so schaut's aus
Laßt euch nicht ins Hirn scheißen

Mein ganz persönliches Problem mit der Dialektik ist es, daß die Leute, die einst versuchten mir die Dialektik beizubringen, zum allergrößten Teil noch leben. Würden sie das nicht, könnte ich weitaus lockerer über Dinge und Zusammenhänge plaudern, die meines Erachtens dialektische sind, und ich könnte (und um das geht es mir eigentlich) halblaut und wie nebenbei, aber doch mit dem Brustton des Durchblickers, manche unangenehme Diskussion mit Bemerkungen wie: "Versucht doch bitte zu begreifen, daß es sich dabei um ein dialektisches Verhältnis handelt" zu einem jähen Ende bringen. Aber solange meine MentorInnen noch am Leben sind fürchte ich bei jedem verfehlten Einsatz des Wortes "dialektisch" ihren Rohrstab, den sie dann, wenn auch nur verbal, auf meinem Rücken tanzen lassen. Damit möchte ich beileibe kein zukünftiges Blutbad ankündigen oder gar rechtfertigen. Ich möchte meine Schwierigkeiten, die ich mit der Dialektik so habe, nur meinem diesmaligen Beitrag voranstellen, da ich meine, in meinen Überlegungen - die ich mir so von Zeit zu Zeit mache - auf so ein Verhältnis, ein dialektisches, gestoßen zu sein. Ein dialektisches Verhältnis zwischen Kapitalismus - Staat und Freier Kulturszene.
Wenn es aber jetzt doch kein dialektisches Verhältnis ist, dann, fürchte ich, wird die marxistisch-hegelianische Philosophie, die in Roland Hochstöger Fleisch geworden ist, über mich herfallen und mich zermalmen. Aber das braucht ja nicht deine Sorge zu sein.

In den ersten beiden Monaten dieses Jahres haben wohl die meisten Kulturinitiativen im Lande ihre Jahreshauptversammlungen und, wo soetwas gemacht wird, auch ihre Klausuren hinter sich gebracht.
Auch ich mache diese Veranstaltungen und Rituale bereits seit geraumer Zeit mit und muß, zumindest da, wo ich einigermaßen Einblick in die Dinge habe, einen gehörigen Wandel innerhalb der letzten Jahre feststellen. Meine Beobachtung ist nämlich die, daß viele Vereine die vielzitierte "Schere im Kopf" entwickelt haben.
Ich meine damit gar nicht so sehr ein im vorauseilendem Gehorsam an den Tag gelegtes Wohlverhalten gegenüber den Subventionsgebern, sondern vielmehr eine Verkennung der eigenen Rollen. Der Rollen, die, meines Erachtens, freien Kulturvereinen oder auch -initiativen in unsere Breiten zukommen. Immer mehr Kulturinitiativen meinen nämlich, ihre Arbeit verstärkt nach quantitativen Kriterien rechtfertigen zu müssen. In Jahresberichten liest man dann hauptsächlich, wieviel Veranstaltungen durchgeführt wurden, wieviel Besucher man durchgeschleust hat, oder wie oft die betreffende Initiative in der Zeitung gestanden ist. Diese Tendenz zur Reduzierung der eigenen Kulturarbeit auf einen Veranstaltungsbetrieb, hat natürlich auch Ursachen und Geschichte, auf die ich allerdings hier nicht detailliert eingehen kann, weil es den mir gewährten Rahmen sprengen würde. Nur soviel sei dazu kurz angerissen: Zur Zeit des organisatorischen Erwachens der Kulturinitiativen - ich setze das jetzt der Einfachheit halber in Oberösterreich mit der Gründung der KUPF vor 13 (15?) Jahren gleich - war es wichtig und gut die eigene Tätigkeit in quantitative Zahlen wie Besucherzahl, Wertschöpfung, Arbeitsplätze, Umwegrentabilität usw. zu fassen. Erst dadurch war es möglich, die Leistungen des Freien Kulturbereiches - auch für bis dahin von kulturellen Belangen relativ unbeleckte EntscheidungsträgerInnen - klar nachvollziehbar darzustellen. Endlich konnte gezeigt werden, was die bis dahin in der öffentlichen Meinung weit unter ihrem Wert gehandelten Kulturinitiativen zu leisten imstande sind. Vor allem konnten auch direkte Vergleiche zu institutionellen bzw. halbstaatlichen Kultureinrichtungen gezogen werden. Diese Vergleiche fielen natürlich überwältigend zugunsten der Freien Szene aus.

