Dr. Hans G. Zeger
ARGE
DATEN
Ungeklärte Kriminalfälle, aber auch international diskutiertes "organisiertes Verbrechen" lassen den Ruf nach neuen, "effizienten" Polizeimethoden laut werden. Rasterfahndung, pardon: Verknüpfungsabfrage, Lauschangriff und Kronzeugenregelung sind plötzlich salonfähig geworden.
Was soll's, wenn rechtsstaatliche Prinzipien über Bord gehen, wenn's
nur der Verbrechensaufklärung dient. Auch heute schränken Personenkontrollen,
Hausdurchsuchung und Befragung das Recht auf Privatsphäre ein. Helfen
die neuen Methoden wirklich? Oder gilt es bloß Aktivität - und
sei es nur Scheinaktivität - zu entfalten, um eine - zu Recht - aufgebrachte
und verunsicherte Öffentlichkeit zu beruhigen.
Üblicherweise ist die Polizei nicht verlegen, bei entsprechenden Leistungsschauen
die Effizienz ihrer Geräte und Mannschaften unter Beweis zu stellen.
Bei der Rasterfahndung fehlt jedoch bisher jeder nationale oder internationale
Erfolgsnachweis. Bestenfalls sind diffuse und dunkle Andeutungen zu erhalten,
daß "deutsche Terroristen" auf diesem Weg gefaßt
wurden. Wer das konkret gewesen sein soll, wann und unter welchen Umständen,
verliert sich jedoch rasch im Dunkel der Polizei-Mythen.
Tatsächlich wurde der deutsche Terror nicht durch fragwürdige
rechtstaatliche Tricks bekämpft, sondern durch mühevolle kriminalistische
Kleinarbeit und seine völlige Isolierung vom Rest der Bevölkerung.
Mit der Rasterfahnung sollen nun Menschen, die einem mehr oder minder klaren
Täterprofil gleichen, durch elektronischen Abgleich vieler Datenbestände
herausgefiltert und genauer untersucht werden. Menschen, deren einziges
Vergehen darin besteht, ein ähnliches - wohlgemerkt völlig rechtmäßiges
- Verhalten an den Tag zu legen, wie unbekannte und auch nicht weiter exakt
bestimmbare Täter, werden zu Verdächtigen.
Zuerst
sind es schlicht und ergreifend pragmatische Gründe. Die österreichischen
Datenbestände, sowohl der öffentlichen Stellen, als auch der
privaten Unternehmen, sind für Abgleiche der geplanten Art überhaupt
nicht vorbereitet oder geeignet. Selbst das Innenministerium beziffert
die Kosten des Aufbaus einer zentralen Meldeevidenz mit einem dreistelligen
Millionenbetrag. Ein Mehrjahresprojekt, bei dem es nicht einmal darum geht,
verschiedene Daten miteinander zu verknüpfen, sondern an sich gleiche
und einheitlich verwaltete Daten zusammen zu verwalten.
Käme nun der Kriminalist auf die Idee, Kundenkarteien eines Verlages
mit der Sozialversicherungsdatei und dann mit der Kraftfahrzeugevidenz
abzugleichen, würde er staunend feststellen, wie viele ähnlich
klingende Namen und Doppelgänger in Österreich existieren. Hat
er das Pech auf Hubers oder Müllers zu stoßen, dann wird er
überhaupt keine überschaubaren Verdächtigenzahlen herausfiltern
können. Es wäre reinster Zufall, auf diese Weise wesentliche
neue Erkenntnisse zu gewinnen. Roulette eben.
Was soll dann mit derartig gerasteren Personen geschehen? Ist in der Gruppe
tatsächlich der Täter und wird er durch die weiteren Erhebungen
entdeckt, würde dies die Sinnhafitgkeit der Rasterfahndung überzeugend
belegen. Schön, aber unwahrscheinlich.
Im Regelfall wird der Täter nicht entdeckt werden. Was soll nun mit
der Gruppe der Gefilterten passieren? Einfach vergessen wird nicht gehen.
Wie würde die Polizei dastehen, wenn sich nach Jahren herausstellt,
daß der Täter doch in dieser Gruppe war? Also werden die Gefilterten
in Evidenz gehalten werden, vielleicht jahrelang. Hunderte Personen, obwohl
absolut sicher ist, daß maximal einer von ihnen der Täter ist.
Rasterfahndung prodziert massenhaft Verdächtige, wir begeben
ins in eine Gesellschaft der Verdächtigen und Täter. So ist dem
Autor sein Doppelgänger bekannt, der denselben Familiennamen, denselben
Vornamen und praktisch denselben akademischen Grad hat. Zu allem Überdruß
arbeitet der Doppelgänger in derselben Branche.
