Marcus Zetticus
Ad Fontes!
Weil bei unseren Leserbriefhinundherschreibereien (siehe hillinger 5/96
und 6/96) nun ohnehin bereits alle den Faden verloren haben; und weil sich
keiner mehr die Mühe macht, den überhand nehmenden Rückverweisen
auf ältere Ausgaben (siehe oben) überhaupt noch nachzugehen; und
weil zur Zeit des Verfassens dieses Artikels noch das gähnende cineastische
Sommerloch die Zähne zeigt, vollziehe ich dieses Mal einen Akt der
Quellenoffenlegung.
Über Filme wird viel geschrieben. Kürzestkritiken in den diversen
Tageszeitungen und Filmseiten in Magazinen wie diesem stehen dabei periodisch
erscheinende Druckwerke gegenüber, die ihre kostbaren Seiten ausschließlich
diesem Thema widmen. Ein weites Feld tut sich auf von Postillen für
Fans von Splatter-, Trash-, Horror-, Science-Fiction- und sonstigen Liebhaber-Genres
bis zu intellektuellem Futter für die Akademiker unter den Cineasten.
Bezeichnenderweise sind die deutschsprachigen Publikationen sowohl quantitativ
als auch oft genug qualitativ ihren englischsprachigen Pendants unterlegen.
Die hochintelligenten französischen Produkte sind einerseits trotz
EU kaum erhältlich und mir andererseits wegen fehlender Sprachkenntnisse
leider ferne.
Ein Magazin, das sich in den letzten sechs Jahren ziemlich entwickelt
hat ist das britische "Sight and Sound" (S&S). Aus
dem Monthly Film Bulletin hervorgegangen wird es monatlich vom British Film
Institute herausgegeben. Und britisch ist es wahrlich: großformatig
auf gut riechendem Papier gedruckt bietet es zeitlos-modernes Layout. Erschreckend
sind manchmal nur die Titelseiten: hier schafft man es regelmäßig,
gediegene Bilder mittels unpassend gefärbten Titelschriften zu verunstalten
oder eine schlichte Typografie mit einem nichtssagenden Foto zu hinterlegen.
Wer sich davon nicht abhalten läßt, erhält aber eine Zeitschrift,
die in der schnellebigen Publikationslandschaft einiges an Sicherheit bietet.
Ohne jetzt hier volkstümelnde Schwärmerei aufkommen zu lassen,
möchte ich doch sanft darauf hinweisen, daß die konsequent durchgezogene
Strukturierung von S&S so etwas wie eine Heimat darstellt, in die man
Monat für Monat gerne wieder zum Fünf-Uhr-Tee zurückkehrt.
Außerdem lassen sich hier noch leicht die Anzeigen, die in einem erträglichen
Ausmaß auftreten, von redaktionellen Beiträgen unterscheiden.
Jede Ausgabe zerfällt grob in zwei große Teile: der erste Teil
ist durchweg mit Farbfotografien ausgestattet, die zum Teil verschwenderisch
groß in die Artikel montiert werden. Es finden sich hier die "Regulars"
wie je eine Klatsch&Tratsch&News Doppelseite für Kino und Fernsehen;
und die "Features": mehrseitige Artikel, die von den Dreharbeiten
neuer, spannender Filme berichten (Juli '96: der neue David Lynch Streifen
"Lost Highway"), bestimmte Abschnitte der Filmgeschichte behandeln
oder Filmländer, über die man sonst wenig hört, vorstellen.
Manches Mal ist dieser Teil auch ähnlich einem Dossier aufgebaut und
versammelt verschiedene Artikel zu einem Thema (August '96: Gangsters).
Die Qualität der Artikel ist - naturgemäß - von ihren Autorinnen
und Autoren abhängig: es gibt seriöseste Szenenanalyse von europäischen
arthouse Filmen neben zum Teil wenig erhellenden Tagebüchern von Regisseuren
und Liebhaberartikel über britische Schrulligkeiten wie zB die Hammer
B-Movies. Schön ist allerdings, daß sich auch und gerade zu Hollywoodfilmen,
Artikel lesen lassen, die nicht den Mainstream-Konsumenten Blick wiedergeben.
