Brecht und Österreich
Ein zweifelhaftes Kapitel Österreichischer Literatur- und Theatergeschichte
Daß Bertolt Brecht seit 12. April 1950 österreichischer
Staatsbürger war, ist wenigen Zeitgenossen bekannt. Noch weniger wahrscheinlich,
daß für Brecht die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft
ein wahrer Spießrutenlauf war, weil die bürgerliche Presse daraus
einen politischen Skandal machte. Und das trotz einer "Ausländergesetzgebung",
die im Vergleich zur heutigen richtiggehend fortschrittlich war. Brecht
und Österreich ist ein Kapitel, das in der literarischen Öffentlichkeit
unseres Landes kaum eine Rolle spielt, weil es von reaktionärem Sumpertum
und hinterwäldlerischer Borniertheit überschattet ist. Wohl eins
der unrühmlichsten Kapitel der Österreichischen Literaturgeschichte
und doch wieder beispielhaft. In der ersten Republik wurde Brecht an Österreichs
Theatern ohne größere Probleme gespielt, es gab keine "allzu
kniffligen Gesinnungsprobleme" (zit. nach W. Mittenzwei). Andererseits
gingen von Brecht kaum größere Impulse auf die Österreichische
Literatur und das Theater aus. In Wien besaß er keine Mannschaft -
wie beispielsweise in Berlin - um mit ihnen die großen Theater
und Kunstinstitutionen, die "großen Apparate" wie Brecht
sagte, zu erobern. Zwischen 1933 und 1938 war kein Brecht mehr an Österreichs
Bühnen zu sehen. Wie im faschistischen Deutschland zählte er zu
den verbotenen Autoren, woran sich klarerweise nach 1938 nichts änderte.
Nach der Befreiung vom Faschismus oder um im Jargon vieler Österreicher
zu reden "nach dem verlorenen Krieg" - es zählt ja auch
zu den nationalen Eigenheiten Österreichs, daß man sich als erstes
Opfer des Faschistischen Deutschlands sieht, andererseits der "verlorene
Krieg" mehr und mehr zum allgemeinen Sprachgebrauch wird - wurde
Brecht erstmals 1946 im Theater an der Josefstadt gespielt. "Der gute
Mensch von Sezuan" mit Paula Wessely in der Titelrolle. Ausgerechnet
jene Burg-Brunzel, die sich zur Zeit des Faschismus als Nazi-Kollaborateurin
und -Denunziantin hervortat, spielte den lange verfemten und als "entartet"
klassifizierten Brecht. Wieder eine exemplarische Geschichte über die
Anatomie der Österreicher/innen: Gummirückgrat und 180°-Wendehälse
als Österreichische Wesensmerkmale. Opportunismus und Schleimerei als
zentrales Dogma. Elfriede Jelineks Stück "Burgtheater" sei
zu diesem Thema wärmstens empfohlen.
Brecht-Aufführungen an Österreichs Theatern kamen nur zäh
und langsam in Gange, als Brecht in den Spielplänen der Theater von
Frankfurt, Paris, London und New York bereits einen festen Platz hatte.
Einzig das Neue Theater an der Scala in Wien mit seinem Leiter Wolfgang
Heinz trat für Brecht ein, und pflegte diesen Autor in jenem Ausmaß,
wie es seiner literarischen Bedeutung auch zukam. Mit dem gewaltsamen Ende
dieses Theaters im Jahre 1956 gab es bis 1963 in Wien kein Brecht-Stück
zu sehen. Das Burgtheater brachte erst 1966 - zehn Jahre nach Brechts
Tod - ein Brecht-Stück heraus. "Das Leben des Galilei"
unter der Regie von Kurt Meisel, in der Hauptrolle des Galilei Curd Jürgens.
Dazu ist anzumerken, daß der Brecht-Boykott in den Länderbühnen
nicht mit der selben Vehemenz durchgezogen wurde wie in Wien. Das Linzer
Landestheater spielte bei der Durchbrechung des Boykotts eine wichtige Vorreiterrolle.
1963 stand die "Mutter Courage und ihre Kinder" unter der Regie
von Harald Benesch auf dem Spielplan. Aber auch diese fortschrittliche Spielplanpolitik
ist Geschichte.
