Zeit und Genossen



Demokratie & so



I
Fürchterlich dick ist, nach kurzer Sommerpause mein Mäpplein angewachsen, das die kulturpolizeichlich zu behandelnden Fälle birgt. Ein schierer Fron sich da durchzuarbeiten und abzurackern. Peinlichkeiten zuhauf, politische Dummheiten en masse. Kulturpolitische Wahnsinnigkeiten und stumpfverblödete Narreteien allemal. Sie sollen einstweilen unbehandelt bleiben.

Von den Umtrieben der sogenannten Polit-Professionisten einmal abgesehen, denn die können ja nicht anders bzw. stehen auf der anderen Seite, auch wenn sie immer wieder, getarnt mit Liberalismus-Wetterfleck das Gegenteil behaupten. Den politischen Machtpol zu behandeln ist müßig. Geht es doch eher drum, das eigene Oberstübchen soweit klar zu behalten, ihnen nicht ständig auf den (Sch)leim zu gehen. Denen, die mit ihrem Demokratiegeseiere, alles was nicht im politischen Mainstream liegt, niederwalzen und ersticken. Was einen Ansatz von Gesellschaftskritik beinhalten könnte, wird sofort mit formaldemokratischer Keule niederstreckt. Demokratie ist zur Hülse verkommen, die allein Bestehendes sichern soll. Demokratie ist zum Gleitmittel in Richtung Faschismus geworden. "Demokratischer Faschismus" haben Peter Turrini und Michael Scharang schon vor zehn Jahren das System genannt, das aufgrund seines intellektuellen Vakuums die Überläufer anzieht wie Licht die Motten. Müssig noch einmal zu betonen, das aus Geschichte ohnehin nichts gelernt wird. Denn die NSDAP ist mittels "demokratischer" Wahlen an die Macht gelangt. Auschwitz und Holocaust daher eine Konsequenz demokratischer Wahlen.

II
Vor etwas mehr 15 Jahren galt es noch als Ausdruck demokratische Gesinnung auf Demonstrationen "Weg, weg, weg mit dem Nazi-Dreck" zu skandieren. Es ging darum, die Kandidatur des NDP-Führers Norbert Burger bei den Präsidentschaftswahlen zu verhindern, ein Verbot dieser neofaschistischen Partei zu erwirken und faschistische bzw. nationalsozialistische Kontinuitäten im Staat Österreich zu entlarven und zu bekämpfen. Kontinuitäten vom nationalsozialistischen Dritten Reich direkt in "neue Österreich" fortgeführt, die alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens von Wirtschaft bis zur Kunst von der Gerichtsbarkeit bis zur Wissenschaft von den Medien bis zu den Kirchen umfaßten. Das Verbot von ANR und NDP konnte schließlich auch durchgesetzt werden als demokratische Anstrengung, weil Demokratie durchaus als etwas prozeßhaftes erkannt wurde (zumindest von den damals handelnden Subjekten) und Demokratie eben auch eine inhaltliche Dimension hatte. Man musste damals nicht täglich den politischen Minderleistern vorbeten daß Nationalismus, Rassismus, Sexismus nicht "demokratisch" sei, bzw. in solch einem System keinen Platz habe.

III
"Demokratie" ist zu einem tumben Mythos verkommen, bar jeglicher inhaltlichen Dimension. Demokratie wie sie von der Mehrheit, auch vermeintlich politisch denkender Menschen, verstanden wird, ist allein Mittel zur Eliminierung von Gesellschaftskritik, sei es in politischen Zusammenhängen im kulturellen Leben oder auch in der Kunst (ich meine nicht, daß die Aufgabe der Kunst vornehmlich Gesellschaftskritik sei, aber weisen künstlerische Produkte oder künstlerisch Produzierende gesellschaftskritische Ansätze auf, sind sie sofort im Kreuzfeuer der "Demokraten"). Gerade die kulturelle Szenerie ist seit einiger Zeit besonders anfällig, dem formaldemokratischen Mythos auf den Leim zu gehen. Vergangene, nunmehr scheinbar beendete Auseinandersetzungen in der Kulturinitiativenvertretungsorganisation zeigen das (arrivederci mio amico K., a puntate continua).

IV
Zurück zum Thema nationalsozialistische Kontinuitäten. Wohl eine der bemerkenswertesten dieser Kontinuitäten ist gewiß die FP. Gegründet als Auffangbecken ehemaliger NSDAP-Parteigänger unter dem Titel VdU, stets parlamentarisch Vertreten, verwandelte sich diese Partei in die FP schließlich in F. Eine Partei, deren Notwendigkeit dem dumpfen Aggressionspotential der Stammtische geschuldet ist, tarnte diese Partei ihre Politik nie. Sie ist in ihrer Politik, in ihrer Ideologie, in ihrer Organisationsstruktur (Führerprinzip) eine faschistische Partei. Einzig und alleine diesem formalistischen Demokratieverständnis ist es zu verdanken, daß diese Partei immer noch existiert, kandidieren darf und ihre politische Hetze betreiben darf. Das Gezetere der Medien, wenn wieder einmal das Wesen dieser Partei sichtbar wurde, wie unlängst, als freiheitliche Jugendliche der Gräberschändung im jüdischen Friedhof von Eisenstadt überführt wurden, ist unglaubwürdig und verschleiert die wirklichen Zusammenhänge. Was soll da überraschend und skandalös sein, wenn freiheitliche Jugendliche, die vom heutigen Geschäftsführers der F politisch betreut wurden mit originär Freiheitlicher Symbolik wie Hakenkreuzen, SS-Runen und originär Freiheitlichen Losungen wie "Ausländer Raus" und "Heil Haider" jüdische Gräber schänden. Wer verwundert tut, wenn Freiheitliche ihrem Programm und ihrer Geschichte gemäß handeln, macht sich mitschuldig.

Skandalös ist vielmehr, daß Medien wie Politiker mit der Forderung nach persönliche Konsequenzen des Geschäftsführers Schweitzer diese Zusammenhänge zum persönlichen Problem dieses Menschen machten und dadurch wie immer davon ablenken, daß die F auch nach gegebener Gesetzeslage als Partei nicht existent sein dürfte. Skandalös ist vielmehr, daß die Führung der F nicht in ihrer Gesamtheit inhaftiert worden ist und ihr wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung der Prozeß gemacht worden ist. Und das nicht erst seit Krumpendorf und Eisenstadt nicht erst seit dem militärischen Empfang des freiheitlichen Verteidigungsministers Frischenschlager (der sich heute bestens bei den Liberalen tarnt) für den Kriegsverbrecher Reder.
Immer wurde nur "Persönliche Konsequenzen" gefordert nie wurde das System das hinter dieser Partei steckt hinterfragt.

"FPÖ verbieten" kann die einzig wirkliche demokratische Losung heute sein.

Matti Link

September 96


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