Man muß auch an die Bäume denken
Anregungen zum kollektiven Zeitungslesen
Eugenie Kain
Monatelang haben schwerverdienende Chefredakteure kommentiert, warum
beim Sparpaket ausgerechnet ich geschröpft werden muß. Mir drehen
sie ihre Druckwerke jetzt nicht mehr an. Meine Kaufkraft ist erschöpft.
Rund 1000 Schilling monatlich habe ich vergangenes Jahr für einheimische
Zeitungen ausgegeben. 1997 wird das anders. Dieser Budgetposten ist gestrichen.
Man muß auch an die Bäume denken. Mit dem Sparen ist es wie
mit dem Fasten. Es macht frei. Weg mit dem Ballast, fort mit dem Zeitungseigentum.
In meiner Wohnung werde ich über keine Altpapierstößel
mehr steigen müssen. Fortan lese ich auswärts. Das verstärkt
den Kontakt zur Umwelt, schärft den Blick für den öffentlichen
Raum und verschafft Zusatzinformationen.
Freilich bedarf es einer gewissen Umstellung liebgewordener Gewohnheiten.
Für Fahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln führe ich
jetzt einen Krimi im Handgepäck mit. Das Bücherlesen in der Linzer
Straßenbahn ist aber noch verpönter als das Zeitungslesen. Da
gibt es böse Blicke, sperrige Einkaufssackeln, die sie mir zufleiß
auf die Füße stellen und jede Menge Rempler. Da muß ich
durch. Die Erkundungen über öffentliches Zeitungslesen in Linz
sind noch nicht abgeschlossen. Im folgenden ein Zwischenbericht:
Hervorragend
in Service und Angebot sind die Büchereien der Stadt Linz. Für
den schnellen Überblick empfiehlt sich die Urfahraner Bücherei
in der Hauptstraße. Dort liegen die Tageszeitungen und die wichtigsten
Magazine auf, außerdem gibt es allerhand Hochglanzprodukte von "Gusto"
über "Eltern" bis zu "Chip". Man sitzt auf Leder
und Perserteppich wie auf einer Insel, umtost von beruhigenden Büchereigeräuschen.
Kopierer und Kaffeeautomat sind vorhanden, vor der Tür ist die Bushaltestelle.
Der Zeitungsraum in der Hauptbücherei in der Museumstraße liegt
weniger zentral. Er ist ideal für Menschen, die Zeit genug haben,
auch einmal einen ganzen Vormittag abzutauchen. Wir betreten die Bücherei
im Erdgeschoß, gehen an der Anthologieabteilung vorbei in den 1.
Stock, dort liegt hinter dem Gang mit den Schauspielen und Biographien
im letzten Winkel zu linker Hand der Zeitschriftenraum. Das Fenster geht
auf die verkehrsarme Prunerstraße. Bilder, Teppich und Couch auch
hier. Neben heimischen Zeitungen wird vor allem das Deutsche Feuilleton
angeboten. Außerdem liegt eine breite Palette von Fachlektüre
auf: Von "Fisch und Fang" über "Geo", Strickhefteln
bis zu "Theater heute" ist alles da. Wer viel Zeit hat, kann
sich auch noch Linzer Publikationen - das Amtsblatt, die VHS - Zeitung
oder Verlautbarungen des Umweltamtes - zu Gemüte führen. Weil
es sich in beiden Fällen um Büchereien handelt, ist es angeraten,
die Bücherauswahl zu sondieren. Betreuung und Beratung sind hervorragend,
Neuerscheinungen kommen relativ schnell ins Regal, der Preis fürs
Bücherausborgen ist in jedem Fall OK.
Wer's gerne ruhig haben will und dennoch unter vielen Leuten sitzen will,
der ist in der Studienbibliothek beim Schillerplatz gut aufgehoben. Leider
merkt man hier auch am Zeitungsangebot, daß die Studienbibliothek
ein ungebliebtes Stiefkind ist und viel zuwenig Geld bekommt. Es gibt den
Boulevard, die hiesigen schwarz eingefärbten Zeitungen, Regionalausgaben,
ein paar Magazine und Publikationen des Landes OÖ. Die Magazine sind
beim Bibliothekar auszufassen. Andere Zeitschriften muß man sich
bestellen.
