"Nur Deutsche arischer Abstammung" |
Kultur- und Sozialgeschichte des Alpinismus erstmals in Buchform
Daß Sport nicht im gesellschaftsfreien Raum stattfindet, ist eine
Binsenweisheit. Noch jede Sportart bzw. sportliche Veranstaltung konnte
bisher vor beliebige Ziele gespannt werden, jede Sportart unterschiedlichsten
Ideologien zugeordnet werden.
Besonders ideologisch beladen ist, daran hat sich erst in der jüngeren
Geschichte ein wenig geändert, der Alpinismus. Einerseits wegen dessen
sportimmanenten Traditionen: Haltungen wie Kameradschaft und Treue bis
in den Tod, das bedingungslose Akzeptieren von Lebensgefahr, ständiger
Wettkampf mit sich und anderen (nicht im sportlichen Vergleich, sondern
im Sinne von imperialistischer Eroberung). Andererseits ist auch die organisatorische
Ebene des Alpinismus von einer Konzeption, die den politischer Ausdruck
reaktionärster Ideologien darstellt.
Rainer Amstädter, Historiker und staatlich geprüfter Bergführer,
hat nun ein wissenschaftliches Werk vorgelegt, in dem er die politischen,
ideologischen und kulturellen Traditionen des Alpinismus zum Forschungsgegenstand
erhoben hat. Eine längst überfällige Arbeit, die in den
alpinen Zusammenhängen (vor allem im Österreichischen Alpenverein,
dessen Mitglied Amstädter ist) nicht immer auf Gegenliebe gestoßen
ist.
"Der Alpinismus: Kultur - Organisation - Geschichte" ist die
bisher einzige umfassende Kultur-, Sozial- und Ideologiegeschichte des
Alpinismus seit seinen Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Wobei der Beginn des 20. Jahrhunderts, wohl auch ob seiner politischen
Bedeutsamkeit, sicherlich den Schwerpunkt des Forschungsfeldes ausmacht.
Amstädter hat sich seine Forschungen nicht leicht gemacht: Die Frage
beispielsweise, weshalb die großen alpinen Verbände in Österreich
(Österreichischer Gebirgsverein und Österreichischer Touristenklub
als Sektionen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins DÖAV)
bereits Mitte der zwanziger Jahre einen aggressiven Tat-Antisemitismus
entwickelten, leitet der Autor ideologie- und geistesgeschichtlich her.
Vom deutschen Idealismus und dessen kulturellen Ausdruck der deutschen
Romantik, deren Ästhetisierung der Natur und deren Transformation
zum deutschen Nationalismus. Von den geistigen Wurzeln des Alpinismus,
der Verherrlichung der Einsamkeit, dem "Wagemut des Bürgerlichen
Individualismus" bis hin zu Nietzsches Lebensphilosophie und dessen
Herrenmenschentum. All diese geistigen Strömungen fanden im Alpinismus
seine "sportlichen" und politischen Entsprechungen. Vom Eroberungsalpinismus
der "Gipfelstürmer" der frühen Jahre über den
Schwierigkeitsalpinismus bis hin zu Gefahrenalpinismus.
Politische Entsprechung dieser Haltungen und Ideologien war ein weit verbreiteter
Antisemitismus in den Alpinen Verbänden (einzige Ausnahme: die sozialdemokratischen
"Naturfreunde", die 1934 vom präfaschistischen Ständestaat
verboten wurden), der darin gipfelte, daß die Sektion Austria des
DÖAV bereits 1905 in ihrem Statut festlegte: "Mitglieder können
nur Deutsche arischer Abstammung werden". Ein Antisemitismus, der
sich in den meisten Sektionen des DÖAV durchsetzte (mit Ausnahme der
Sektion Donauland, die vorwiegend von jüdischen Mitgliedern frequentiert,
und 1924 aus dem DÖAV ausgeschlossen wurde). Es verwundert nicht,
daß eine allgemeine Faschisierung des Alpenvereins die logische Folge
war, daß der DÖAV als wesentliches Standbein faschistischer
Politik und Kultur in Österreich wirkte, wesentliche Kaderschmiede
der Nazis war und zum willigen Vollstrecker des totalen Krieges wurde.
