"Auf der Suche nach den transatlantischen Luftwurzeln der europäischen
- und vor allem auch: der deutschen - Kultur in Amerika bewahrheitet sich
dem Reisenden Wenzel Assmann die These, daß die USA zwar imstande
sind, die ganze Welt über den Einheitskamm ihres "Way of Life"
zu scheren, daß sie nach innen jedoch eine bis heute äußerst
heterogene Kulturlandschaft voller weißer Flecken und schwarzer Löcher
aufweisen. Jene Kadenzen, die von den einzelnen ethnischen Gruppierungen
der Salatschüssel U.S.A. auf die europäische Nationalstaatlichkeit,
der sie einst entflohen sind, angestimmt werden, erscheinen dabei als nach
wie vor utopischer Vielklang, der in krassem Gegensatz zu den engstirnigen
Bestrebungen des während seines sogenannten Einigungsprozesses in lärmende
National- und wütende Kleinstaaterei zerfallenden Europas steht."
Seien wir froh, daß die historische Abstimmung über die amtliche
nordamerikanische Landessprache, wenngleich äußerst knapp, so
doch entschieden und endgültig gegen das Deutsche ausgefallen ist,
beruhigte Wenzel Assmann seine immer noch gegen Arno Schmidt und dessen
im Ruhrpott-Slang parlierende Negroes aufgebrachte Geliebte, die wahre transatlantische
Dialektik entfaltet ihre Früchte erst in der Zweisprachigkeit. Nichtsdestotrotz,
wußte das Halbblut einzuwenden, hatte gerade die bilinguale Erziehung
so manchen braven Diplomatenknaben in allerunglücklichste Odysseen,
nicht selten sogar durch die zwielichtigen Ebenen der Transsexualität,
gestürzt. Doch wer ist hier der Vater, wer die Mutter; kaum durch Mullers
Hintertür, hatte der Deutsche seine Böhmin schon auf dessen buntbestickte
Laken geschmissen, und welche der beiden Welten nun tatsächlich eher
matriarchalische und welche eher patriarchalische Qualitäten besaß,
mußte ein anderes Mal, und wenn sofort, dann allenfalls im Nonverbalen,
geklärt werden. Kaum hatte Barbara Kruse allerdings ihr haitianisches
Kleidchen fahren lassen, flog eben noch der Schmidt'sche Faulkner in den
Müll; Assmann hatte das Buch lediglich seines umfangreichen Vorwortes
über die interessante Beziehung zwischen Faulkner und Sherwood Anderson
halber in die Staaten mitgenommen. Allein, die Aussicht auf Barbaras Schoß
ließ Wenzel jede eventuelle Auswertung derlei marginaler Fakten vorerst
ganz schnell vergessen.
Die Sonne war mittlerweile hinter der Hofmauer sowie den farbigen
Holzdächern der Nachbarschaft untergegangen, und Wenzel Assmann goß
sich gerade einige Gallonen kalten Wassers über den erhitzten Leib,
hierzu diente ihm die Badewanne und ein gigantischer gläserner Krug,
in dem Barbara zwei Tage vorher noch leckeren Apfelzider besorgt gehabt
hatte, als Ferdinand Muller durch die windige Tapetentür platzte, welche
seine vorderen Räume von dem rückwärtigen Liebesnest der
Reisenden trennte, und geradewegs, pardon, auf den Gästefernseher zustürzte.
Barbara, die hohen Wangen sanft gerötet, zog das Laken etwas höher,
und Wenzel, unbeholfen, hielt den gläsernen Gallonenkrug vor sein immer
noch halb erigiertes Glied: What's happening, Muller? Wie sich herausstellte,
hatte des Vermieters tragbarer TV-Apparat seinen Geist aufgegeben, das heißt,
einem seiner schwarzen Gärtner-Buben war wohl der Henkel abgerissen
und daraufhin, so Muller, technisch ahnungslos, die Röhre durchgeknallt;
dies ausgerechnet nun, da sein Idol, Mae West, die Unverwechselbare, über
den frühabendlichen Bildschirm flimmerte. Auch Assman hatte der aufregenden
Tochter eines irischen Preis-Ringers und eines bayerischen Korsett-Modells
immer schon gern zugesehen und -gehört, also ließ er den Vermieter,
ungeachtet seines ziemlich unpassenden Ein- und Auftretens, unwidersprochen
anschalten. Kaum hatte Mae West die erste Hüfte geschwungen, erschien
schon ein dunkler Schatten über der Kruse in der Tür. Kommen Sie
doch rein, Lester, rief Barbara; Muller hätte seinen treuen kleinwüchsigen
Gespielen glatt bis zum Abspann vor der Tür warten lassen. Hatten sich
Barbara und Wenzel die letzten Fernseh-Abende ganz mit dem Russen-Putsch
vertrieben, fanden sie es nun äußerst erfrischend, von W. C.
