"CYBERSPACE IST NICHT FÜR UNS DA"
Vorspann:
Wie es eben mit den meisten Dingen so ist, hat Kurt Holzinger von ihnen
kaum bis keine Ahnung. Nicht wirklich etwas weiß er auch über
ars und gleich noch weniger im Verein mit electronica. Warum sollte er also
die gute Gelegenheit an sich vorbeigehen lassen, an einem verregneten Abend
im Mai mit Robert Adrian X zu sprechen, der sich ja nun weißgott viel
und lange mit diesem Zeug beschäftigt? Weiß unser Ignorant jetzt
mehr? One never knows.
(Das zeitweilige Trommeln von Sam Auinger während der aus dem stundenwährenden
Gespräch ausgewählten Passage kann nicht mitgeliefert werden.
Anm. K.H.)
K.H.: Was ist den jetzt mit Cyberspace und wie wird Cyberspace von Künstlern
genutzt?
Bob: Das ist eine sehr schwierige Frage, weil erstens weiß man gar
nicht ob es ihn gibt. Und dieser Begriff Cyberspace ist eine Erfindung aus
einem Roman, William Gibson´s "Neuromancer". Ich finde diesen
Begriff und den Raum, den er beschreibt sehr, sehr interessant. Weil er
beschreibt eine ganz andere Kultur, eine nichtgegenständliche Kultur,
er ist weg von Produkten, weg von Dingen und auch weg von Bewegung -
in Cyberspace bewegt sich nichts. Du bist angeschlossen und du bist drin.
Und was drinnen ist: Du und alle anderen Sachen und du bist auch ein Teil
dieser Datenwand.
Das hat mit deinem Körper nichts zu tun, mit diesen...es gibt eine
feministische - wie ich finde - ziemlich obskurante Idee, so irgendwie "man
teilt seinen Körper". Das Körperproblem interessiert mich
überhaupt nicht.
Was hier passiert ist, ist, daß man präsent ist irgendwo - über
den Schirm. Und darum hat man eine Ahnung, wie es ist in dieser Maschinenwelt.
Nicht wie man es vorstellt: "Die Maschinen sind einfach in diesem Raum".
- Die Räume sind von diesen Maschinen hergestellt. Die Maschinen
sind von uns hergestellt, sind aber freigesetzt und sie schaffen diesen
Raum. Und wir haben nicht einmal ein Vokabular, diesen Raum zu beschreiben.
Das ist der Grund, wieso Cyberspace interessanter ist als die "Datenautobahn"
oder die "Datenbahn" . Die Datenbahn ist so eine Vorort-Geschichte.
Für den Durchschnittsamerikaner ist eine Datenautobahn eine völlig
ungefährliche, familiäre Sache. Man geht dort hin einkaufen und
so ein bißchen Sex zu holen, so hier und da - es ist ein Mall, wo
man einkaufen geht und überhaupt ungefährlich. Aber Cyberspace
ist absolut fremd und voll allen möglichen gefährlichen Sachen.
Und er hat überhaupt keine Metaphern, die der normale Industriemensch
verstehen kann.
Ich habe das Gefühl, Cyberspace ist etwas, das Leute, die nicht industrialisiert
sind, gut verstehen können. Weil die haben ein ganz anderes Raum-Zeit-Gefühl
als wir. Ich denke in die Richtung, daß es eigentlich nicht für
uns zu gebrauchen ist, daß wir ein sehr fremdes Konzept haben -
das heißt, Cyberspace ist nicht für uns da.
Dabei, was eigentlich zwischen diesen Maschinen umgeht., dürfen
wir anwesend sein, aber wir können es überhaupt nicht beeinflussen
und es ist nicht für uns da.
Was wir geschaffen haben, ist irgendwie freigesetzt, hat sich irgendwie
freigeschaffen. Vielleicht haben wir es so gemeint, aber es ist wurscht,
was wir gemeint haben.
Was wir getan haben: Wir haben eine neue Art von Natur geschaffen. Und diese
Machinen sind jetzt in der Vernetzungsphase und wir sind fleißig dabei
diese Vernetzung zu schaffen. Denn die Maschinen sind ja da. Und was du
spielst mit deiner Maschine und was ich auf dem Tisch habe mit meiner Stoßmachine
und meinem Spielzeug u.sw. - die sind nichts.
Was wirklich passiert ist, ist daß die ganzen Stromschaltungen, die
ganzen Spionagegeschichten, die ganze Finanzwelt, die ganzen Versicherungssachen,
alle Steuersachen... - die ganze Infrastruktur der Welt ist von den
Maschinen kontrolliert. Weil die viel effizienter sind - und außerdem
kosten die weniger.
Sie haben sehr viel gekostet, sie aufzubauen zu dieser Phase. Jetzt sind
die viel billiger als Menschen. Und die sind nicht interessiert in Kontrolle.
