BONJOUR SEPTEMBER '96
... und aus mit der Sommerpause. Hier kommt die nächste Flut von Tonträgerveröffentlichungen.
Diesmal noch nicht alles, weil wir gar nicht mit dem Reviewen nachgekommen
sind und außerdem das Platzproblem wieder mal sein Unwesen getrieben
hat. Keine Sorge, der Rest kommt beim nächsten Mal. Der Wahnsinn ist,
daß ich mir nicht mehr sicher bin, ob wir auch alle Tonträger
berücksichtet haben, die ihr uns zukommen habt lassen. Wenn die Besprechung
eines Tonträgers noch fehlt, könnt ihr ja kurz schreiben oder
anrufen. Ansonsten nichts wie hinein in den Herbst - schlechter als der
Sommer kann er nicht werden. Und fleißig schicken (KAPU, Kennwort
"Bonjour!", Kapuzinerstraße 36, 4020 Linz) Huckey
THE BOY COLIN
human stars b/w anywhere
Brefkas ready Rec., Heiligenstädterstr.189/2/9, 1190 Wien
Und weil ihr alle zu wenig Brefkas Ready Rec. Platten kauft, habe ich schon
gedacht, da wird eine Zwangsveröffentlichungspause (aus finanziellen
Gründen) sein müssen. Aber nein, da kommt noch diese nette 7"
daher. THE BOY COLIN machen schön flächige, elektronische Popmusik.
Mit einem Beat - leicht funky, weit weg vom Techno BumBum -unterlegt, sind
beide Lieder auch ganz gut tanzbar. Glasklarer und angenehmer Gesang von
Barca Baxant. "Everything but the girl" sei mir als Namedroping
gestattet. Sommermusik ist das aber keine. Eher ein vorweggenommener, melancholischer
Herbsthit. Korrekterweise im EKH-Studio aufgenommen. Huckey
RICCI BOCK
in: "Auftritt-Wirkung-Abgang"
CD, über Büro Diderot
Ricci ist Ricci Bock und jedem bekannt, der irgendwie was Kulturelles mit
Innsbruck zu tun hatte. Du brauchst noch ein Konzertdate für deine
Band in Innsbruck, du hättest gern gewußt wie´s um das "Haus
am Haven" steht oder was im Büro Diderot so los ist, du brauchst
die Tel.Nr. von Total Chaos oder T.B.C.What? .....Call Ricci. Aber Ricci
hat auch die ganze Zeit Musik gemacht: als "Pankomat" z.B.("Null
Komma Innsbruck" - Sampler etc.) oder als "Das Damoklesschwert".
Jedenfalls ist diese CD eine Sammlung verschiedener Samplerbeiträge,
Jamsessions, etc...
Außer diesen Liedern gibt´s auch Soundminiaturen ("just
stay away", aufgenommen im Büro Diderot mit Walkman). Aber auch
sowas wie das 19 Min 36 Sek lange "Hey, Ricci how you´re doing",
das ´94 einen Radiopreis beim Publifonia Festival/Rimini gewann und
ein Projekt für das Kunstradio/Ö1 war. Das ist ein Zusammenschnitt
von Anrufbeantwortermessages, wo man bekannteren (Naked Lunch, Total Chaos,
T.B.C.What? und unserem hauseigenem Bert Estl!) und viel weniger bekannteren
Menschen beim Messagesaufanrufbeantwortersprechen zuhören kann. Ein
Vergnügen. Überhaupt wirken viele Leute mit, die man eh kennt:
Von Total Chaos über T.B.C.What? zu Hans Platzgumer und Jochen Hampl...Es
macht Spaß, das anzuhören - da gibt es viel zu entdecken. Trash
at its best!
Und Ricci, dieses De la Soul-Anrufbeantworter-Ding war echt schon total
veraltert... Huckey
DIE ÜBLICHEN VERDÄCHTIGEN
Kopfüber
Trost
Durchaus nicht üblich, aber schon verdächtig. Verdächtig,
hier aufpassen zu müssen. Jazzrock kann so mißverstanden werden.