Fields, bürgerlich Dukenfield, und seiner Klondike Annie auf den Boden
jener Tatsachen zurückgeholt zu werden, welcher Geschichte erst verständlich
macht, nämlich das virtuose Spiel der Hormone, Säfte und Enzyme.
Die Reisenden hatten noch ein paar Sechser Dixie in der Eisbox, und als
der Film schon längst gelaufen war, saßen die beiden ungleichen
Liebespaare noch Stunden auf der untervermieteten Bettkante und erzählten
sich lustige Andekdoten aus ihren bewegten Existenzen.
So hatte beispielsweise Muller einmal einen Kerl geliebt, der eine
Agentur für sogenannte Humor-Bilder betrieb. Wann immer die beiden
gemeinsam unterwegs gewesen waren, hatte der Mann seinen Fotoapparat dabei
gehabt, von der klammheimlichen Hoffnung beseelt, eine alte Tante könnte
etwa auf einer Bananenschale ausrutschen, dem Würstchenverkäufer
das Toupet davonflattern oder Ferdinand Muller selbst könnte einmal
mit dem Jackett in der Unterhose vom Klo kommen. Diese Liebschaft, schloß
der Vermieter unter wieherndem Gelächter, war nur von kurzer Dauer,
denn der Fotograf hatte sich urplötzlich in einen Bassett, den er regelmäßig
im Tirolerhut zu knipsen pflegte, verknallt. Die frivole Dunkelkammer aber,
brüllte Muller, war schon kurz darauf, Ihr könnt es glauben oder
nicht, einem Orkan zum Opfer gefallen. Während sich Lester und Ferdinand
nun über die zweifelhaften Qualitäten von Hundeärschen ausließen,
begannen es Wenzel und Barbara zu bedauern, daß die Tapetentür
von ihrer Seite aus nicht abzuschließen war. Bislang war der Vermieter
immer nur nach kurzem, aber deutlichem Klopfen und meistens auch nach einer
ebenso erklärten Antwort seiner Gäste eingetreten, um etwa hier
ein zierliches Klunkerkettchen aus der Schatulle, dort einen ausgeleierten
Paillettenslip aus der Schublade zu nehmen und sogleich wieder, auf pedikürten
Zehenspitzen, in seinen plüschigen Räumen zu verschwinden; der
heutige Überfall war eindeutig mit dem Ausfall des vorderen Fernsehapparates
zu erklären. Tatsächlich ist der Amerikaner, dachte Assmann, wenn
seine Röhre einmal aussetzt, zu fast allem fähig; hieran hatte
schon mancher Franzose seine Philosophie entzündet. Ein letztes Bier
und Feierabend, den Fernseher könnt Ihr gerne mit nach vorne nehmen!
Schon schlichen die Hinterlader durch die Tür; Lester, so schnell keinem
Henkel mehr sein Vertrauen schenkend, hatte den kleinen Sony dabei ganz
sorgfältig untergefaßt und trug ihn nun, beinahe zärtlich,
wie einen Bassett über die Schwelle. Barbara schlug das zerknitterte
Laken zurück; endlich konnte auch sie sich mit Gallonen kühlen
Leitungswassers übergießen.
Don't you feel my leg? Muller und Lester hatten eine ziemlich furiose
Nacht hinter sich gebracht und trällerten nun bei ihrer vormittäglichen
Gartenarbeit eines jener riskanten Liedchen in den blauen Himmel, die der
Jazz-Veteran Danny Barker seiner wilden Frau Blue Lu einst auf den wollüstigen
Leib geschrieben hatte. Assmann, der am Fliegengitter stand und sich rasierte,
mußte unweigerlich an den texanischen Befreiungskrieg denken. Im April
1836 war die Lone-Star-Truppe von den Mexikanern beinahe in den Buffalo
Bayou, und damit in die Niederlage, getrieben worden. Kommandant Sam Houston,
als ahnte er, daß diese Gegend einen hübschen Standort für
eine Siedlung mit seinem Familiennamen abgeben könnte, entschloß
sich zu einem verzweifelten Überraschungsangriff auf die zahlenmäßig
weit überlegenen Landsknechte unter Santa Anna. Nein, Santa Anna hatte
die zukünftige Golf-Metropole wohl auf keinen Fall heißen sollen,
sponn Assmann den diffusen, wenig roten Faden fort, schlimm genug, daß
die Russen ihr Leningrad gerade vor kurzem in Sankt Petersburg zurückbenannt
hatten. Sowohl Wenzel als auch Barbara hatte der kürzliche Russenputsch
nicht eben gefallen. In einer Situation des labilen Gleichgewichts hatte
der fette Jelzin alle Macht und allen Pöbel an sich gerissen; allein,
was ließ sich da schon machen, man konnte ja nicht einfach, wie die
Chinesen, in die Menge hineinfahren. Das schlimmste Pack sitzt immer in
den Metropolen, hatte Assmann behauptet, schon dreißig Meilen weiter
draußen, auf dem flachen Land, hätten sie vielleicht die sogenannte
chinesische Lösung beklatscht. Auch Barbara erinnerte sich, 1989 ein
Interview mit einem verhutzelten Chinamann gesehen zu haben, einem Reisbauern
aus der Provinz, in welchem dieser geäußert hatte, sich von der
amerikanischen Freiheitsstatue auf dem Tiananmen Platz beunruhigt, ja gänzlich
bedroht zu fühlen. Kann man verstehen, hatte der Mannheimer daraufhin
bemerkt. Barbara aber hatte auch die semipolitische Sucht der chinesischen
Studenten nach farbenfroher italienischer Freizeitkleidung einsehen können.
