerliches Entsinnlichungsprojekt, alles, was unter ihr Vorzeichen gerät, wird durch ihr abstraktes Organsiationsprinzip und ihrem Fetischcharakter in Verwertungsobjekte verwandelt, egal ob Mensch, Gesellschaft, Natur, Umwelt; das unmittelbare sinnliche Spüren ist weg, – im Pseudopathos und aufgesetzter Gefühlsduselei soll die Sinnlichkeit im nachhinein wieder angedichtet werden.

In der Panik, dass die Arbeitskraftverwertung immer schwieriger, immer unrentabler wird, weil die wertproduktive Arbeit, die eigentlich den Mehrwert schafft, immer mehr wegschmilzt, kommt der introjektierte Arbeitsfetisch mit der neoliberalen Konkurrenzpeitsche und fordert, die totale Unterwerfung des Lebens unter die Arbeit, lebenslanges Lernen für die Arbeit, die Umwandlung der Freizeit zum Fitnesstudio für die Arbeit, die Verwandlung der Sprache in ein in betriebswirtschaftlichen Begriffen und Wörtern verkümmertes Leistungskauderwelsch, die Verwandlung der Kinder als potentielle Arbeitsmatrizen.

„Erst das Auseinanderfallen von Produktion und Konsumtion, die anonyme Tätigkeit für den anonymen Markt ohne bewusste Verständigung über den inhaltlichen Sinn und Zweck, getrieben von den Zwängen der Konkurrenz macht die Tätigkeit aller Beteiligten zur ‚abstrakten‘ Arbeit“. (Robert Kurz) Man/frau darf sich von der konkreten Seite der Arbeit, dass verschiedene Waren verschiedene unterschiedliche Fertigkeiten, Tätigkeiten, Wissen, Produktionsvorgänge brauchen, nicht blenden lassen, so als wäre das die gute Seite der Arbeit, entscheidend und bestimmend ist aber ihre abstrakte Seite, die Verausgabung abstrakter Arbeitskraft, Energie (Herz, Muskel, Nerv) in quantitativer Zeit gemessen, die die Quelle des Werts darstellt, der wiederum zu Geld gemacht werden kann, wenn die Ware in der Zirkulation, auf dem Markt verkauft werden kann.


Absolutes Ende des Kapitalismus

Marx hat den Widerspruch des Kapitalismus und damit verbunden sein absolutes historisches Ende klar benannt: „Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch, dass es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andererseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt“. Die weitere Ausdehnung des kapitalistischen Systems ist absolut nicht mehr möglich, der Globus hat Grenzen, die Leidensfähigkeit des Menschen, der Natur, der Umwelt ebenfalls, was aber auch deren Untergang miteinschließt. Konnte in der fordistischen Phase des Kapitalismus, die Verringerung der Mehrwertrate durch Ausdehnung der Produktion, Stichwort Globalisierung, kompensiert werden, so ist dieser Ausweg nun versperrt; das ist das absolute Ende des Kapitalismus, was eher nicht heißt, dass dies morgen oder in einem fulminanten Crash stattfindet, sondern sich wie ein epochaler Niedergangsprozess dahinzieht, der seine Spuren der Verwüstung hinterlassen wird und – bis die Arbeit als kapitalistisches Organisationsprinzip verschwunden ist. Die finanzkapitalistsiche Aufblähung ist nur ein scheinbarer Ausweg aus der Verwertungskrise des Kapitals, indem riesige Mengen fiktiven Kapitals angehäuft werden, die die bisherige Produktion noch schneller zerstören, und sich in einem immer schnelleren Tempo selbst entwerten. So obszön einem die kapitalistische Finanzwelt vorkommen mag, ist sie ein funktional abgeleiteter Teil des Systems und nicht deren verselbständigtes unbändigbares Monster.

Der 1. Mai sollte ein Ausbruchstag aus dem Arbeitsgefängnis sein, nicht ein Huldigungstag oder gar ein Fürbittag im Gefängnis.

MedieninhaberIn, HerausgeberIn:
Gruppe Ausbruch, Franz Primetzhofer, 4311 Schwertberg, Winden 14