Coole Idioten
Gerade hatte ich angefangen, mein Äußeres radikal zu verändern.
Durch dies und das glaubte ich nicht mehr, daß mein spätpubertäres
Aussehen schwerste revolutionäre Gesinnung zur Schau stellte und darüberhinaus
kam mir genau diese Gesinnung nach und nach abhanden. Der bauchlange Jesusbart
und die hüftlangen Haare verschwanden, die Latzhosen landeten in der
Mülltonne. Meine Verbürgerlichung begann mit Riesenschritten.
Als ich mich endlich entschloß Musiker zu werden, mutierte Rilke kontinuierlich
vom bourgeoisen Arschloch, der von der Würde der Armut faselte, zu
einem Sprachkünstler: "Der Tod ist groß. / Wir sind die
Seinen / lachenden Munds. / Wenn wir uns mitten im Leben meinen / wagt er
zu weinen / mitten in uns." las ich - nun unverhohlen berührt.
Da krachte ein hyperaktiver SJler in mein Leben, den ich schon aus Schulzeiten
kannte. Martin Winkler kritisierte rücksichtslos meinen bürgerlichen
Lebensstil, vielmehr noch meine - seiner Meinung nach - ebensolche Geisteshaltung,
und besonders meine elitären Kunstansichten. Entgeistert war ich, denn
ich selbst sah mich als exakten Gesellschaftskritiker. Man kann sich vorstellen,
daß wir inzwischen enge Freunde geworden sind. In einem ganz und gar
bürgerlichen Sinn. Dieser knallharte Basisarbeiter, von einem bewundernswerten
Sendungsbewußtsein getragen, brachte mich in die Höhle des Löwen:
Die Kapuzinerstraße sechsunddreißig.
Der Geist sozialistischer Tradition seit den Zwanziger Jahren wehte hier,
Arbeitsgruppen für alles und nichts in bester Post-Achtundsechziger-Manier.
Die Sozialistische Jugend, Vorhut und Gewissen der Partei, gütig getadelt
von Bruno Kreisky, bereitete hier Regionalrevolutionen vor, die schon nach
der dritten Gruppensitzung ob der inneren Grabenkämpfe in sich zusammenbrachen.
Ich war begeistert. Der Kapitalismus wurde beinhart analysiert, was ich
in meinem Nebenbeivolkswirtschaftsstudium vergeblich fortzusetzen versuchte,
seine Verwerflichkeit minderte dies allerdings in keiner Weise. Gesellschaftskritik
auf breitester Front wurde geübt, Sitzungen in unglaublicher Beharrlichkeit
stundenlang gedehnt, bis alle - den Kopf auf dem Tisch - einzuschlafen drohten.
Wer länger durchhielt, hatte schon einen Teilerfolg errungen.
Doch offensichtlich war der Keim der Bürgerlichkeit tief im Innern
meiner Seele auf so fruchtbaren Boden gefallen, daß ich in diesem
Hause immer verschreckter wurde. Die meisten hielten Wolf Biermann und Mikis
Theodorakis für große Künstler, maßen den künstlerischen
Wert nach mir unverständlichen Kriterien. Trotzdem hielt ich einen
Kurs für angehende Musiker, informierte in Sozial- und Rechtsangelegenheiten.
Doch wurde mir immer klarer, daß der Anspruch der Massen auf Kultur
- wie er hier verstanden wurde - den Verlust des Anspruches auf eine Gage
für die Musiker bedeutete. Keine guten Berufsaussichten, dachte ich
mir in einer Diskussionsrunde über Sexualmoral. Das Axiom der Treue
sei ein bürgerliches Relikt, ein Unterdrükkungsinstrument, schmetterten
alle in Begeisterung, die Augen glänzend ob der individuellen Phantasien.
Keine guten Privataussichten, dachte ich mir. Irgendwann bin ich dann nicht
mehr hingegangen, trotz telefonischer Anmahnung meiner ideologischen Treue.
Nach neunzehnhundertdreiundachtzig oder -vierundachtzig vergaß ich
die Kapu.
Doch schleichend bekam ich immer mehr Informationsmaterial von Menschen
zugesandt, die ich nicht kannte, über Konzerte von Gruppen, die ich
nicht kannte, in einer Sprache, die ich nicht verstand. Kurz, nichts sagte
mir etwas. Erst kontinuierlich wurde mir - besonders im Cafe Aquarium in
der Altstadt - bewußt, daß sich eine Form der Invasion aus der
Kapu anbahnte. Eine Welle von jungen Wilden schwappte in die Stadt, die
nicht mehr zu übersehen war: Uniform schwarz gekleidet, bepackt mit
martialischen Accessoires, viele mit selbst zugefügten Verletzungen:
Löchern in allen möglichen Körperteilen, um Ringe anzubringen
(!). Muß das weh tun, dachte ich mir, an der Bar des Aquariums vor
meinem Bier hängend. Der Gesangsstil der von den Martialischen verehrten
Gruppen erinnerte mich anfangs an die akustischen Ergebnisse der Urschreitherapie.
Später erkannte ich allerdings, daß der Vergleich nicht so abwegig
ist. Außerdem gefiel mir die Musik dann ab und zu sogar.
Jahre zuvor hatten sich Insassen und Besucher der Stadtwerkstatt als am
Puls der Zeit und vor allem als cool empfunden - ich mitten drin, mich allerdings
selten cool fühlend. Die Schwarzgekleideten allerdings hatten nichts
mit meinem Verhaltenskodex zu tun: Sie grüßten nicht einmal!
Im Aquarium wurden mir einige mit der Zeit doch zu bekannten Gesichtern.
Ich versuchte es mit "Seas", "Griasdi" oder "Hallo".
Hyper-cool waren die. Das erste Mal fühlte ich mich als alter Trottel,
also versuchte ich es gleich mit: Servus, Grüß´ Dich ! Nachdem
auch das nichts fruchtete, gab ich auf. Ungegrüßt ging ich rein
ins Aquarium, ungegrüßt ging ich raus aus dem Aquarium. Coole
Idioten, dachte ich.
Dann rief ein "Huckey" oder ein anderer an. Ein Treffen mit einigen
Kapu-Aktivisten, alles Musiker in verschiedenen Bands, wurde arrangiert.
Da ich inzwischen in der Musiker- und Komponistengewerkschaft aktiv war,
wollten sie alles über Urheber- und Sozialrecht wissen. Seitdem grüßten
einige ! Und seitdem wußte ich, daß in der Kapu seit "meiner"
Zeit ein Tohuwabohu an Bands der verschiedensten Musikrichtungen entstanden
ist. Ein Nest der Jungen, eine Spielwiese, ein Laboratorium der Aufsässigen.
Dann ging ich zu einem Konzert von "No Means No". Gut, daß
ich keinen meiner geliebten Anzüge angezogen habe, dachte ich. Überfüllt
der kleine Raum, Gerempel. Aber ich war glücklich über diese drei
Berserker auf der Bühne. Eine Sternstunde der Musik. Aber irgendwie
kam ich mir vor wie Opa. Opa ging dann nie mehr hin.
Peter Androsch