Tatsächlich wiesen sich oft die größten Konflikte dadurch
aus, daß man beide Seiten verstand; eine Assmann'sche Erkenntnis,
welche Erika wiederholt als Waffenhändler-Mentalität hinuntergeputzt
hatte. Die in der Werbung unentwegt herausgestellte, angeblich völkerverbindende,
sogenannte friedliche Revolutionen lostretende Qualität der bunten
Freizeitsignale war allerdings auch Erika, der extravaganten, die ungefärbte
Felle und dergleichen liebte, vom Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. And
if you grab my thigh you wanna go up high. Little Lester war aus Assmanns
Blickwinkel verschwunden, aber Muller fuhrwerkte ganz ungestüm mit
einer Giftspritze an der Hauswand herum.
Wußtest du, liebe Barbara, schallte es aus dem Badezimmer,
daß sich auch die blutige Entstehung deines Heimatstaates unter der
süßen Melodie einer kaum weniger schweinischen Kanzone vollzog?
Nachdem Houston nämlich beschlossen hatte, die in der Mittagssonne
dösenden Mexikaner zu überrennen, versuchte er, eine kleine Band
zusammenzustellen, welche seiner Truppe den Marsch blasen sollte. Jedoch,
kaum einer der rauhbeinigen Söldner hatte sich jemals musikalisch betätigt
gehabt, und erst in der sprichwörtlich letzten Minute vor dem Angriff
stieß der Kommandant auf einen deutschen Rekruten, welcher die Pfeife
blasen, und einen freigelassenen Mohren, der die Trommel rühren konnte.
Kurzum, das einzige Lied, das beide gekannt hatten, war Come To the Bower,
ein sogenanntes riskantes gewesen. Seines schlüpfrigen Textes entkleidet,
mit deutschem Odem geflötet und von afrikanischem Schmiß beschwingt,
diente es der historischen Niederwerfung der Mexikaner als motivierende
Musikbegleitung. So mancher Texas-Kämpfer wird sich damals, von Pfeife
sowie Trommel stimuliert, gleichsam zu seinem fernen Liebchen durchgesäbelt
haben. Kein Laut von Barbara; Wenzel bespritzte sich mit einem billigen
Rasierwasser, das er in Schwegmann's Supermarkt, Ecke Saint Claude, gekauft
hatte, verließ das Bad und schaute nach seinem blondsprossigen Halbblut.
Mit Assmanns Kopfhörer auf den Ohren, eine Etude Louis Moreau Gottschalks
in denselben, hatte sie kein Wort von Wenzels historischem Histörchen
mitbekommen. Auch der Deutsche liebte des New Orleanser Romantikers Klavierwerke,
aber insgeheim zog er ihnen die schweinischen Lieder des kreolischen Ehepaares
Danny und Blue Lu Barker vor.
Thomas Meinecke (2. v. l.) und seine Bandkollegen von FSK
Thomas Meinecke, 1955 in Hamburg geboren, ab 1977 in München
lebend, seit 1988 die USA bereisend, 1994 in ein oberbayrisches Dorf gezogen,
ist Schriftsteller (Mit der Kirche ums Dorf, 1986; Holz, 1988), Musiker
("Freiwillige Selbstkontrolle/FSK", seit 1980) und Radio-DJ
(BR2 "Zündfunk", seit 1985). The Church of John F. Kennedy ist Thomas Meineckes erster Roman und
ist Ende Mai als Suhrkamp Taschenbuch es 1997 erschienen.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags Frankfurt/Main.