Torbjorn Moen: Die Küsse von tollen Frauen.
Sauerländer 1996, S. 152 - 158
Nach einer Stunde waren Trond, Janni und Lukas fertig
mit der Blödelei, und Trond seufzte tief und ernst,
stellte die Colaflasche weg und fragte, ob wir uns
vielleicht mal einen Namen für die Band überlegen könnten –
dafür wären wir schließlich hier.
„Ich weiß einen", Lukas strahlte. „Klein-Promille und die
Ruhelosen – das ist doch fesch, oder?"
„Himmel!" sagte Janni entsetzt. „Wir können doch nicht
Klein-Promille und überhaupt heißen, das ist genauso
bescheuert wie Car Crash:"
„Ich find´s aber toll", sagte Lukas und sah Janni sauer an.
„Wie wär´s mit Stalinorgel?" fragte Trond ziemlich nachdenklich.
„Hört sich an wie eine Heavyband", sagte Janni.
„Du, Casanova", sagte Lukas und zeigte mit der Cola auf
mich. „Hör auf zu knutschen und hol dir lieber was zum
Schreiben, das scheint hier der pure Brainstorm zu werden."
Pflichtschuldigst befreite ich mich aus Sirens warmer
Umarmung und sah mich verwirrt um. Etwas zum Schreiben?
Mal sehen...
Mir fiel mein grüner Notizblock ein – der, den ich dem
Schriftsteller geklaut hatte. Mit einem Stöhnen stand
ich auf, wanderte zum Kleiderschrank, fand den Block ganz
hinten unter meinen Turnsachen und dem riesigen Puzzlespiel,
das Tante Margareth mir zu Weihnachten geschenkt hatte, riß
vorsichtig eine dünne, karierte Seite heraus, suchte mir
auf meinem Schreibtisch einen brauchbaren Kugelschreiber
und ließ mich wieder aufs Bett fallen. „Was habt ihr noch
gesagt?" fragte ich und biß in den Kugelschreiber.
„Klein-Promille und die Ruhelosen", diktierte Lukas, und
ich notierte: „Und Stalinpakt."
„Nein, Stalinorgel", sagte Trond.
Ich schrieb alle drei Namen auf.
„Wie wär´s mit First Choice?" fragte Janni mit fürchterlich
gerunzelter Stirn. „Oder vielleicht First Dance oder so."
„Nee!" sagte Trond unzufrieden, während ich schrieb. „Wir
brauchen was Norwegisches."
„Was Norwegisches?" Janni lachte. „Wie Kuh und Kabeljau,
meinst du?"
„Kuh und Kabeljau?" Lukas schüttelte den Kopf. „So was hab
ich noch nie gehört." Er trank einen Schluck Cola. „Wie
wär´s mit The Crockes?"
„Wie schreibt man das?" fragte ich und blickte vom Papier
hoch.
„Keine Ahnung", sagte Lukas.
„Ja, aber..." fing ich an.
„Ja, vielleicht", fiel mir Trond ins Wort. „Vielleicht
sollten wir uns ganz einfach Ja, aber nennen."
„Dann glauben noch alle, wir dudeln nur so vor uns hin", sagte
Janni und hob den Finger steif in die Luft. „Und das tun
wir trotz allem nicht, auch wenn es sich manchmal so anhört."
„Stoecker Bergami", las Lukas von einem Plakat an der Wand
vor. „Stoecker Bergami."
„Dann kapiert garantiert kein Mensch, wie unser Name
geschrieben wird", sagte ich und drehte mich zu dem Plakat
um, weil ich wissen wollte, wie Stoecker geschrieben wurde.
„Wir können auch eins von unseren Stücken nehmen", sagte
Trond. „Das tun doch viele."
„Was denn zum Beispiel?" fragte Janni.
„Na ja", Trond zuckte mit den Schultern. „Küsse von tollen
Frauen zum Beispiel."
„Tolle Frauen." Lukas nickte.
„Frauenküsse", sagte Siren.
„Die tolle Frau und die Jungs" schlug Trond vor.
„Die tolle Frau und die miesen Jungs", sagte Janni.
„Robert?" Plötzlich stand der Schriftsteller in der Tür
mit wild abstehender Dichtertolle und Elvisfedern am hellgrauen
Pullover. „Telefon für dich."
„Telefon?" Ich hatte es gar nicht läuten hören, vor lauter
Brainstormkrachen, aber wenn der Schriftsteller das sagte,
mußte es wohl stimmen – in der Hinsicht war mein Vater
eigentlich ganz zuverlässig. „Na gut." Ich legte den
Kugelschreiber weg, quetschte mich unter Fluchen und
Stöhnen an Jannis Beinen vorbei und latschte mit Riesenschritten
auf den Flur, während es in meinem Zimmer weiter Namensvorschläge
hagelte.
„Angst" hörte ich Trond rufen, als ich den Hörer aufhob und
„Hallo" hineinfallen ließ.
„Hallo – hier ist Rena."
„Hä?"
„Hier ist Rena Eilertsen."
Ich klimperte mit den Augen. Rena.
