"Männer dürfen scheinbar alles
und Frauen nichts."
Ein Interview mit Serap Reiner,
Hausmeisterin, 31


Sie sind Hausmeisterin in einem Wiener Wohnhaus mit über 70 Wohnungen. Wie sieht ein Arbeitstag bei Ihnen aus?
In erster Linie ist das Haus sauber zu halten. Im Sommer muß außerdem der Rasen gegossen und gemäht werden, und im Winter ist der Gehsteig zu räumen. Wobei mir mein Mann sehr bei der Arbeit hilft. Der Rasen, die Garage und der Gehsteig gehören ihm. Er hat als Polizist einen Radldienst und ist deshalb tagsüber oft zuhause.
Wie kamen Sie zu dieser Hausmeister-Stelle?
Durch Zufall. Ich habe Verkäuferin bei Julius Meinl gelernt. Nach meinem ersten Kind bin ich zuhause geblieben, dann wurde ich ein zweites Mal schwanger. Nachdem mein Mann aus seiner ersten Ehe schon zwei Kinder hatte und Alimente zahlen mußte, wurde es mit den Finanzen knapp. Aber mit zwei Kindern im Verkauf zu arbeiten war unmöglich. Deshalb hat mich mein Mann gefragt, ob ich nicht den Hausmeister machen würde.
Meine Mutter ist Hausbesorgerin, also habe ich ungefähr gewußt, was mich erwartet. Ich hatte am Anfang nur Bauchweh, wie die Leute im Haus sein würden. Aber wir haben zum Großteil sehr nette, freundliche Mieter. Die Kinder sind das größere Problem. Der Spielplatz ist von lauter Häusern umgeben, deshalb hallt es im Innenhof sehr ­p;p; und dann kommen die Leute oft zu uns und verlangen, daß wir den Lärm abstellen.
Gelten Sie im Haus als eine Respektsperson?
Mein Mann vielleicht, ich sicher nicht. Mit den meisten Leuten habe ich einen sehr freundschaftlichen Umgang. Es gibt ja viele Kinder im Haus, und nachdem ich selbst zwei Kinder habe, sitze ich viel mit den anderen Müttern am Spielplatz. Da bin ich sicher keine Respektsperson.
War es schwer, eine freie Stelle zu finden?
Wir haben uns bei Baustellen umgesehen und an die jeweiligen Hausverwaltungen geschrieben. Doch viele stellen gar keine Hausmeister mehr an, sondern beauftragen statt dessen eine Firma. Und bei der Gemeinde wollte ich nicht arbeiten, weil es in den Gemeindebauten immer so fürchterlich ausschaut. Schließlich hatten wir Glück, nach zwei Jahren hat uns eine Genossenschaft dieses Haus hier angeboten. Im August sind wir eingezogen, im September sind dann die ersten Mieter nachgekommen.
Sie machen diesen Job nun schon einige Jahre. Macht Ihnen die Arbeit Spaß?
Mein früherer Job hat mir sicher mehr Spaß gemacht. Und es gibt auch Momente, in denen ich gerne wieder etwas anderes machen würde. Zum Beispiel, wenn ich mich wieder einmal furchtbar ärgere, weil ich den Hundekot vom Gehsteig wegputzen muß. Aber wenn dann am Monatsanfang das Geld kommt, ist die Welt wieder in Ordnung. Beim Meinl habe ich 7000 Schilling bekommen, dafür mußte ich von sieben Uhr in der Früh bis um halb sieben am Abend dort sein. Jetzt bin ich viel bei meinen Kindern zuhause und verdiene sogar mehr als früher, die Dienstwohnung noch gar nicht mitgerechnet. Für eine Wohnung in dieser Größe zahlt man bei uns im Haus immerhin 3000 Schilling.


Haben Sie als Hausmeisterin jemals Feierabend?