Die tägliche Verwechslung bei Kunden, Lieferanten und Wirtschaftsdateien
ist garantiert. Glück für den Autor (und den Doppelgänger),
daß keiner von beiden bisher ungewöhnliche Neigungen erkennen
ließ. Im Zeitalter des elektronischen Datenabgleichs wäre dies
wohl auch das wirtschaftliche Ende des zweiten. Dieser käme mit den
Richtigstellungen nicht mehr nach.
Somit wird bei der Diskussion um die Rasterfahnung ein unehrliches Spiel
gespielt. Die Proponenten des Systems verschweigen, daß schon nach
kurzer Zeit der Ruf nach einer umfassenden Umstrukturierung von Dateien
kommen wird, mit der verbindlichen Einführung eines österreichweiten
Personenkennzeichens. Ansonsten sind die Daten nicht abgleichbar.
Neben den pragmatischen Vorbehalten gibt es natürlich wesentlich tiefergehende
rechtsstaatliche Einwände gegen die Rasterfahndung. Bisher konnte
jeder Bürger darauf vertrauen, daß gespeicherte und erhobene
Daten nur zu bestimmten Zwecken benutzt werden und er als Bürger die
- zumindest theoretische Enscheidungsfreiheit hatte - bestimmte Daten,
unter Verzicht auf Leistungen zu bestimmten Zwecken nicht herzugeben.
Das System der Rasterfahndung sprengt dieses Grundprinzip. Nunmehr kann
der Bürger nicht mehr sicher sein, daß Daten über ihn,
die selbstverständlich auch alt oder falsch sein können, nicht
in völlig beliebigen anderen Zusammenhängen benutzt werden.
So nebenher sei bloß erwähnt, daß eine derartige willkürliche
Nutzung von Daten dem Datenschutzgesetz und seinem Gebot, daß Daten
nur zu bestimmten und vorher genau definierten Zwecken verwendet werden
dürfen, widerspricht.
Fest steht, daß Rasterfahndung ein Massenproblem sein wird, Zehntausende
werden davon betroffen sein. Die Schädigung durch einen Lauschangriff
wird dagegen eine äußerst exklusive Angelegenheit werden. Schon
allein aus Kostengründen, ca. 1 Mio. öS Kosten dürfen für
einen Lauschangriff veranschlagt werden.
Aber auch gegen den Lauschangriff gibt es grundsätzliche Vorbehalte.
Eines unserer rechtsstaatlichen Fundamente ist die Tatsache, daß
der Bürger weitgehend unbeobachtet und anonym in seiner Lebensführung
bleibt und unerkannt seinen täglichen Geschäften und Besorgungen
nachgehen kann.
Diese fundamentale Kennzeichen westlicher Demokratien - ich bleibe unerkannt,
solange ich "vom Staat nichts will" bzw. "der Staat keine
konkreten Ansprüche mir gegenüber hat" - wird durch jede
neue Datensammlung, durch jede neue Datenverknüpfung in Frage gestellt.
Es wurde daher ein Instrumentarium, wie das Datenschutzgesetz geschaffen,
das sicherstellen soll, daß neue Informationssammlungen nur unter
Bedachtnahme auf diese allgemeine Anonymitätsverpflichtung und unter
Berücksichtigung konkreter Anwendungszwecke geschaffen werden können.
Genau dieser Aspekt geht bei der präventiven Sammlung von Information
gegen organisierte Kriminalität (OK), Drogenkartelle, "Mafia"
usw. verloren. Faktisch jedes Verhalten kann auch Keimzelle und Grundlage
für kriminelles Verhalten sein. Einmal angefangen, Information zu
kriminellen Vorgängen nicht in Hinblick auf tatsächliche Straftaten,
sondern auf potentielle Taten zu sammeln, öffnet es der ungehemmten
Informationsansammlung Tür und Tor. Nach jeder - auch in Zukunft zu
erwartenden Straftat - wird man feststellen, daß weitere Punkte in
der Informationssammlung unberücksichtigt blieben, und diese in eine
noch umfassendere Lauschangriffs-Ermächtigung einbeziehen.
Im Kern soll dieses Modell realisieren, was in den 80er Jahren ein deutscher
Innenminister im Zusammenhang mit der Rasterfahndung (elektronischer Datenabgleich
nach allgemeinen Lebenskriterien) drastisch formulierte: "Wir wollen
vor dem Täter am Tatort sein."
Gegen den Lauschangriff sprechen auch simple pragmatische Gründe.
Es ist für Täter bzw. potentielle Täter mit entsprechender
krimineller Energie immer ein leichtes, potentielle Lauschangriffe zu unterlaufen
oder zu stören. Das heißt, so wie heute kein ernsthafter Bankräuber
mit seinem eigenen PKW zum Bankraub fährt, sondern dafür einen
gestohlenen benützt, wird es im Zusammenhang mit OK, Menschenhandel,
Terrorismus eben zur Grundausstattung des "professionellen Repertoires"
gehören, typische Lauschmöglichkeiten durch geeignetes Verhalten
zu unterlaufen (Verschlüsselung, Einrichtung von Störsendern,
...).
