EU-TAGEBUCH MAI '97
geführt von Eugénie Kain
Im Mai gibt es einige Fixtermine an der frischen Luft: Den 1. Mai, die Befreiungsfeier im KZ - Mauthausen, die Fronleichnamsprozession für Gläubige, den Wiener Marathon für SportlerInnen. Zu diesen Fixterminen ist heuer noch eine Demo für die Erhaltung der Neutralität gekommen. Zur Zeit gibt es nämlich eine Neutralitätsdebatte. Die Koalitionsregierung möchte sich der Neutralität entledigen und zur Gänze in die NATO rein. Die ÖVP ganz schnell, die SPÖ erst nach gründlicher Überlegung, aber "als Neutralitäts - Fundi" will Kanzler Klima keinesfalls angesehen werden. Nächstes Jahr soll die Entscheidung fallen, nein sie muß. Entscheidende Weichen gegen die Neutralität werden im Hochsommer gestellt werden, wenn die Bevölkerung entweder die Hitzewelle oder den verregneten Sommer im Kopf hat. Weil aber noch immer nicht alle so blöd sind wie das Klima, Schüssel, Haider und Heide gerne hätten, wird wieder demonstriert.
In Linz ist der Schillerpark Treffpunkt für die Demo. Frühsommerliche Temperaturen; erfreulich viele Menschen sind gekommen. Einige waren schon jahrelang auf keiner Demonstration mehr. Wir gehen vor den Kurden. Auch bei den lahmarschigsten Demohatschern strahlt der "Kurdenblock" Engagement und drive aus. Aber heute handelt es sich generell um eine flotte, fröhliche, gescheite Demonstration. Natürlich ist die Erfahrung einiger Pioniere der Friedensbewegung spürbar. Friiieden schaffen ohohne Waffen, der Kanzler sagt ...... das war ein bißchen leise ..... Ja mei, wenn man das nicht mag, hätte man selbst im Demovorbereitungskomitee aktiv werden müssen..Das Landstraßenvolk hat etwas zum Gaffen. Ein Problem sind wieder einmal die gutmeinenden Wichtigmacher. Die Kurden schreien: "Hoch die internationale Solidarität". Kommt ein "Friedensbewegter", graugelockt, mit Bermudashorts und Neutralitätspickerl dahergerannt, ringt die Hände und fragt die Kurden, warum sie gerade bei dieser Demonstration diese Losung schreien müssen. Die Kurden verstehen nicht recht, was er meint, wir auch nicht, die Kurden schreien dann : "Nein zur Nato, nein zur WEU", aber in der Schmidtorgasse, wo es schön hallert, schreien wir alle wieder: "Hoch die internationale Solidarität", weil schließlich Frieden etwas mit Solidarität zu tun hat und umgekehrt.
Die Schlußkundgebung findet am alten Markt statt. Der Moderator
will, daß wir auch den Landeshauptmannstellvertreter und Vorsitzenden
der SPÖ - Oberösterreich begrüßen, weil der bei der
Demo mitgegangen ist. Die SPÖ hätte sehr eindeutig schriftlich
niedergelegt, wie sie zur Neutralität steht, sagt ein Gewerkschafter
ins Mikrofon. Und der ÖGB werde auch darauf achten, daß ...
Boris Lechthaler von der Friedenswerkstatt appelliert unter anderem "Schreibt
Leserbriefe!" und beendet die Kundgebung mit einem wunderschönen
Satz, von dem mir leider nur mehr die zweite Hälfte in Erinnerung
geblieben ist: "... und genießen wir stattdessen die sinnlichen
Früchte der Friedensbewegung". Nach der Abschlußkundgebung
setzen wir uns in einen der Schanigärten am Platz. Von der "neuen"
Rolle der NATO, die bei Gott keine peacekeepende ist, kommen wir schnell
zu den OÖN. Seit Mittwoch, den 14. März propagiert diese Zeitung
: LEGALIZE IT! - Kinderarbeit in der 3. Welt nämlich. "Vielleicht
klingt es resignativ, doch es gibt in der heutigen Zeit der weltweiten
Globalisierung, in der das Hauptaugenmerk auf Aktiengewinnen liegt, so
gut wie keinen Ausweg aus der Kinderarbeit", schreibt die Wirtschaftsjournalistin
Heidi Riepl, um dann zu dem für sie einzig logischen Schluß
zu kommen: "Statt für die ohnehin utopische Abschaffung der Kinderarbeit
zu kämpfen, wäre es daher sinnvoller, die Kinderarbeit zu legalisieren..."
Freund Whudsch hat bei den OÖN angerufen und mit Frau Riepl gesprochen.
Freund Whudsch, selbst Mitglied der Wirtschaftskammer, sagt, diese Frau
sei für keinerlei Argumente zugänglich. Die glaubt, was sie schreibt.
Freund Bernd war in Burma und dort in einem Ziselierbetrieb, in dem Kinder
beschäftigt waren. Mit 10 Jahren sind die Augen der Kinder ruiniert.
Mit "legaler" Arbeit und Arbeitszeiten sind sie eben zwei oder
vier Jahre später blind, verkrüppelt oder vergiftet, jedenfalls
am Ende. Und wenn einmal die Kinderarbeit legalisiert ist, muß die
Kinderprostitution nachziehen. Arbeit schändet nicht. Soll ich der
Frau Riepl biologisch kommen? Sie hat keine Kinder, ich schon, aber darum
geht es nicht, ich bin halt mit ein paar Kindern zwischen 5 und 7 befreundet.
Ich weiß, was sie gerne spielen, wie sie die Welt sehen, was sie
mögen, wovor sie Angst haben. Lebten sie außerhalb der EU und
jenseits der NATO wären sie ein klarer Fall für Fabrik und Plantage.
In Linz sind sie nur Kandidaten für die frühmusikalische Erziehung
(OÖN, 24.5.97) oder potentielle ProduzentInnen von Mitmachgeschichten
für die Mini von der Kinderseite. Dazu sind wir in der EU? Dazu sind
wir in der EU!
Schreibt Leserbriefe! Verbreitet die OÖN vom 14. Mai 1997. Mailt es in die Welt, wenn es geht in die Dritte, was in Linz alles in der Zeitung steht. Zwar werden es die Betroffenen nicht recht lesen können, denn es fehlt das Geld für die allgemeine Schulpflicht, "das erst wieder von den Kindern verdient werden müßte", aber mit der ausgeprägten Sinnlichkeit der Analphabeten werden sie wunderbare Geschichten über unser Land erzählen. Die Kinder, die ihre Jugend überleben, werden vielleicht einmal mit uns reden wollen und zu uns kommen. Deswegen müssen wir schnell in die NATO. Die weiß, wo der neue Feind steht.