Die Leute kommen mit allem möglichen, wenn eine Glühbirne kaputt ist, wegen der Münzen für die Waschküche, wenn der Aufzug stecken bleibt oder wenn das Garagentor klemmt. Und das kommt natürlich auch am Samstag oder am Sonntag vor. Trotzdem finde ich, daß dieser Job sehr familienfreundlich ist. Denn in der Regel kann ich mir die Arbeit einteilen. Manchmal arbeite ich am Vormittag und manchmal am Nachmittag. Und wenn meine Kinder krank sind, bin ich zuhause oder zumindest ganz in der Nähe. Das ist ein großer Vorteil: Ich sehe das ja bei meiner Freundin. Wenn deren Kinder krank sind, muß sie Pflegeurlaub oder Urlaub nehmen. Wenn der erschöpft ist, kommen die Verwandten dran. Das ist jedesmal ein Drama.
Welche Nachteile hat dieser Job für Sie?
Das einzig problematische ist der Urlaub. Da müssen wir uns immer eine Vertretung suchen. Meistens zieht meine Schwägerin ­p;p; sie wohnt nur ein paar Straßen weiter ­p;p; für vier oder fünf Wochen hierher.
Das Putzen an sich stört Sie nicht?
Nachdem meine Mutter das schon seit zwanzig Jahren macht, bin ich daran gewöhnt. Mein Mann und ich haben ohnedies vor, diese Arbeit nur noch drei bis vier Jahre zu machen, weil sie körperlich doch eher belastend ist. Gerade am Anfang hatte ich oft Kreuzschmerzen.
Welchen anderen Beruf könnten Sie sich vorstellen?
Als Mädchen hatte ich den Wunsch, Kindergärtnerin zu werden. Seit ich selbst zwei Kinder habe, bin ich allerdings davon abgekommen. Eine andere Möglichkeit wäre, etwas in Richtung Dolmetscher zu machen. Ich bin zwar in Österreich zur Schule gegangen, aber eigentlich bin ich eine geborene Türkin. Zu Hause wurde nur Türkisch gesprochen, sodaß ich diese Sprache heute perfekt beherrsche. Freilich ist es nicht einfach, etwas Passendes zu finden. Mein Mann hat mir gesagt, daß es allein bei der Polizei 45 Dolmetscher gibt. Eine andere Möglichkeit wäre, es in einem Spital zu versuchen. Aber darüber zerbreche ich mir den Kopf, wenn es soweit ist.
Was halten Ihre Freunde und Bekannten von Ihrem Job als Hausmeisterin?
Vor allem die älteren Leute reagieren meist sehr positiv, sie sagen: Recht habt ihr, ihr seid gescheit. Die Jüngeren hingegen schlucken erst einmal. Das habe ich erst vor kurzem bei unserem Klassentreffen gemerkt. Vielleicht hängt es von der Bildung ab, ob sich jemand zu gut ist für diese Arbeit oder nicht.
Interessant ist auch, daß die österreichischen Freunde eher reserviert reagieren, während die türkischen ganz begeistert sind, wenn sie unsere Dienstwohnung sehen. Nur meine Mutter drängt mich immer wieder, daß ich mit dieser Arbeit bald aufhöre. Wahrscheinlich deshalb, weil sie weiß, wie mühsam sie ist, aber auch weil es in der Türkei sehr wichtig ist, daß man gesellschaftlich etwas darstellt. Meine Verwandten in der Türkei sind überhaupt völlig entsetzt, wenn sie erfahren, daß ich Hausmeisterin bin.
Warum?
In der Türkei sind Hausmeister sehr arme und sehr schlecht angesehene Leute. Sie kommen meist vom Land in die Stadt, wo sie dann in einem Loch im Keller leben; sie sind eine Art von Sklaven und müssen alles machen, zum Beispiel einkaufen oder von Haus zu Haus gehen und den Müll einsammeln. Und so wie man in Österreich sagt, du bist wie ein Sandler angezogen, so sagt man in der Türkei, du bist wie ein Hausmeister angezogen.
