EU-TAGEBUCH MÄRZ '96


23. Jänner

In seiner Zelle im Linzer Polizeigefängnis erhängte sich zwei Tage nach seiner Einlieferung ein 24jähriger Tamile. Sein Asylantrag war abgelehnt worden, er sollte abgeschoben werden. Im Europa mit den vielen großen Freiheiten ist kein Platz für Flüchtlinge aus Sri Lanka und auch im Österreich des Innenministers Einem nicht.

3. Februar

Der Termin für die Wahl zum Europa-Parlament ist fix: 13. Oktober. Und schon macht sich Franz Fischler aus Brüssel wieder wichtig. Er befürchtet wegen des Euro-Frustes eine niedrige Wahlbeteiligung und empfiehlt nach bewährter Manier eine neue Werbekampagne. Im Übrigen habe sich Österreich den Maastricht-Kriterien noch immer nicht genügend angenähert. Warts ab, Fischler.

6. Februar

Das Sparpaket ist fertig. Wahlversprechen haben dabei nach Auskunft der durchwegs männlichen Verhandler keine Rolle gespielt. Auf dem Photo von der Pressekonferenz sieht man, wie sich Vranitzky und Schüssel zugrinsen. Wer am 17. Dezember noch einmal der SPÖ auf den Leim gegangen ist, wird jetzt gescheiter sein. Das Sparpaket ist angeblich sozial ausgewogen, und die Tageszeitungen wollen das auch glauben machen. Sozial ausgewogen heißt, daß Frauen nur mehr eineinhalb Jahre in Karenz gehen können, daß für NotstandshilfebezieherInnen das Geld um bis zu 5000 Schilling gestrichen wird und sie in Zukunft zur Arbeit in sozialen Einrichtungen vergattert werden, daß Gastarbeiter für Kinder im Ausland keine Familienbeihilfe mehr bekommen, trotzdem aber weiter schön brav in den Familienlastenausgleichfonds einzahlen müssen, daß Studenten keine Freifahrten mehr bekommen und so weiter und so fort.

9. Februar

Mehr als 18 Millionen Menschen in der EU sind ohne Arbeit, teilt das Statistische Amt der EU mit. Österreich bildet dabei mit 3,9 Prozent (Dezember 95) das Schlußlicht. Noch.
Neues vom Umweltmusterland. Eine Novelle zum Wasserrechtsgesetz sieht vor, den Nitratgehalt für Trinkwasser wieder auf EU-Standard anzuheben. Österreichs "Wassergesetze" sind strenger als die der EU. Weil aber, auch wegen des EU-Beitrittes, das Geld für Kläranlagen etc. fehlt und man den Bauern das Überdüngen nicht vermiesen will, sollen mehr Nitrate mit dem Trinkwasser geschluckt werden dürfen.

17. Februar

Das Europa-Parlament einigte sich wieder einmal auf einen "vernünftigen" Kompromiß, über den sich auch die Linzer EU-Abgeordnete Graenitz (SPÖ) freut: Entgegen dem Vorschlag der Kommission beschloß das EU-Parlament, die Jagd auf Zugvögel in EU-Mitgliedsstaaten nur bis 31. Jänner zu erlauben. Damit hätten die Lobbyisten der Jäger wie Otto Habsburg eine Niederlage erlitten.

18. Februar

Schlechte Nachricht aus Brüssel. Auch das Anonyme Sparbuch ist nicht EU-konform. Da bleiben wir hart, sagt der Finanzminister. Warten wirs ab.

19. Februar

Franz Fischler verfügt, berichtet das "profil", als einziger EU-Kommissar über zwei Büros. Das Büro in Wien braucht er für "Bürgerkontakte". Weil sich Finanz - und Landwirtschaftsministerium über die Bezahlung der Personalkosten für dieses Büro nicht einigen konnten, sprangen gute Freunde ein: Die Industriellenvereinigung zahlt.

21. Februar

Das Sparpaket ist soweit abgesegnet. In der Frage Karenzzeit für AlleinerzieherInnen hat die SPÖ ihre Frauenministerin angelehnt lassen. Die ÖVP war hart, weil verheiratete Frauen nicht benachteiligt werden dürfen (Schüssel). Es wird aber auch nicht mehr Betreuungseinrichtungen geben, weil es auch die versprochene Kindergartenmilliarde nicht gibt. Nächster Punkt im Koalitionspoker: Der Umgang mit der Neutralität. Die ÖVP will sie gleich abschaffen, die SPÖ ein bisserl später und vielleicht doch nicht ganz.


MÄRZ 96


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