Virulenter Keltenwahn

ferdl frühstück

Nicht ganz leicht macht es der oberösterreichische Schriftsteller und Arzt Alfred Wassermair seinem Lesepublikum. Wie in vielen anderen Büchern, ist das erste Kapitel seines Romans "In der Mitte des Kreises" als reine Hürde konstruiert, nach deren mühsamer Überwindung (ein besonders gemeiner Selektionsprozeß) die Leserschaft würdig ist, in das weitere Buch vorzudringen. Nicht daß die Einstiegshürde nun vergleichbar wäre mit Peter Weiss' Beschreibung des Pergamon Altars zu Beginn seines epochalen Romans "Die Ästhetik des Widerstandes". Nein, nein, die Hürde ist viel schlimmer: tummeln sich zu Romanbeginn doch zwei Kleinkinder namens Sebastian und Susanne sonntagsausflugsgestreßt durch enervierende Familienidylle. Wahrlich eine Horrorvorstellung, an die selbst ausgefuchste Gruselautoren nicht herankommen. Der familiengemeinsame Sonntagsausflug zu einer Keltenausstellung endet - wie zu erwarten - desaströs beim Würstelessen. Den finalen handfesten Kinderkrach, kann Familienvater Wieser nur mit Müh' und Not beenden.
Wenige Zeilen nach dieser folterartigen Einstiegshürde finden wir Wieser als Gruppeninspektor am Tatort eines Mordes und die Leserschaft am wirklichen Beginn eines famosen Romans, der alle Ingredienzen eines spannenden, witzigen und stets wieder überraschenden Krimis aufweist. Mehrere Tote, die in weiterer Folge dem selben Fall zuzurechnen sind, eine komplexe, vielschichtige Handlung, und zahlreiche Mißgeschicke des Kommissars, die darin gipfeln, daß dieser in einer steinernen Höhle eingeschlossen wird und alles darauf hindeutet, daß er den nicht mehr allzugroßen Rest seines Lebens darin verbringen wird. Vor allem aber - das ist wohl auch eine der Feinheiten des Krimis - ist das Milieu, in dem die Geschichte angesiedelt, von Interesse. Alle Beteiligten sind in irgendeiner Weise mit Keltenkult und -mystik verworren und verwoben, alles dreht sich um alte Keltenskulpturen, denen in diesen etwas zwielichtigen Zusammenhängen eine fetischhafte Bedeutung zukommt. Insofern ist dieser Krimi durchaus auch als Satire auf die virulente Keltenmanie, deren reaktionäre Wucherungen und den grassierenden Esoterikwahnsinn zu lesen.
Ein guter Krimi mit einer guten Geschichte und solider Sprache ­ eine erfreuliche Entdeckung.

Alfred Wassermair: In der Mitte des Kreises.
Bibliothek der Provinz, Weitra 1996


Sommer 97

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