CAROLYN HAINES

Am Ende dieses Sommers
(Summer of the Redeemers)
U.S.A./1994, Verlag: Gustav Lübbe
Bewertung: ****

Die amerikanische Schriftstellerin Carolyn Haines legt mit "Am Ende dieses Sommers" ein beeindruckendes Debut vor. Selbst in Mississippi aufgewachsen, lebt sie heute in Alabama.

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DIE GESTÖRTE NACHTIGALL
Haines läßt uns nochmals die pubertär traumatische Erkenntnis von Unschuldslämmern und Wölfen im Schafspelz verdauen. Aber als äußerst schmackhafte Kost.
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Schon der erste Satz verheißt Unheil - beklemmendes Unheil. Baby Maebelle V. verschwindet und läßt die dreizehnjährige Rebekka Rich den vergangenen Sommer aufspulen. Und mit diesem Auftakt taucht der Leser in das schwüle, vor saftiger Natur strotzende Mississippi des Jahres ´63. Rebekka verspricht sich faule Tage an der rot lehmigen Kali Oka Road und erfrischende Abenteuer am Cry Baby Creek; einem magischen Flußabschnitt, an dem zehn Jahre zuvor die Leiche eines Babys gefunden wurde. Aber aus dem hang loose-Sommer wird nichts.
In die verfallene Kirche nahe des Flusses zieht eine gespenstisch mysteriöse Sekte, die als Komunikationsmittel zur Umwelt Agression und Zerstörung wählt. Das programmiert natürlich folgenschwere Zusammenstöße zwischen Sektenmitgliedern und der naiv-blauäugigen Rebekka, deren Hirngespinste sich allmählich in abstruse Wahrheiten verwandeln. Ihr einziger Segen hängt an Nadine, beziehungsweise einem ihrer Pferde. Nadine hat sich auch gerade erst an der Kali Oka Road angesiedelt. Ihre wahre Identität - abartige Haltung der Pferde, Vorliebe für minderjährige Jungs - schält sich erst allmählich aus der freundschaftlichen Frau. Kaum hat Rebekka einmal Blut gerochen, ist sie gleicher Maßen von Abenteuerlust und Neugierde fasziniert, gleichzeitig aber auch abgestoßen von der Erkenntnis, welche Kaltblütigkeit im Menschen steckt. Die Beklemmung verdichtet sich, als ein Notizbuch auftaucht, das über die Geschäfte der Sekte mit Babys, die noch dazu vom Priester der Sekte stammen sollen, Aufschluß gibt. Rebekka fühlt sich alleinegelassen mit ihren ernüchternden Erkenntnissen, denn an ihre Eltern kann sie sich nicht wenden. Die tragen gerade selbst einen Fight aus. Im absoluten Höhepunkt der Ereignisse schließt sich der Rahmen und der Leser erfährt den überraschenden Grund der Baby-Entführung.
Rebekka hat die Erkenntnis gewonnen, daß der Lauf der Welt komplexer und unbezwingbarer ist, als angenommen. Sie hat sowohl dem Guten, als auch dem Bösen die Maske abgenommen und zeigt, wie leicht sich selbst der erfahrene Mensch täuschen läßt.

Carolyn Haines hat ihren Roman aus Gegensätzen aufgebaut, die sich zu einer Einheit ergänzen: Gut-Böse, Liebe-Haß, Unschuld-Schuld, Angst-Neugier. Aber vor allem wird die Story von der Gefahr des Vorurteils durchzogen. Gleich wie in Harper Lees "Wer die Nachtigall stört" wartet ein Schwarzer im Gefängnis auf seine verhandlungslose Verurteilung. In Lees Roman das Hauptereignis, setzt Haines es als nebensächlich geführtes Synomym für das Vorurteil ein.
Am Ende dieses Sommers hat eine Angel ausgelegt und wer anbeißt, ist hoffnungsvoll gefangen. Es beginnt wie eine langsame Strömung, die in ihrer Wärme und Geborgenheit unwiderstehlich ist. Je stärker man von dem Strudel hinabgezogen wird, umso reißender und kälter wird es auch. Zwischendurch läßt die Spannung locker, aber nur, um ein paar Seiten später um so überraschender wieder zuzuschlagen.

Astrid Bartsch


Sommer 97

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