Die tun es einfach, das ist ihre Aufgabe und das machen die. Und unsere
Spielzeuge sind einfach keine Rechtfertigung für das Ganze. Aber es
ist alles zu spät. Wenn ich sowas sage, meinen ab und zu Leute: "Ja
aber wir sind immer noch in controll, wir sind die Programmierer" und
so.
Aber das stimmt überhaupt nicht.
K.H.: Ja aber ist das nicht sehr - äh - kulturpessimistisch?
Bob: Das hängt davon ab, wie hoch man unsere jetzige Gesellschaft bewertet.
Und ich bin kein großer Anhänger der Industriegesellschaft. Obwohl
- die schönen Sachen gehen auch mit. Ich meine, Bach und Hitler
sind Teil der europäischen Kultur. Sie sind beide Deutsche, einer aus
dem Früh-, einer aus dem Spätindustriezeitalter. Aber sie sind
eigentlich auch Produkte von dieser Weltanschauung. Einer, den wir wirklich
schwer vermissen werden und einer, wo wir froh sind, daß er weg ist.
K.H.: Kannst du kurz aus Deiner Sicht erklären, was das Thema der ars
electronica 96 ist?
Bob: Ich habe keine Ahnung. Ich versteh das wirklich nicht.
Memesis. Memesis soll es heißen und der ? (leider nicht verstanden,
Anm. K.H:) erklärt es mir jedesmal, wenn wir uns treffen, und ich habe
es...ich verstehe ganz wenig.
K.H.: Memesis oder Nemesis?
Bob: Die Diskussion soll eigentlich Memesis heißen.
K.H.: Nemesis gefiele mir besser.
Als Beitrag zur ars electronica 96 präsentieren Robert Adrian X und
Sam Auinger eine Installation im Offenen Kulturhaus. Diese "handelt
von der Art und Weise wie die Dinge - Moleküle, Ökosysteme,
Kulturen - zwischen Chaos und Ordnung, zwischen sinn und Unsinn. Der
Raum wird dunkel sein, manchmal leuchtet ein schwaches, blaues Licht in
Bodennähe. Geräusche und das Licht verändern sich, nehmen
ab oder zu, je nach den Bewegungen und dem Verhalten der BesucherInnen.
Manchmal tauchen bildhauerische Elemente auf. Das Licht/Klangsystem wird
so programmiert sein, daß es sich den stets ändernden Daten anpaßt,
die von den BesucherInnen im Raum- sowie vom Verkehr und anderen Geräuschen
draußen - ausgeöst werden. Ständig strebt es nach einer
Ebene der Stabilität und Sinnhaftigkeit". (O.K.-Prospekt)
"Was passiert mit Deep Blue, wenn niemand im Raum ist? Wie wird es
klingen? Sind die Lichter in den Rohren verloschen oder stehengeblieben?
Wir werden es nie genau wissen und es ist auch nicht wichtig. Bei Deep Blue
wird nichts vorgeführt. Nichts absichtlich gespielt. Es gibt kein Gegenüber
, ihre Aktivität, ihre Bewegung im Raum erzeugt das konkrete Klangereignis.
Sie sind die Kompositeure, wir gestalten dazu die Programme und schreiben
die Software. (Sam Auinger, Adrian X)
ROBERT ADRIAN X, geb. 1935 in Kanada. Lebt seit 23 Jahren in Österreich.
seit 1979 arbeitet er an Kunst- und kommunikationsprojekten. Er zählt
zu den Pionieren der österreichischen Medienkunst (Fax-Art, Telekommunikationskunst,
Slow-Scan-TV). Ausstellungen und Projekte (Auswahl): 1980 Biennale di Venezia,
Aperto ´80, Venedig; 1980-1991 ARTEX (Artists´ Electronic Exchange
Network), a special E-mail communications program for artists; 1982 The
World in 24 Hours - Ars Electronica, Linz; 1984 An International Survey
of Recent Painting and Sculpture, Museum of Modern Art, New York; 1986 Planetary
Network - Laboratorio Ubiqua, Venedig Biennale; Kunstkanal, Television art
project - RTL-Plus, Okt. 1989, Köln; 1989 Ressource Kunst, Künstlerhaus
Bethanien, Berlin und (1990) Mücsarnok, Budapest; 1992-1993 ZERO -
The Art of Being Everywhere and ZEROnet, Steirische Kulturiniative
Von Bob Adrian X und Sam Auinger ist vor kurzem die CD "Flugstunden"/
"Applaus" erschienen. Vertrieb: Rainer Krispel, Herbststr. 63/19,
A-1160 Wien. Tel. ++43 1 493 3444. Auch erhältlich bei: Wahn &
Sinn, Fabrikstr. 1c, 4020 Linz