Die SST Jazzpunkrockinterpretation ist sicher am passendsten: Es muß
rocken ("sure looking good", "Hungrige Hunde")! Es muß
grooven ("Whole hate"). Auch Meat Puppets fallen mir ein. Einfach
aber kompliziert, kommt mir vor. Obwohl man ja strenggenommen in Zeiten
von Drum and Bass, Hip Hop und sonstiger elektronischer Musik selbst die
"progressivste" Variante von Jazz(-Rock) als antiquiert bezeichnen
möchte, weil ja z.B. A Tribe called Quest schon ´90/´91 mit
ihrer Interpretation von Hip Hop sowas wie den neuen Jazz eingeführt
haben und man jetzt von Jazzy Jungle spricht, weil im Jungle die Ragga und
Hip Hop Vocals durch Jazzloops ersetzt werden, ist sowas trotzdem ok, weil´s
gefällt. Nicht immer muß alt(-vaterisch)=reaktionär sein,
aber jetzt ist die Avantgarde hinter sich selber her und versetzt sich den
Faustschlag in die eigene Magengrube. Ohne Basis und dem richtigen Bewußtsein
überholt sich die Progression, und bleibt in Wahrheit zurück,
um zu versiechen. Weiter kommt, wer weiß, wo seine Talente sind, aber
am Boden bleibt und Augen und Ohren offen hält. Dies alles, um zu erklären,
daß diese CD in Ordnung geht. Wie schon erwähnt: Es ist einfacher,
als beim ersten Hören scheint - es ist nur kompliziert, dorthin zu
denken (dorthin, wo es einfach ist, es gut zu finden). Huckey
ÄBYSS
Ruhe vor dem Sturm
Pressgasse 31/18, 1040 Wien
Irgendwo zwischen "Ärzte" und "Tote Hosen" und
von mir aus noch drumherum gibt es einen Freiraum, von dem manche Bands
glauben, ihn füllen zu müssen. Das endet einerseits in blödsinnigen
Betroffenheits-"Politsongs" ("Nie wieder Krieg", "Rettet
die Wale und die Kinder", etc..), andererseits in "Achtung, jetzt
lachen!"-Funpunk (ich erspare euch ein Exempel).
ÄBYSS haben beides. Deutschpunk anno dazumals, und so "Klaudia
hat ´nen Schäferhund"-Humor ist das. Mieseste Liebeslieder
("Stefanie") mit Schüttelreimen, wie man sie auch beim Moik
im Musikantenstadel zu hören bekommen könnte. Alles schön
im Humpftata-Humpftata-Pogotempo gehalten (ich habe ja schon lange gesagt,
daß Punk wie Polka ist (statt Pogo, springen und schunkeln). Wer z.B.
"Wizo" mag, könnte das hier auch gut finden. Für mich
wirkt das alles viel zu unlocker, pseudoambitioniert und angestrengt, als
daß ich es mögen könnte. Aber jedem das Seine. Loben muß
man die Jungs für das Cover, das gar nicht auf das schließen
läßt, was dann auf einen zukommt. Huckey
HANS PLATZGUMER
Aura Anthropica
L'age d'or
"Ich habe jetzt eine Houseplatte gemacht", hat er mir erzählt,
der Hansi, der Schlingel. Jetzt habe ich sie und bin baff erstaunt. Diese
Musik liegt irgendwo zwischen Funky House und na ja, Trip Hop oder so. Juhu!
Keine geraden Bassdrums, sondern groovige, langsame Funkybeats. Es gibt
ja nichts lähmenderes als Baßdrums auf der 1 und der 3. Funky
Drummer rules Ok! Nach wie vor. Darüber oder/und darunter melodische
Samples: Pianos, moogmäßige Sounds, deepe Basslines. Einzig dieses
Georgle bei "Dreckschwein" ist doch zu kindercasiolike ausgefallen
(ist´s sogar eins?). Die Samples sind auch die Verbindung zu House,
der Rest ist einfach guter Groove. Über die Produktion kann man bekanntlich
immer meckern, aber der Hans hat halt ein neues Instrument, den Computer,
entdeckt und damit rumgebastelt. Ich meine, der Sound geht ok, ein bißchen
merkt man eben, daß nicht wirklich Clubpeople am Werk waren (vergleiche
auch die neue "Egoexpress" auf L'age d'or). Aber der Hans wäre
nicht der Hans, wenn er nicht um´s nächste Eck auch noch denken
würde und somit einen Schritt weitergeht (musikalisch, aber auch textlich).
Zwei der vier Stücke sind nämlich mit Text, und hier wird´s
interessant. "Dann=Schluß" ist ein melancholischer, um nicht
zu sagen depressiver Text - sehr persönlich. "Dreckschwein",
eigentlich "Dreckschwein H.", ist ein politischer Text, ganz unverblümt
und direkt gegen Jörg und F. Das heißt: Hans geht nach Amerika,
spielt dort Rockmusik, zieht zurück nach Europa (Hamburg) und greift
von dort aus in´s (politische)Geschehen zu Hause ein. Schön. Hallo
Außenstelle Hamburg! So ist auch der Text gestaltet. Voll aus dem
Bauch, zornig, aber am Ende doch eher zuversichtlich. Es geht um die braune
Brut als Monster: "...gerade haben wir es noch ausgelacht und jetzt
hat es einen Brand entfacht, doch es zündet sich nur selber an...die
braune Brut will wieder Heim..". Verglichen mit "das bißchen
Totschlag" von den GOLDENEN ZITRONEN, bei denen er jetzt übrigens
spielt, ist "Dreckschwein" als politischer Text zwar ähnlich
vom Ansatz, aber aus einer anderen Situation heraus gemacht. Über politische
Texte und Herangehensweisenunterschiede können wir ja diskutieren.