In der Juli-Ausgabe wurde von einem Kritiker "Mission Impossible"
zuerst nach allen Regeln seiner Kunst demontiert, um schließlich im
letzten Absatz mit einer Art "Aber was soll's, der Film macht einfach
Spaß"-Pointe abgefeiert zu werden.
Das neueste Steckenpferd der S&S-Redaktion ist das "A-Z
of Cinema". Zu jedem Buchstaben des Alphabets wird eher willkürlich
ein Thema herausgepickt und mit sehr subjektiven Artikelchen ohne Anspruch
auf erschöpfende Behandlung ausgestattet. In der August Ausgabe ist
man bei "C for Cowboys" angelangt. Zehn angeblich wichtige Cowboy-Filme
werden hier kurz vorgestellt. Und eine Zeittafel über die Entwicklung
dieses Genres findet sich ebenso wie "Eight things a cowboy can't do
without", welche da sind: Baths, Boots, Cowgirls, Guns, Hats, Horses,
Music und Texas - alles schön britisch in alphabetischer Reihenfolge.
Vierteljährlich (Februar, Mai, August und November) werden in einer
speziellen Bücher-Sektion alle wichtigen Neuerscheinungen von Filmbüchern
kurz besprochen: Filmlexikas, Filmkritik in Buchform, Filmgeschichte, Biographien
und Drehbücher, etc. Allerdings selbstredend nur englischsprachige
Publikationen. Diese Abteilung erscheint manchmal noch im farbigen ersten
Teil, manchmal bereits im zweiten Teil, der in klassischem Schwarz/Weiß
gehalten ist.
Neben den Video-Neuerscheinung, den Leserbriefen und einigen kleinen
Glossen sind hier hauptsächlich die Besprechungen aller im jeweiligen
Monat anlaufenden Filme plaziert. Natürlich gilt das Start-Datum des
Großen Britanniens, das bei vielen Filmen erheblich von demjenigen
hierzulande abweicht. Trotz der Tatsache, daß man Kritiken zu Filmen,
die hier bereits laufen, erst ein paar Monate später lesen kann und
vice versa, hat diese Sektion einiges zu bieten:
Für jeden Film finden sich detaillierteste Credits: also all das, was
am Ende von unten nach oben über die Leinwand rollt. Sehr hilfreich
ist das, wenn man nachlesen möchte, welche Songs verwendet wurden oder
wer das Make-up von Daniel Day-Lewis verbrochen hat. Sodann folgt eine Kurzzusammenfassung
des Inhalts, die strikt von der eigentlichen Kritik getrennt ist. Die Kritiken
selber sind mehr oder weniger mit britischem Humor versetzt, von Seriosität
durchdrungen oder mit political correctness getränkt - alles auf einem
ziemlich hohen Niveau. Bei fast allen Filmen ist zur Auflockerung des Textwustes
ein Foto eingeschoben.
Wer sich monatlich umfassend über Film informieren möchte,
dem sei "Sight and Sound" wärmstens ans Herz gelegt - mit
den paar kleinen, erwähnten Einschränkungen. Und wem vor lauter
britischer Seriosität dann der Kopf raucht, dem empfehle ich dringend,
neben der Ausgabe von "Sight and Sound" das österreichische
"Skip" auf das Nachtkästchen - für einen Lacher ist
das allemal gut!
DATA. Meinem bescheidenen Wissen zufolge gibt's Sight and Sound in Linz
nur beim Presse-Center in der Mozartstraße (Ecke Dametzstraße).
Es kostet dort öS 95,-. Falls im geschätzten Leserkreis noch andere
Bezugsquellen bekannt sind, bitte in der Red. melden!