„Ich hab mir gedacht", ihre Stimme kam von weit her,
wie bei einer schlechten Verbindung, „du hast doch gesagt,
wir könnten mal ins Kino gehen."
Mein Hals war wie zugekleistert. „Ja", quetschte ich aus mir
heraus und merkte, daß mein Herz plötzlich hysterisch losdröhnte
und hämmerte. Ich sprach mit Rena!
„Willst du das wirklich?"
„Ja – ja, klar!" Unter meiner Haut kratzte und stach etwas,
als ob ich unter dem Fell einen Wollpullover anhätte.
„Wollen wir – ja, wollen wir morgen mal ins Kino gehen?"
Meine Augen starrten mich kugelrund aus dem Spiegel an. Sie
schienen mir aus dem Kopf fallen zu wollen.
„Robert?"
„Äh, ja, ja sicher."
„Im Saga laufen ein paar gute Filme", hörte ich aus dem Telefon."
Vielleicht sollten wir uns einfach da treffen und uns dann
einen aussuchen?"
„Ja, ja, ja – toll!" Ein Schweißtropfen fand sich unter meiner
Nase ein, rollte langsam und leise über meine Oberlippe und
dann in meinen Mundwinkel. Es schmeckte salzig.
„Sagen wir die Vorstellung um sieben?"
„Ja, sieben ist gut", sagte ich, und nun schlug mir das Herz
bis in die Fingerspitzen.
„Dann treffen wir uns gegen sechs", sagte sie nun. „Damit wir
noch Karten kriegen, meine ich."
„Ja, sechs ist gut." Ich schluckte – mir wäre fast der Hörer
aus der Hand gefallen. „Aber was ist mit Olav?"
Am anderen Ende wurde es ziemlich still. Ich hörte nur, daß
sie atmete – hörte, wie die Luft aus ihrer Lunge langsam aus
den runden, wunderschönen Nasenlöchern stömte, über die
blanken Leitungen der Post durch die Stadt segelte und hier
bei mir zu Hause auftauchte, tief in meinem Ohr. „Ich scheiß
auf Olav", sagte sie, und jetzt klang ihre Stimme ein bißchen
heiser. „Erwähn den bloß nicht mehr!"
„Nein, nein", sagte ich schnell. „Nein, dann nicht."
„Dann bis morgen, ja?"
„Ja", ich nickte.
„Um sechs?"
„Hmmm", sagte ich.
„Dann mach´s gut", sagte sie.
„Mach´s gut", sagte ich und hörte es am anderen Ende klicken.
Sausendes Schweigen. Rena. Mein Herz hämmerte noch wilder,
mein Gesicht brannte – das Echo ihrer Stimme füllte meine
Ohren wie ein heißer, rauschender Gesang aus einem Sommer
vor viel zu langer Zeit. Ich starrte in den Spiegel, musterte
mich von Kopf bis Fuß, und dann fiel mir ein, daß auch ich
auflegen mußte. Rasch versuchte ich, den Hörer auf die Gabel
zu legen, aber meine Hände zitterten viel zu sehr; ich schmiß
mit lautem Krach das Telefon um und sah zu, wie der Hörer hin
und her wippte, wie das Pendel der Uhr bei meinen Großeltern.
Ich war hypnotisiert.
„Der Schrei", sagte jemand in meinem Zimmer.
„Geheul", sagte jemand anders.
Reiß dich zusammmen, dachte ich, du hast Besuch.
Ich biß mir auf die Lippen, rang die Hände wie einen
Scheuerlappen und schüttelte einige Male heftig den Kopf,
um meine Gedanken wieder auf Trab zu bringen. Dann bückte
ich mich langsam und hob den Hörer auf, konnte endlich
auflegen, und dann wanderte ich wie ein Zombie zurück
in mein Zimmer.
„Egg and the bacons"; sagte Lukas, als ich hereinkam. „Oder
vielleicht Hot Dogs with Mustard."
„Warum nicht einfach Eine halbe Scheibe Graubrot mit Käse?"
lachte Trond. „Oder The Eintopfs."
Janni blickte zu mir hoch. „Wer war das denn?"
„Der Schädel", log ich drauflos und setzte mich wieder zwischen
sie und Siren. „Das war nur der Schädel."
Siren streckte die Hand aus und streichelte sanft meinen
Handrücken. Sie lächelte. „Und was wollte er?"
„Quatschen." Ich versuchte, Lächeln und Streicheln zu
erwidern. „Der Schädel wollte bloß eine Runde quatschen."
„Small Talk", sagte Lukas.
„Also, ich finde The Eintopfs scharf", sagte Trond.
Ich ließ mich zurücksinken, legte den Arm um Siren und
drückte sie an mich – sie durfte mir nichts anmerken, ich
durfte meine Maske nicht fallen lassen. Die anderen warfen
mit einem schwachsinnigen Gruppennamen nach dem anderen um
sich. Ich schrieb nicht mehr mit – ich überlegte mir, wenn
ihnen ein brauchbarer Name einfiele, dann würden sie sich
den ohnehin merken. Außerdem mußte ich viel zu heftig an
andere Dinge denken. Ich mußte mir nämlich eine Ausrede
ausdenken, um morgen das Üben schwänzen zu können.
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