Wesentlich an der Arbeit Amstädters scheint auch neben der
geistesgeschichtlichen und politischen Analyse, daß er Funktion und
Wirken der scheinbar wichtigsten Vertreter des Österreichischen Alpinismus
entzaubert. Viele von ihnen sind zwar durch ihre Erstbegehungen bekannt,
ihre zweifelhaften Biographien und ihre politischen Positionen und Aktionen
nicht. So Eduard Pichl, einer der wesentlichen Einpeitscher nationalsozialistischer
Politik im DÖAV. Oder Hans Schwanda p; in seinen eigenen Publikationen
schien er eher unverdächtig p; der einer der wichtigsten faschistischen
Radio-Propagandisten im DÖAV gewesen ist.
Etwas unterbelichtet in dieser eminent wichtigen Arbeit scheint
Kultur und Politik des Alpinismus in der zweiten Republik, obschon Kapitel
wie "Der österreichische Weg p; Vergessen und Verdrängen"
grundsätzlich die Haltungen und die nicht erfolgten Distanzierungen
von der Politik der Vorgängerorganisation (1945 trennte sich Deutscher
und Österreichischer Alpenverein erstmals) zeigt.
Daß der Österreichische Alpenverein von dieser Arbeit
nicht angetan ist, kann man sich vorstellen. In einer Rezension des Buches
vom ehemaligen ÖAV-Präsidenten Oberwalder wirft er Amstädter
unterschwellig seine AV-Mitgliedschaft vor, denunziert ihn als Nestbeschmutzer,
jammert daß Amstädter nicht das AV-Archiv verwendet hätte
(an die vierzig Seiten Quellenangaben beweisen allerdings eine präzise
und umfassende Recherche). Wissenschaftlich kann er dieser Arbeit nichts
anhaben. Sachliche Kritik findet nicht statt, der aktuelle Vorsitzende
des AV, Peter Grauss, proklamiert sogar (und versteht das als Distanzierung
von der eigenen Vergangenheit): "Er (der AV) ist unpolitisch, die
Erörterung politischer Angelegenheiten liegt außerhalb seiner
Zuständigkeit". Abgesehen davon, daß diese Aussage grundsätzlich
ein äußerst zweifelhaftes Bekenntnis für eine Organisation
ist, impliziert sie, daß der AV weder seine Vergangenheit kritisch
durchleuchten, noch eine wirkliche Distanzierung von Faschismus und Antisemitismus
durchsetzen konnte. Dem Vernehmen nach ist dieses Buch für den AK-Wissenschaftspreis
vorgeschlagen. Eine Auszeichnung, die man Buch und Autor nur wünschen
kann.
Für den Rezensenten scheint die grundlegende Motivation des
Autors für diese Untersuchung besonders relevant. Seine "alpine
Sozialisation" erfolgte in den traditionellen - nie hinterfragten
- Werten und Strukturen des Alpenvereins. Erst mit dem Aufkommen der Sportkletterbewegung
in der Achzigerjahren, begann der heldische Alpinismus mit seiner schicksalhaften
Ergebenheit und seinem Masochismus seine Dominanz zu verlieren. Neue Werte
und Haltungen ergriffen Platz, das Sportklettern entwickelte eine völlig
neue Ethik. Es wäre ein interessantes Feld der Forschung, eben diese
Paradigmenwechsen in diesen Sportarten zu untersuchen.
Ferdl Frühstück
Rainer Amstädter, Der Alpinismus: Kultur -
Organisation - Politik
WUV-Universitätsverlag, Wien 1996; 672 Seiten, öS 498,-
Februar 97
wir lesen hören schauen linz