Die darauf folgende breite Anerkennung, die uns damals zuteil wurde, führte neben vielerlei anderen Aspekten auch zu einem neuen emotionalen und organisatorischen Selbstverständnis. Kulturinitiativen standen Subventionsgebern nicht mehr hauptsächlich als Bittsteller, sondern vermehrt als wichtige gesellschaftliche Leistungsträger gegenüber, und konnten als solche auch Forderungen stellen.
Das war natürlich ein wichtiger Fortschritt. Plötzlich, so schien es, hatten wir die richtige Kommunikationsebene gefunden, die richtige Sprache getroffen. Was lag näher als diese Sprache fortzuführen, und sie noch zu verfeinern.
Leider hatte dieses neue Selbstverständnis auch seine negativen Seiten. Verwöhnt von plötzlicher Anerkennung veränderte sich auch unser Selbstbild. Natürlich achteten wir immer auch auf diese Zahlen, die sich so wunderbar "verkaufen" ließen, natürlich stellten wir diese Medien und staatlichen Verwaltungsorganen gegenüber in den Vordergrund. Wir wären ja blöd gewesen, hätten wir das nicht getan! Leider haben sich diese Bewertungskriterien aber auch in unseren eigenen Köpfen immer mehr Platz verschafft. So wurden unsere Kulturvereine immer windschlüpfriger und marktkonformer, immer mehr auf "kulturelle Versorgungsbetriebe" getrimmt. Wohlgemerkt: nicht so sehr der Druck der Subventionsgeber war es, der zu einer Änderung in unserer Arbeit, und letztendlich zu einer Verkürzung unseres eigenen Kulturbegriffes geführt hat, sondern vielmehr waren wir selber es, die uns in diese Entwicklung geführt haben. Wir sind uns sozusagen auf den eigenen Leim gegangen.
Es ist nämlich gar nicht die uns alleinig zugedachte Aufgabe in dieser Gesellschaft, für eine gewisse Grundversorgung mit kulturellen Veranstaltungen zu sorgen. Kulturinitiativen sollten nämlich immer auch Experimentierfeld für Organisationsmodelle, Lebensformen, Ressourcenaufschließung, Lean-Management usw. sein.

Jede Gesellschaftsform, und in unserem Falle ist das eben der Kapitalismus - oder wer will: die freie Marktwirtschaft - braucht, um seinen eigenen Fortbestand zu sichern ein gehöriges Maß an Entwicklungsdynamik, da es sonst von einer anderen abgelöst würde. Gelingt es nämlich einer Gesellschaftsform nicht mehr, sich dynamisch an immer neue Bedingungen anzupassen, muß sie zwangsläufig einer neuen (anderen) Gesellschaftsform, der diese Anpassung - wie auch immer - gelingt, weichen .
Da man aber nicht ständig mit der gesamten Gesellschaft Versuchsreihen durchführen kann, braucht es Experimentierfelder, auf denen neue Dinge entwickelt und im Kleinen ausprobiert werden können. Was sich bewährt, wird dann in größerem Stil eingesetzt. Sehr klar zu sehen ist das im Schulbereich. Die staatlichen Regelschulen sind permanent von einer Verknöcherung bedroht, weil sie einen sehr großen, schwerfälligen und von vielen Interessen belagerten Apparat darstellen. Dieser Apparat braucht immer wieder Input von neuen Ideen und Vermittlungskonzepten - eine permanente Blutauffrischung, um nicht zu kollabieren. Diese neuen Konzepte werden zu einem sehr große Teil in Alternativschulen entwickelt und ausprobiert. Dinge, die sich über längere Zeit bewähren, werden dann als Blutkonserve in den Regelbetrieb gepumpt .

