Lebens-
Strecken
Er übertrumpfte Absurdität mit Absurdität oder: Über
die Freude daran, Gegensätze zu überwinden. Ein Nachruf auf Bohumil
Hrabal.
... Gleise unterstopfen. Das war eine schöne Arbeit! Ganz verliebt
war ich in den Trupp des Streckenmeisters, die Hälfte davon waren
Wandergesellen, die das europäische Flußsystem durchzogen und
nicht müde wurden, große Wasserläufe stromauf und kleine
Bächlein stromab zu wandern und über Tiroler Flüßchen
zu streiten, die gar nicht auf der Landkarte existieren, und dabei wechselten
wir Schienen aus und unterstopften die Schwellen. Unsere Strecke verlief
in einer Phase längs der Strecke eines anderen Streckenmeisters, wo
wiederum ein Trupp arbeitete, der beim Unterstopfen fortwährend Theater
spielte, denn die meisten waren Laienspieler aus den umliegenden Dörfern.
Als die beiden Trupps dann endlich nebeneinander arbeiteten, ergaben sich
so herrliche Gespräche, daß ich nur staunend lauschen konnte.
1)
Bohumil Hrabal, der "traurige König der tschechischen Literatur",
fiel am Montag den 3. Feber beim Taubenfüttern aus dem Fenster des
Prager Krankenhauses Bulovka, & schon standen die Züge. In den
Medien hieß es zwar: Streik der Eisenbahner (für den sofortigen
Rücktritt des CD-Managements, gegen Entlassungen & gegen die Auflösung
von Bahnlinien etc.), aber ich glaube nicht ganz dieser offiziellen Version.
Die Eisenbahner streikten & die Züge standen still aus Solidarität,
& trauerten um einen der ihren, um einen, der von 1941 bis 1945 bei
der staatlichen Eisenbahn in verschiedenen Stellungen gearbeitet &
später mit seiner Novelle Scharf bewachte Züge (von Ji`´rí
Menzel erfolgreich verfilmt) die tschechische Eisenbahn weltberühmt
gemacht hatte.
Hrabal, 1914 in Brünn geboren & großteils in Nymburk aufgewachsen,
hatte einiges zu bestehen im Leben, auch wenn er von sich sagte, er sei
nur ein Schellen-Ober, der mit der Schelle in der Hand unter der Sonne
spaziere. Er promovierte 1946 zum Doktor der Rechte, war Versicherungsagent,
Handelsreisender, Stahlarbeiter, Altpapierpacker, Kulissenschieber &
Statist (letzteres im S.K. Neumann-Theater im Prager Stadtteil Libe`´n,
in dem er bis 1973 gewohnt hat).
Schon 1948 hätte sein erster Gedichtband, sein Jugendwerk sozusagen,
erscheinen sollen, Verlorenes Gäßchen, Druckerei Hrádek,
Nymburk, Selbstverlag; doch die politischen Veränderungen nach dem
"Siegreichen Februar" hatten auch Auswirkungen auf die Druckerei:
sie wurde verstaatlicht - & es bleiben nur die Bürstenabzüge.
Ji`´rí Kolá`´r (sein Familienname reimt sich
auf Collage, eine bildnerische Technik, die dieser genial weiterentwickelte)
veranlaßte dann 1956 die Publikation der ersten beiden Erzählungen
als bibliophile Ausgabe: Hovory lidí (Gespräche von
Leuten). Erst ab 1963 war Hrabal als freischaffender Schriftsteller tätig.
In den 60er Jahren - bis zum Ende des "Prager Frühlings"
- konnte Hrabal vieles von dem, was er in den 50er Jahren geschrieben hatte,
veröffentlichen & wurde über Verfilmungen seiner Erzählungen
& durch Adaptierungen einiger seiner Texte fürs Theater rasch,
auch international, bekannt.
Am 30. Dezember 1996 war in der Zeitung Lidové noviny ein Foto,
das Hrabal im Krankenbett zeigte (er war wegen starker Gelenks- & Rückenschmerzen
eingeliefert worden), neben ihm an der Bettkante saß Ji`´rí
Menzel, der Regisseur, der gegenwärtig an der Verfilmung des Hrabal-Romans
Ich habe den englischen König bedient arbeitet. Über der
Premiere des Films wird wohl ein Schatten liegen. Der "Stammtischfürst
des Goldenen Tigers", der in seinem Häuschen in Kersko stets
scharenweise Katzen um sich hatte, wollte im Krankenhaus zumindest Vögel
füttern. Er kletterte auf ein Fenstersims & verlor das Gleichgewicht,
den Halt. So sitze ich da und spiele ständig nervös mit den Bierdeckeln,
halte beispielsweise zehn davon in der Hand, wie Spielkarten, mische sie
und lasse sie auf den Tisch fallen, ich trinke bedächtig und setze
dann das Spiel mit den Deckeln und der Strichliste fort. 2)
Sein absurdes Adieu - ist man verleitet zu sagen - entsprach seinem
Leben. Ein Saufkumpan im Goldenen Tiger soll am Montagabend gerufen haben:
"Bohumil ist tot, aber was soll's - so ist das Leben!"
Am 28. März wäre er 83 Jahre alt geworden.
1) Aus: Lob eines Berufes, in: Hommage à Hrabal,
Frankfurt/Main 1989.
2) Aus: Wer ich bin, in: Hommage à Hrabal, a.a.O.
Weitere, noch nicht genannte Bücher von Hrabal: Das Städtchen
am Wasser, Schöntrauer, Hochzeiten im Haus, Harlekins Millionen, Die
Bafler, Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene, Verkaufe
Haus, in dem ich nicht mehr wohnen will.
Das neue Buch von Richard Wall, Steine Spuren Labyrinthe, enthält
einen Text über den verstorbenen Prosadichter: Mit Hrabal in Rybník.