Man sitzt auf harten Sesseln in einer Reihe mit den Exzerpierenden, vorne
beim Schalter werden mit gedämpfter Stimme Namen ausgerufen, Leihscheine
gestempelt und die Mittagspause verkündet. Diese Atmosphäre der
ruhigen Geschäftigkeit hat durchaus inspirierende Wirkung.
Ein heißer Tip, wenn mysteriöse Leichenteile aufgetaucht
sind und man in der Umgebung des Südbahnhofmarktes unterwegs ist:
In der Gebietskrankenkasse liegen gleich beim Eingang die Druckschriften,
sowohl des ganz tiefen als auch des gehobenen Boulevards.
Eine andere Möglichkeit kostenlosen Zeitungslesens sind die Schaukästen.
Das sinnliche Vergnügen des Papiergreifens wird hier durch das des
gemeinsamen Lesens mit jemand ganz Wildfremden ersetzt. Allerdings sind
in Linz vor allem die Platzhirschenzeitungen ausgehängt, was die Sinnlichkeit
schwer reduziert. Jammerschade ist es, daß es am Bahnhof keinen "Volksstimme"
- Schaukasten mehr gibt. Den gibt es nur mehr in der Melicharstraße
und auch dort wird er nur unregelmäßig betreut.
In der Bahn tun sich andere Möglichkeiten des Mitlesens von Zeitungen
auf, die immer mehr Menschen in Anspruch nehmen. Das hat mit dem Wandel
der Zeitungen zu tun, deren Beiträge als vorgekaute Junkfoodhäppchen
daherkommen. Also Zugreisenende, aufgepaßt: Die Zeitungen kaufen
die anderen und lassen sie dann liegen. Ab St. Valentin in die eine (Marchtrenk
in die andere) Richtung gibts die ersten OÖN, ab Amstetten oder Attnang
Puchheim bleibt "News" liegen, ab St. Pölten das "profil".
Daß es mehrere ZeitungszusatzverwerterInnen gibt, zeigt sich ab Purkersdorf.
Während sich die einen auf den Ausstieg in Hütteldorf vorbereiten,
machen sich die anderen mit suchendem Blick auf den Weg in die Abteile.
Ertragreich sind auf jeden Fall die Eurocity-Züge. Koffermen spähen
gerne in der 1. Klasse nach der "Neuen Zürcher" und schnappen
dann wie eine grüne Mamba nach der Beute.
Es wäre vermessen zu behaupten, Linz hätte eine Kaffehauskultur.
Es hat nur mehr das Traxlmayr. Ein Tee-Zitrone kostet 25 Schilling, die
"Zeit" gibt es nicht, als Zeitungslesezeit ist am ehesten der
frühe Vormittag geeignet, auch da herrscht ein G'riß um den
"Standard". Das Landgraf ist eine Bar, fürs Zeitungslesen
ist das Licht zu schwach, die Musik zu laut und die Preise zu hoch. Bleibt
in Urfahr nur die Konditorei Hoffelner zur Lektüre der Regenbogenpresse,
und in Linz das sehr empfehlenswerte Gelbe Krokodil, wo auch der "hillinger"
aufliegt.
Das Angebot von Zeitungen im öffentlichen Raum ist inhaltlich natürlich
beschränkt. Gegenöffentlichkeit muß man sich organisieren.
Die "Volksstimme" lese ich mit meiner Großmutter. Außerdem
stehe ich in Kontakt mit Oberösterreichs einzigem Abonnenten des Neuen
Deutschland. Der läßt mir hin und wieder auch die "Berliner
Zeitung" mit ihrer interessanten Leserbriefseite zukommen. Probleme
macht mir der "Falter". Manchmal möchte ich ihn doch nicht
nur beim "Amadeus" durchblättern. Anderseits springen Turnherr
und Pelinka schon wieder auf den Klima auf, was mich dann dazu bewegt,
doch keine Ausnahme zu machen. Für den "Augustin", die Wiener
Obdachlosen-Zeitung lasse ich mir etwas einfallen.
Meinen eingespartenTausender investiere ich in Horizonterweiterung.
Fürs erste habe ich ein Probeabo der Schweizer Wochenzeitung WOZ bestellt.
Die hat noch lange, genaue und grundsätzliche Geschichten, schön
und gut geschrieben, viel Kultur, außerdem die Regionalseiten in
Schwyzerdütsch. Wer Interesse hat, kann sie gerne mitlesen. Ich suche
in Linz französische und spanische Zeitungen und den "Freitag".