geführt von Eugenie Kain

EU-TAGEBUCH Mai '96


16. März

Die Landwirtschaftskammer weist darauf hin, daß nicht alle Schafe, die als österreichisches Schaffleisch auf den Markt kommen, tatsächlich österreichischer Herkunft sind. Laut EU - Bestimmungen genügt es bei Fleisch, daß es die Identität jenes Landes annimmt, in dem 51 Prozent der Verarbeitung anfallen. In Anbetracht der Osterfeiertage möge der bewußte Konsument also den Stammbaum seines Osterlammes gewissenhaft erforschen, um den österreichischen Schaffleischproduzenten vulgo Bauern keinen Schaden anzutun.

18. März

In den Nachrichten ist es eine kurze Meldung: Schottische Wissenschafter haben einen Zusammenhang zwischen der Rinderseuche BSE und dem für Menschen tödlichen Creutzfeld - Jakob - Syndrom hergestellt.

21. März

Jetzt gibt auch das britische Gesundheitsministerium zu, daß das BSE - Fleisch für Menschen schädlich sein könnte. Rinder - und Menschenhirn zeigen im Endstadium der Krankheit dieselben Auflösungserscheinungen. Rein theoretisch müßten alle britischen Rinder, die mehr als drei Jahre alt sind, geschlachtet und verbrannt werden.

25. März

Die österreichischen Fleischhacker bleiben auf ihrem Fleisch sitzen. Unsere Gesundheitsministerin verspeist deswegen vor laufenden Kameras einen Tafelspitz .Ihr britischer Amtskollege hat vor zwei Jahren aus demselben Grund öffentlich in einen Beef - Burger beißen müssen. In England hat sich nach einer Schrecksekunde die Nachfrage nach Rindfleisch wieder belebt. Das sozialabbaugeplagte Volk nützt die Chance und füllt sich seine Tiefkühltruhen randvoll mit verbilligtem Fleisch.

30. März

EU - Regierungskonferenz in Turin. Der Platz neben Bundeskanzler Vranitzky ist laut Tischkärtchen für einen gewissen Woerner Scheussel reserviert. Eigentlich sollte es um Maastricht, die Währungsunion und um die 18 Millionen Arbeitslosen in der EU gehen. Es geht um den Rinderwahn. Auf dem Menüplan steht Kalb aus dem Piemont. Ergebnis der Konferenz: Ein vorläufiges Exportverbot für britisches Rindfleisch. Die Iraner und Ägypter bekommen weiter ihr Rindfleisch.

1. April

Schön langsam wird die ganze Geschichte über den auf Menschen übertragbaren Rinderwahnsinn bekannt. So funktioniert die freie, sich selbst regulierende Marktwirtschaft. Anfang der 80er Jahre hat Thatcher ganz England privatisiert und dereguliert, auch den Agrarsektor, und ihn so der staatlichen Kontrolle entzogen. Um mehr Profit zu erzielen, wurde rationalisiert, die Produktion gesteigert und sich nach billigerem Kraftfutter als Soja umgesehen. Man verfiel auf Tiermehl. Zu Tiermehl wurden auch die Kadaver der an der Schafskrankheit Scarpie verendeten Schafe verarbeitet.Weil auch diese Verarbeitung möglichst billig sein sollte, wurde die Verbrennungstemperatur gedrosselt. Dem Scarpie - Erreger gelang so der Artensprung . Er löchert seither auch Rinder - und Menschenhirne.

5. April

In Oberösterreich diktiert Billa den Schlachthöfen und damit den Bauern neue Rindfleischpreise. Die Nachfrage ist wegen des Rinderwahnsinns um ein Drittel gesunken und sofort tritt das marktwirtschaftliche Prinzip in Kraft. Ab 9.4. sollten laut Billa die Lieferanten nur mehr rund 33 Schilling pro Kilo für Stierhälften erhalten.

12. April

Die Seele von Stier Peter aus Bad Goisern ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Stier Peter hat ein einigermaßen erträgliches Stierleben geführt. Er fraß Heu und Körner, stand in einem rinderfreundlichen Stall ohne Gitterrost und ließ sich seine blonden Locken zwischen den Hörnern kraulen.
Jetzt stehen seine vier Unterfüße fein säuberlich angelehnt nebeneinander an der Stadltür. Sein Fleisch hängt in zwei Hälften geteilt, sein Fell liegt in einem Schaff. Vor dem EU - Beitritt hätte das Fleisch zum Abhängen bei seinen Besitzern in einem dazu adaptierten Raum bleiben können. Jetzt muß das Fleisch im Kühlwagen ins Kühlhaus, was natürlich zusätzlich kostet.
Im übrigen verschandelt die EU Österreichs Kälber. Genügte früher ein kleiner Metallstreifen im Ohr, wird ihnen jetzt eine Riesenpletsche eingestanzt. Sie schauen aus, als hätten sie einen überdimensionalen Preiszettel am Ohr.
So wird offensichtlich, was sie von Anfang an sein müssen. Eine Ware.



MAI 96

wir lesen hören schauen linz