Solch ein Experimentierfeld sollten auch Kulturinitiativen darstellen. In der dynamischen Gesellschaftsentwicklung, in der wir leben, besteht ein beinahe unstillbarer Bedarf nach neuen Organisationsformen, neuen emotionalen/sozialen Netzen, neuen Arbeitsmodellen, sinnstiftenden Lebensbereichen und noch vielem anderen.
Dieser Aufgabe des Experimentierens werden wir seit einiger Zeit nicht mehr gerecht. Vielleicht wird daher auch mancherorts beklagt, daß die einstmaligen TrägerInnen einer subkulturellen Bewegung bereits selbst etabliert sind, und man nur noch auf neue Subkulturen hoffen kann. Die ständigen Lamentos, die Freie Szene sei ohnehin schon etabliert, fettgemästet und träge geworden, ist für mich ein untrügliches Zeichen dafür, das wir nicht mehr in der Lage sind, den gewaltigen Appetit nach immer Neuem zu stillen.
Meiner Meinung nach ist es weit ausdringlicher unsere "Experimentierkompetenzen" neu aufzufrischen, als weiterhin Lehrsätze aus bereits bestehenden Management-Schulen auf unsere Anforderungen zu transformieren. Denn sonst wird uns dieses Gesellschaftssystem bald als unbrauchbar ausspucken, weil in Bezug auf Veranstaltungsdichte, Eigenfinanzierungsgrad, Publikumsdurchlauf jedes Mega-Plex weitaus bessere Ergebnisse erzielen wird als wir.
Aber ist es nicht im höchsten Grade subversiv genau das nicht zu tun, was gesellschaftlich von einem erwartet wird?
Und sollen wir wirklich an der permanenten Erneuerung des Kapitalismus mitarbeiten? Natürlich kann das subversiv sein - aber im konkreten Fall ist es das nicht, es ist nur trotzig und ein bisserl naiv.
Außerdem schreibe ich solche Sachen nicht ohne ein kleines Trostpflaster für meine linkslastigen FreundInnen im Sack zu haben - oder wenn man so will auf einen Silberstreifen am Horizont zu verweisen.

Karl Marx, good old Charly, hat einmal geschrieben (und jetzt wird es hoffentlich dialektisch, sonst muß ich nachsitzen), daß der Kapitalismus mit der Zentralisierung von großen Massen an ArbeiterInnen seine eigenen Totengräber erschaffen hat.
Das muß ja jetzt im konkreten Fall gar nicht richtig sein - man wird sich wohl einmal täuschen dürfen - aber die Überlegung scheint mir eine sehr richtige, sie ist in der Menschheitsgeschichte auch mehrfach schlüssig nachzuweisen.
Vielleicht gelingt es vielen Experimentierfeldern, die der Kapitalismus zu seiner stetigen Umgestaltung braucht, ihn selbst letztendlich zu überwinden. Vielleicht kommt bei der ganzen Experimentiererei heraus, daß man eine gänzlich neue Gesellschaftsform braucht, weil die alte sich als unbrauchbar erwiesen hat.
Da tät ich mich natürlich narrisch freuen.
Roland Hochstöger ist Angestellter der KPÖ in Oberösterreich. Wenn Du irgendwelche politischen oder philosophischen Fragen hast, oder Du wissen willst, wie das letzte Fußballmatsch ausgegangen ist, kannst Du ihn gerne anrufen. 0732/652589 ist seine Telefonnummer.
Oder wie Reiter Martin immer zu sagen pflegt: Wenn man sich die eigenen Presseaussendung glaubt, sollte man sich rasch etwas überlegen, ehe man überschnappt.
Für Gesellschaftsformen gab es sozusagen noch nie eine Krankenversicherung, geschweige denn eine Pension, wenn die nicht mehr voll funktionieren, sind sie weg vom Fenster - gnadenlos. Gesellschaftsformen lebten sozusagen immer schon im schlimmsten Kapitalismus, auch als es diesen noch gar nicht gab.
Daher hört man auch alle paar Jahre etwas neues vom "Pädagogik-Markt". Waldorf, Montessorie, Anti-Pädagogik udgm. Weil es immer etwas Neues geben muß!
Die IG-Kultur hat dazu in ihrer Reihe "Kultur-Risse" vor einigen Monaten eine recht interessante Broschüre herausgebracht: "Arbeit.Kulur.Arbeit". Zu bestellen bei IG Kultur Österreich, Theobaldgasse 8/4a, 1060 Wien.


Leserbrief zum letzten so schaut's aus: "Da wird ein kleiner auch einmal wild"


März 97

wir lesen hören schauen linz