Welche beruflichen Möglichkeiten hätten Sie als Frau in der Türkei?
Das kommt darauf an. In Istanbul hat sich schon sehr viel verändert, nicht aber auf dem Land. Bei unserem vergangenen Türkei-Aufenthalt haben wir uns einen Jeep ausgeborgt, um ein bißchen in die Dörfer zu fahren. Ich war wirklich schockiert, als ich gesehen habe, wie die Männer im Teehaus sitzen, während sich die Frauen abrackern. Ich habe dann mit dem Chef eines Kaffeehauses gesprochen, und der hat gemeint: Was willst Du, die sind zufrieden, die wollen nichts anderes. Aber da möchte ich gerne auch einmal eine Frau fragen, ob sie das wirklich so will.
Haben Sie noch viel Kontakt zu Ihren türkischen Verwandten und Freunden?
Das ist eine komplizierte Geschichte. Als ich meinen heutigen Mann kennengelernt habe, war das für meine Eltern ein Riesentragödie, sie waren total gegen einen Christen. Meine Großmutter ist extra aus der Türkei gekommen und wollte mich mitnehmen. Das haben wir noch so halbwegs hingekriegt, bis meine Eltern erfahren haben, daß mein Mann schon einmal verheiratet war. Von da an wollten sie nichts mehr von mir wissen.
Ich weiß noch gut, es war an einem Donnerstag, am Freitag sollten wir in die Türkei fahren. Als mich mein Mann an diesem Tag in der Früh abgeholt hat, habe ich zu ihm gesagt, wenn wir heute nichts unternehmen, sieht du mich nie wieder. Ich hatte schon lange vorher heimlich um die Staatsbürgerschaft angesucht. Also sind wir aufs Standesamt und haben gesagt, wir möchten so schnell wie möglich heiraten. Ich bin nur noch kurz zurück ins Geschäft, habe mir die Haare gewaschen, und in der Mittagspause haben wir geheiratet.
Wie haben Ihre Eltern diese Nachricht aufgenommen?
Am Abend ist mein Mann mit der Heiratsurkunde zu meinen Eltern hingefahren, ich selbst habe mich nicht getraut. Mein Vater hat sich so aufgeregt, daß in der Nacht sein Magengeschwür aufgebrochen ist. Meine Mutter hat mich am nächsten Tag in der Arbeit angerufen und mit den ärgsten Worten beschimpft. Sie hat gesagt, daß sie von nun an keine Tochter mehr hat und daß sie mein ganzes Gewand verbrennen wird. Ein halbes Jahr lang hat sich niemand gemeldet. Dann hat meine Mutter angerufen und gefragt, ob ich meine Sachen holen komme oder ob sie sie mir bringen soll. Seither haben wir wieder Kontakt, aber wir haben nie mehr über dieses Thema gesprochen. Nur die Familie meines Vaters hat den Kontakt völlig abgebrochen, obwohl das ganze jetzt zwölf Jahre her ist.
Haben Sie mit so einer Reaktion gerechnet?
Ich hätte mir nie gedacht, daß meine Eltern so reagieren würden. Sie waren schon seit zwanzig Jahren in Österreich, außerdem sind beide nicht sehr religiös. Meine Mutter trägt kein Kopftuch und beide essen sie Wurst. Aber der Druck der Gesellschaft war zu groß. Meine Mutter hat gesagt, daß sie niemandem mehr in die Augen schauen konnte. Bei meinem Bruder war das alles nicht so schlimm. Er hat einige österreichische Freundinnen gehabt, das war überhaupt kein Problem. Mittlerweile ist er mit einer Türkin verheiratet, die ein Kopftuch trägt, und die würden sie jetzt am liebsten in einen Käfig sperren. Männer dürfen scheinbar alles und Frauen nichts.



April 97
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