Nanni Balestrini

I Furiosi - Die Wütenden. Roman. Edition ID-Archiv 1995.

Ein Buch mit der (Ur)kraft eines knalligen Punksongs - oder besser: wie ein wahnsinniger Breakbeat-Song. In (wütenden) Gesängen - nicht Kapiteln... - wird über die Selbsthinrichtung von Jugendlichen und Junggebliebenen berichtet, die es wissen wollen, die sich keine Grenzen setzen, die das Leben als Abenteuerspielplatz begreifen. Großstadtneurotiker (mit Hang zu gewaltvollem Frustabladen) wäre eine Bezeichnung. Hooligans eine andere. "I Furiosi" wehrt sich geschickt gegen heldenhaftes Zurschaustellen von Eskapaden und verweigert, durch die sehr schnelle Erzählweise (coolerweise verzichtet er auf sämtliche Satzzeichen), jegliches Aufgeilen für Sensationsknaben/mädlein. Dieser schmale Band begeistert durch lyrische Impressionen - oder Explosionen - über die Ultras (hier: linke Hooligans des AC Milans, die Rot-Schwarzen Brigaden) und das Hinausekeln durch die Vereinsführung des Vereins (Signore Berlusconi, der komischer- oder berechtigterweise (man denke an den Herrn Haider und den Overkill; man glaubt schon alles zu kennen und zu wissen, wo man sein Häufchen hinlegen muß) hier außen vor gelassen wird).
Die Realität als Horrortrip. Nanni Balestrini, seit jeher subversiver und kontroversieller Romancier und (Aktions)linker, verpackt Schlägereien, Drogenexzesse, Geschichten über italienische Autonome, italienische Mentalität, natürlich eine geschmeidige Kritik am italienischen System/Staat, EHRE, in poetische Prosa.
Die perfekte Umsetzung dieses Wahnsinns (bei weitem besser als "Geil auf Gewalt" von Bill Dufford, da er im Gegensatz zu ihm fußballunteressiert war/ist und dieses "Phänomen" durch eine andere Heransgehensweise ein lässigeres Endprodukt ), realistisch genug, um sich selbst in diese "Szene" hineinzudenken. Im Mittelpunkt steht ein gestohlenes Transparent (als Symbol der EHRE) - sie sind nicht mehr da sie sind nicht mehr da die Wütenden sind nicht mehr da - und eine zeitgemäße Revision des Abziehbildes des saufenden Hools. Drogenexzesse überlagern das Geschehen. Also: Chaos pur. Das "Heldenepos" - jedoch als Abendlektüre für Sozialarbeiter dankenswerterweise ungeieignet. Also kann die Lektüre uneingeschränkt empfohlen werden.
Trete das System! C.W.