Zudem wurden die Strafrahmen, ab denen Rasterfahndung und Lauschangriff möglich sein werden, im Zuge der Diskussion um diese "besonderen Ermittlungsmaßnahmen" schrittweise in den letzten Monaten GESENKT! Der letzte Entwurf erlaubt diese polizeistaatlichen Maßnahmen schon bei Straftaten ab einem Diebstahl in der Höhe von mehr als 25.000.-, das entspricht etwa einem PC. Einem behaupteten Wert, wohlgemerkt, der nicht dem später tatsächlich nachgewiesenen Wert entsprechen muß. Stellt sich im nachhinein heraus, daß es doch etwas weniger war oder werden im Zuge dieser "besonderen Ermittlungsmaßnahmen" weitere, zum Teil kleinere Delikte aufgedeckt, dürfen die Informationen auf jeden Fall, die Beweismittel selbst auch bei relativ geringfügigen Fällen verwertet werden. Österreich präsentiert sich somit als ziemlich alleinstehendes Land, das diese schweren Grundrechtseingriffe schon bei kleinen Delikten erlaubt und praktisch kein Beweisverwertungsverbot kennt.
Faßt man das gesamte Vorhaben zusammen, dann bleiben eigentlich nur zwei Schlußfolgerungen:
Bevor in Österreich die "besonderen Ermittlungsmaßnahmen"
ernsthaft erwogen werden, sollten im Innenministerium ganz zentrale Hausaufgaben
erledigt werden. Organisierte Kriminalität, und darunter verstehe
ich geschäftsähnliche bzw. gewerbliche Strukturen und Einflußnahme
und Funktionalisierung politischer, wirtschaftlicher und staatlicher Stellen,
muß professionell bekämpft werden.
Den entsprechend ausgebildeten OK-Handlangern, oftmals Top-Juristen,
Top-Wirtschaftstreuhändern, Top-Bankfachleuten und Top-Computerspezialisten
sind entsprechende Topleute der Wirtschaftspolizei gegenüber zu stellen.
Die entsprechenden Abteilungen sind massiv mit zusätzlichen Qualifikationsmaßnahmen
und auch personell zu unterstützen. Da diese Form der Kriminalität
im Regelfall unter demselben äußeren Erscheinungsbild wie die
legale Wirtschaftstätigkeit auftritt und umfassende politische und
staatliche Verflechtungen existieren (existieren können), wird es
vielleicht auch notwendig sein, diese Abteilung besonders vor politischen
Einflußnahmen zu schützen. Eventuell auch durch zusätzliche
Bestimmungen im Sicherheitspolizeigesetz.
Sind diese Grundmaßnahmen gesetzt, dann bin ich der Überzeugung,
daß das bestehende rechtliche Instrumentarium, vom Bankwesengesetz
bis zu den Wirtschaftsgesetzen ausreicht, eine verbesserte Bekämpfung
der OK zu erreichen.
Nur wenn dieses Instrumentarium unter ganz konkreten neuartigen Umständen
nicht ausreicht, können erweiterte Befugnisse erwogen werden. Dabei
muß aber auf jeden Fall ein wirksames und auch wirtschaftlich angemessenes
Schadenersatzsystem für unschuldig Betroffene von Überwachungs-
und Abhörmaßnahmen gefunden werden. Schadenersatzansprüche
sollten auf die Tatsache der Überwachung abzielen und nicht von den
Unbescholtenen verlangen, daß Beweise für konkrete Nachteile
aus der Überwachung erbracht werden müssen. Wir haben gesehen,
daß es Datenschutzopfern im Zusammenhang mit Informationssammlungen
praktisch unmöglich ist, den Nachweis für konkrete Schäden
aufgrund unberechtigter Datensammlungen zu erbringen. Es muß daher
ein schadensunabhängiges Entschädigungssystem geschaffen werden.
Es werden zwar die Erfolge in den USA bezüglich erweiterter Ermittlungsbefungnisse
gern zitiert, es wird jedoch in der Regel verschwiegen, daß auf einen
berechtigt Überwachten rund 100 unberechtigt Überwachte kommen
und daß es in den USA für diese Personen ein umfassendes und
wirksames Schadensersatzrecht gibt.
Hans Zeger ist Obmann der ARGE
DATEN - Österreichische Gesellschaft für Datenschutz, Lehrbeauftragter
an verschiedenen österreichischen Universitäten zu den Themen
Telekommunikation, soziale und rechtliche Auswirkungen der Informationstechnologien,
Mitglied des Datenschutzrates, INTERNET-Service-Dienstleister mit Schwerpunkt
KMU.