Wenn wir ein Kunstwerk als erhaben bezeichnen, weil es uns - obwohl
und weil selbst nicht so recht begreiflich - unser allgemeinmenschliches
Vermögen, überhaupt irgend etwas zu begreifen, vor Augen führt,
dann hat sich VP-Klubobmann Andreas Khol ein Werk von erheblicher Erhabenheit
geschaffen: den Verfassungsbogen. Er spricht sehr gerne und voll Bewunderung
für seinen schillernden Bedeutungsreichtum von ihm. Begriffen hat
ihn aber der Baumeister ebensowenig wie wir andere auch. Dies Bauwerk ist
- wie sich zeigen wird - dermaßen unbegreiflich, daß man nicht
einmal sicher sein kann, ob man gerade darunter, davor oder überhaupt
daneben steht.
Politik als die Kunst des Unbegreiflichen macht vieles möglich: Andreas
Khol etwa gilt, wenn er auch gerade daneben steht, nicht als der Blöde.
Wir anderen können, wenn auch gerade schön mittig darunter stehend,
bei entsprechender Nachrede jederzeit blöde dastehen. Wir anderen,
das sind zum Beispiel jene Zeitschriften, die sich alternativ nennen, weil
sie ihre Aufgabe nicht vornehmlich in der Herstellung von und in der Bewährung
auf Märkten sehen, sondern in der Herstellung von und in der Bewährung
in Öffentlichkeiten.
Zu dieser Aufgabenstellung gehört auch und gerade die Verbreitung
solcher Informationen und Gedanken, die nicht dem medialen und politischen
"Mainstream" entsprechen. Dies ist: "staatsbürgerliche
Bildung" wie vom Bundesgesetz über die Förderung politischer
Bildungsarbeit und Publizistik verlangt.
Zu dieser Aufgabenstellung gehört auch jene Markt-Ignoranz, die partielle
Markt-Untauglichkeit unweigerlich zur Folge hat. Dies ist: Förderungsbedarf,
wie vom zitierten Bundesgesetz vorausgesetzt und auch verlangt.
Herr Khol möchte aber am liebsten nur solche Zeitschriften gefördert
sehen, die seiner eigenen Meinung (unter den Verfassungsbogen imaginiert)
entsprechen. Zeitschriften, die ihrer publizistischen Aufgabe redlich,
wenn auch nicht nach dem Geschmack Khols (sohin außerhalb des Verfassungsbogens
imaginiert) nachkommen, möchte er dafür bestraft und von der
Förderungsliste gestrichen sehen - leider bereits in zwei aufeinanderfolgenden
Jahren mit teilweisem Erfolg.
Anläßlich der Beschlußfassung über die Publizistikförderung
1996 setzte Khol die Zeitschriften AUF, Lambda-Nachrichten, an.schläge,
ArbeiterInnenstandpunkt, Die Alternative, akin, Juridikum, Revolutionärer
Marxismus, ZOOM, UNITAT und Rosa-Lila Buschtrommel auf seine "schwarze
Liste".
Diese elf Zeitschriften waren vom überparteilichen Beirat zur Förderung
empfohlen worden. In Tatgemeinschaft mit den ÖVP-Mitgliedern der Bundesregierung
ließ Khol die Beschlußfassung im Ministerrat blockieren, um
die Streichung der ihm mißliebigen Zeitschriften, unbekümmert
um die gesetzlichen Grundlagen, durchzusetzen. Man beachte hier und im
folgenden die Position der Handelnden zum Verfassungsbogen!
Nach Verhandlungen mit SPÖ-Klubobmann Kostelka, Interventionen seitens
der Journalistengewerkschaft, der IG Autorinnen und Autoren, der betroffenen
und mancher nicht betroffenen Zeitschriften, nach parlamentarischen Anfragen
und Stellungnahmen der Grünen und des Liberalen Forums sowie Protestkundgebungen
der Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften (VAZ) vor dem
Kanzleramt lautete der Beschluß des Ministerrates vom 10. Dezember
1996: Die Zeitschriften akin, Die Alternative und ZOOM wurden aus der Förderungsliste
gestrichen, die übrigen wurden - für dieses Jahr - verschont.
Der ÖVP ist es damit zum zweiten Mal in dieser Angelegenheit gelungen,
in der Bundesregierung einen unserer Ansicht nach gesetzesbrecherischen
Willkürakt zu erpressen. Denn - das muß hier nochmals gesagt
werden - die Publizistikförderung ist gesetzlich geregelt, die Bundesregierung
ist zwar nicht an das Gutachten des Beirates, wohl aber an die Kriterien
des Gesetzes gebunden. Sie hat die Gründe ihrer Entscheidung auch
darzulegen - und zwar dem Hauptausschuß des Nationalrates.
Dabei geriet die Bundesregierung schon anläßlich der Berichterstattung
über das vorangegangene Förderungsjahr in erhebliche Verlegenheit:
über die Gründe der - nach dem gleichen Muster von der ÖVP
betriebenen - Nichtförderung der Zeitschriften akin, EKG, ZAM und
UNITAT konnte sie schon damals keine Auskunft geben. Bis Ende März
dieses Jahres wird die Bundesregierung dem Nationalrat wieder über
ihren Gesetzes- und Verfassungsbruch zu berichten haben.
Die Damen und Herren Abgeordneten mögen reiflich erwägen und
beurteilen, wer nun der Erhabenheit des Verfassungsbogens besser gewachsen
war: jene Zeitschriften, die ihre Aufgabe in der und sogar für die
Republik, wenngleich vom Erhabenen wenig beeindruckt, mit Anstand wahrnehmen,
oder jene Politiker, die, berauscht von der Erhabenheit ihrer ideologischen
Neubauten, die Fundamente der Republik, ihre Gesetze und ihre alte Verfassung
ohne Schnörkel und Bogen untergraben, wie und wo es ihnen gerade gefällt.
Robert Zöchling ist Obmann der Vereinigung alternativer Zeitungen
und Zeitschriften (VAZ).
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und des STANDARD (erschienen
unter der Rubrik: "Kommentar der anderen" am Mittwoch, 19. März
1997, Seite 29)