Wie Brecht in Zeiten des kalten Krieges in Österreich von Reaktionären
verhindert werden sollte, so spielt der Brecht-Boykott in der heutigen Brecht-Rezeption
kaum eine Rolle. Es ist Verdienst des Theatermachers und Germanisten Kurt
Palm, dieses Kapitel der literarischen Öffentlichkeit Österreichs
dem Vergessen (auch eine der typisch Österreichischen Seligkeiten,
man kann es nicht oft genug sagen!) zu entreißen. "Vom Boykott
zur Anerkennung - Brecht und Österreich" erschien im Löcker
Verlag. "Was sich vor den Augen des Lesers auftut, ist die heute fast
unbegreiflich erscheinende Geschichte einer literarisch-publizistischen
Aufrüstung, um einen Dichter von Weltgeltung nicht auf den Österreichischen
Bühnen zuzulassen." schreibt Werner Mittenzwei im Vorwort zu Palms
Buch. Mittenzwei hat recht, wenn er meint, daß der Brecht-Boykott
ein literarischer Skandal sondergleichen ist, nicht jedoch, wenn er sagt,
daß dieser Skandal heute unbegreiflich erscheint. Erstens weil sich
solcherlei Zensur wie ein roter Faden durch die Österreichische Literaturgeschichte
zieht, es sei hier nur auf die Auseinandersetzungen zu Achternbusch' "Linz"
verwiesen. Zweitens weil neben dem Trio Friedrich Torberg, Burgtheaterdirektor
Ernst Haeussermann und Hans Weigel als Haupt-Brecht-Verhinderer einer aktiv
war, der es zwar lange verstanden hat, sich mit einem alternativen Mäntelchen
zu tarnen, heute aber dieses abgeworfen hat und zunehmend wieder mit reaktionären,
Blut-und-Boden-faschistischen Äußerungen auftritt. Günter
Nenning, damals Redakteur der seit 1954 erscheinenden Zeitschrift "Forvm".
Heute publiziert Nenning unter anderem in rechtsradikalen Zeitschriften
wie "Aula" oder "Junge Freiheit". Das "Forvm"
wurde unter anderem mit Unterstützung des "Congrès pour
la Liberté de la Culture" ("Kongreß für die
Freiheit der Kultur") herausgegeben. Die "New York Times"
enthüllte Jahre später, daß dieser "Kongreß"
in engem Zusammenhang mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA stand. Neben
Nenning gehörte dem "Forvm" auch der wohl rabiateste Brecht-Gegner
Friedrich Torberg an.
Die massive Kampagne gegen Brecht begann jedoch schon
im Juni 1953, als in der DDR die Bauarbeiter wegen drastisch erhöhter
Arbeitsnormen streikten. Die westlichen Medien hätten gerne einen Arbeiteraufstand
gegen den "Arbeiter- und Bauernstaat" gesehen, zu dem es dann
allerdings nicht gekommen ist. Im Zusammenhang mit den Streiks sprach Brecht
im "Neuen Deutschland" von "allseitig gemachten Fehlern",
andererseits brachte er auch seine Verbundenheit mit der SED zum Ausdruck.
Für die Österreichischen Medien war dies ein gefundenes Fressen.
Der "Wiener Kurier" titelte beispielsweise "Österreicher
Brecht huldigt SED". Die andere Stellungnahme Brechts von den "allseitig
gemachten Fehlern" wurde von allen Medien unter den Tisch gekehrt.
Die sozialdemokratische "Arbeiter Zeitung" verbiß sich am
meisten an Brecht: "Hier ist der Dichter Bert Brecht endgültig
an dem Leichenfraß des Kommunisten Brecht verendet", hieß
es.
1954 stieg dann das "Forvm" voll in die Anti-Brecht Kampagne ein.
Aufgeheizt im Klima des kalten Krieges wurden reihenweise Kampagnen gegen
Brecht geführt, in deren Mittelpunkt immer der Kommunist Brecht stand.
Nenning schrieb damals beispielsweise: "Es ist ein Standpunkt [daß
Brecht im Westen nicht gespielt werden soll], der eingehende Diskussion
verdient: Diskussion unter uns - d.h. unter den rabiaten Antikommunisten.
() Die Teilnahme von Kommunisten ist unerwünscht. () Die Kommunisten
mögen schweigen. Sie haben von der Demokratie keinerlei Freiheiten
zu fordern, nicht einmal die ihrer nackten politischen Existenz, welche
ihnen die Demokratie aus Prinzip und Nützlichkeit dennoch gewährt."
Braune Dreckspuren, die mehr und mehr hervorkommen, hafteten immer schon
an Nenning. Spuren, die er selten verdecken konnte, egal ob er ein Hirschgeweih
aufgesetzt hatte oder gerade gegen das Bundesheer eintrat. Soweit zu einigen
"Highlights" im Zuge des Brecht-Boykotts.
"Palms Buch ist eine rezeptionsgeschichtliche Studie großen Stils,
die in der weltweiten Brecht-Forschung einen respektablen Platz beanspruchen
kann." steht im Vorwort, dem ist nichts hinzuzufügen.
Wie mit Theatern umgegangen wurde, die sich nicht an den Brecht-Boykott
gehalten haben, wurde eingangs schon erwähnt: Das Neue Theater an der
Scala wurde einfach geschleift. Karl Paryla spielte in der letzten Brecht-
Aufführung in der Scala den Galilei. Er, seine Frau Hortense Raky,
der Scala-Leiter Wolfgang Heinz, Erika Pelykowsky, großartige österreichische
BühnenschauspielerInnen, fanden an Brechts Theater, dem "Berliner
Ensemble" eine neue künstlerische Heimat, in Österreich gab
es keine Engagements mehr für diese engagierten Theatermacher.
Ferdl Frühstück