Am besten bei der nächsten Schorsch Kamerun-Night im SOFA. Ich nehm´
auch Hörbeispiele mit; und natürlich diese Platte. Huckey
DER SCHÖNHEITSFEHLER
..kommt !
GIG Records/Duck Squad Platten
"Gut Ding braucht Weile hat meine Oma schon gesagt..", um hier
gleich Marimba, den einen MC von SHF von der Nummer "Immer schön
langsam" zu zitieren. Denn immerhin hat es drei Jahre seit der ersten
Ep "Broj Jedan" gedauert, bis uns jetzt SHF mit einem ganzen Longplayer
beehren und dies gleich mit einem Release auf dem kleinsten Majorlabel Österreichs,
nämlich GIG-Records. Im Gegensatz zur letzten Veröffentlichung
"Putz Di" hat diesmal wieder DJ Master Huda die Produktion übernommen,
was sich in fetteren und gediegeneren Sounds manifestiert hat. Was sofort
ins Auge springt, ist die Tatsache, daß von den zehn Nummern der LP
vier schon vorher bereits auf Tonträgern erschienen waren, nämlich
"Schönheitsfehler kommt", "A Guata Tag", "Denk
an mich" und "Jeder Schlag eine neue Niederlag" - allerdings
mit neuen Beats und zusätzlich Peman Paul am Mikro. Insgesamt haben
SHF versucht, eine Gratwanderung zwischen kommerzieller Verwertbarkeit und
dem alten rauhen Flavor zu gehen, was bei einigen Nummern gut funktioniert
("Boom - und du schaust doom aus der Wäsch´"), bei anderen
allerdings etwas in die hitparadengeschulte Hose geht ("Immer schön
langsam"). Ein bißchen enttäuscht bin ich auch von den Rapskills
von Marimba, der zwar nach wie vor textlich interessant bleibt, aber seinen
Stil trotzdem noch nicht optimiert hat. "SHF kommt" ist eine gute
und interessante Platte, aber hinkt der Zeit, vergleicht man sie mit den
neuen deutschen Sachen (Massive Töne, Stieber Twins, Da Blumentopf,...),
etwas hinterher. flip
DER YOO-BAA-TRIEB
Hyperfamose Neurosendose
Trieb Traxxx Platten
Österreichische HipHop - Platten 1996, Teil 2: Ebenfalls aus Wien kommend,
bringen uns YBT ihren eigenen HipHop-Geschmack via dunkelblauer Vinylscheiben
-herausgebracht auf ihrem eigenen Label. Die Themenvielfalt rankt sich meistens
um Geschichten, die das Leben schrieb, wobei sehr oft die Benebelung des
eigenen Geistes und Körpers im Mittelpunkt der Erzählung steht.
Ansonsten bekommt das Rödelheim Hartreim Projekt sein Fett ab bei "komm
wieder runter", und einmal dürfen ihre Freunde der Band Kaltfront
die gespannten Heavy Metal-Gitarrensaiten bearbeiten. Positiv hervorzuheben
wären die Scratches von DJ Bizzy Booster und die einwandfreie Produktion
von J/U/N/K.
Sieht man einmal von den sicherlich noch verbesserungswürdigen Flows
der beiden Rapper Vati-khan und Pre-fekt ab, so ist "Hyperfamose Neurosendose"
dennoch ein hörenswertes Dokument alpenländischen
HipHop-Verständnisses geworden. Ach ja, und das DJ Futter ist auch
cool. flip
NO SAPID
Dirty Crow Break
Tape, Eigenvertr.
(G. Seher, Lifehausstr. 22, 4111 Walding)
Ich muß mich gleich einmal entschuldigen, denn besonders neu ist dieses
Tape nicht mehr, da es irgendwo in den undurchschaubaren Strukturen der
BONJOUR-Redaktion verschollen war und schließlich die Sommer(?)pause
auch noch das ihrige zur Verzögerung beitrug. Sorry! DIRTY CROW BREAK
bietet einen Überblick über zwei Jahre Bandgeschichte von NO SAPID.
Zu hören gibt es eine recht melodiöse Variante leicht metallischen
Hardcores mit psychedelischen Tupfern, wobei sich NO SAPID von anderen,
musikalisch ähnlich gelagerten Bands durch phasenweise grandios eingebaute
Melodien abheben. Auch kann mensch dieser Band sicherlich kein blindes Abkupfern
irgendwelcher Vorbilder vorwerfen - die Songs bleiben immer eigenständig
und interessant. Die gute Aufnahmequalität (C. Amann) der sechs Nummern
läßt mir dieses Tape zusätzlich ans Herz wachsen. Gelungen.
daniel