HILLINGERS EU-Tagebuch

13. Oktober

Ein schöner Sonntag. Sonnenschein, ein völkerverbindendes Frühstück mit Polentaschnitten und Ahornsirup und einer kräftigen Tasse Ostfriesenmischung. Wahltag, Wahltag, Wahltag, sagt das Radio wichtig, Stund um Stund der selbe Sermon. Wen man aller wählen kann, sagen sie nicht. Alles nur heiße Luft. Vranitzky wählt in Döbling, die Stenzel in Hietzing oder so, jedenfalls auch in einer sehr noblichen Gegend, der Haider in seinem Bärental. Weil ich ein loyaler Mensch bin, gehe ich auch Kreuzelmachen. Das Nicht-Wählen wäre mir zwar sympathischer. Gerade die EU braucht eine außerparlamentarische Opposition und wozu soll ich wen wo hineinwählen wollen, wo der erstens ohnehin nicht hineinkommt und zweitens wenn er hineinkäme, absolut nichts Relevantes bewirken könnte. Außerdem wäre ich bei Wahlen auch gerne einmal bei jenen, die nicht verschwiegen werden. Mit den Nicht-Wählern beschäftigen sie sich sicher. Zuvor aber fahren wir hinaus in die Herbstluft. An der Donau in Margarethen läuft uns ein Hund zu, der unbedingt Äste apportieren will. Aber bald taucht hinter den Sträuchern sein fischendes Herrl auf und pfeift ihn scharf zurück. Uns schaut er an, als ob wir Chinesen wären. Auf der Donau fährt ein Passagierschiff von Wurm & Köck. Der Anblick tut immer noch weh, in der Silhouette hat das Schiff wirklich etwas von einer Schuhschachtel. Ich denke mir, nichts ist vergessen und verziehen, liebe SPÖ, was unter deiner Herrschaft alles ruiniert, zerschlagen und verklopft worden ist. Das Wählen geht dann schnell. Das Auszählen der Stimmen auch. In meinem Sprengellokal lautet das Ergebnis SPÖ 116, FPÖ 95, ÖVP 42, LIF 6, Grüne 23, Neutrale 4, Handikap 5 und KPÖ 4. Die Wahlbeteiligung lag bei nicht einmal 60 Prozent. Die 4 KPÖ - WählerInnen glaube ich zu kennen, die Grünen haben leicht gewonnen, die ÖVP ist bei uns nie sonderlich stark, die SPÖ hat sich halbiert und die Freiheitlichen sind wahrscheinlich schon überall. Daheim ist wegen der Wahl der Tatort im 1. Programm (das flimmert nicht so), die Wahlberichterstattung halte ich ohnehin nicht lange aus, idiotische Fragen, idiotische Antworten, Verlogenheit, aber alle sind ganz wichtig und es schert keinen, daß es Notstandshilfeempfängerinnen gibt, die 8 Schilling Taggeld bekommen.

14. Oktober

Die Welt steht noch. Beim Autobus die ersten Einschätzungen. "Die Leut sind undankbar", sagt eine Oma mit lila Locken, "unsere Leut sind nicht wählen gangen", sagt ein Opa. Die anderen schauen finster. Nicht-Wähler oder Haider-Wähler? Einen Verfolger kriegt man schnell. Es stimmt schon, daß nicht alle Haider-WählerInnen Nazis sind, aber ich greif auch nicht in die Scheiße, nur weil ich angefressen bin. Zu Mittag ist es dann fix. Am 11. November werden gemeinsam mit den erst zu wählenden finnischen Abgeordneten eine Fernsehmoderatorin, ein Schilehrer, ein Habsburger und ein Liberaler, der als freiheitlicher Verteidigungsminister den SS - Reder per Handschlag an der österreichischen Grenze begrüßt hat, die österreichischen Abgeordneten im EU - Parlament anführen. Alle sind begeistert vom Shooting-Star Stenzel. Wenigstens braucht man sich ihren gehässigen Tonfall nicht mehr im Mittagsjournal anzuhören. Gewählt worden ist sie, so die Analytiker, weil sie bekannt war aus Funk und Fernsehen - und so jeder ihre Nase kennt, die genauso schief ist wie die von Barbara Streisand. Jedenfalls will der Schüssel weiter machen mit dem Aufstellen bekannter Leute: Horst Friedrich Mayer wollte nicht Wiener Bürgermeister werden, aber die Leute von "Willkommen Österreich" könnte er noch fragen und: Thomas Brezina for president! Daß die freiheitlichen Headhunter in der Schiejok-Redaktion unterwegs sind, weiß man ohnehin. Ich hatte einmal einen Chef, der hat gern Kommentare über die Karnevalisierung der Politik geschrieben. Aus informellen Kanälen erfahre ich dann noch, daß die KPÖ mit ihrem Anti-EU-Bündnis 4000 Stimmen dazugewonnen hat. Die glaube ich nicht alle zu kennen.


November 96


wir lesen hören schauen linz