Kein Bier für Deutschland

von Franz Dobler
Nicht erst kürzlich hat Ernst Jünger auf den Zusammenhang zwischen Getränk und Charakter, zwischen Volksseele und Volksgetränk hingewiesen. Die Klischees vom feinsinnigen Franzosen und vom grobschlächtigen Deutschen haben auch mit den bevorzugten Alkoholika zu tun.

Der Deutsche trinkt Bier, und sein Land nennt alle Welt das Land des Bieres. Was das Heißt, das hat keiner so radikal dargestellt wie Karl Valentin, indem er sich so fotografieren ließ, daß der Boden des an den Mund gehaltenen, fast schon geleerten steinernen Maßkrugs zu seinem Gesicht wird. Ein Gesicht mit gar nichts drin, ein Wahnsinniger, der mit einer Plastiktüte voll Handgranaten ein voll besetztes Lokal als Geisel nimmt, um gegen das unglaubliche Sozialverbrechen anzukämpfen, daß der Bierpreis schon wieder um zwei Pfenning gestiegen ist. Diese Aufnahme 1 korrespondiert optisch, aufgrund der Verschmelzung von Subjekt und Objekt, Mensch und Trinkgefäß, mit einer anderen aus meiner Sammlung: Gottlieb Hering, SS-Obersturmführer und Kommandant des Konzentrationslagers Belzec, hält sich einen vollen Glaskrug Dunkles mit prächtiger Schaumkrone an den Mund. Das Glas also senkrecht gehalten, es verdeckt seine untere Gesichtshälfte und einen Teil des Oberkörpers in Uniform. Es sieht aber auf den ersten Blick so aus, als würde er nichts als Schaum an seinen Mund halten, das dunkle Bier ist unsichtbar, denn die Farbe von Bier und Uniform ist fast identisch. Was natürlich auch an der schlechten Aufnahme liegen mag.

Ich will mich aber nicht wie so viele andere mit historischen Fotografien aufhalten, wo einem schon die deutsche Gegenwart ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit abverlangt, wenn man den Anschluß nicht verpassen will. Sonst heißt morgen der Oberchef Pfarrer Eppelmann oder wie der heißt, und dann will wieder keiner was gewußt haben.

Der Deutsche trinkt Bier - aber natürlich nicht einfach nur so! Nein, an die erste Stelle der Weltrangliste haben sich die Westler gesoffen, und somit sind wir nicht der Nabel der Welt, sondern ihr Bierbauch. Und es kommt noch dicker, denn auf dem undankbaren zweiten Platz abgeschlagen, wie es sich gehört, liegen die Ostler. Was für eine Vereinigung. Ich muß dabei an früher denken, an einen furchtbar dicken Freund unserer Familie, der dann eine kaum weniger dicke Frau geheiratet hat, und wenn ich die beiden sah, taten sie mir immer leid, weil sie niemals das Glück einer ganz normalen Reinsteckvereinigung erleben würden.

Dieses eine Mal ist es übrigens erlaubt, einen zweiten Platz einen undankbaren zu nennen, denn unsere Brüder und Schwestern müßten eigentlich an der Spitze stehen - sie mußten dem ehemaligen Klassenfeind nur deshalb die Weltbiertrinkführung überlassen, "weil sie nicht mehr bekommen" konnten. Auch das ein Skandal, dessen rückhaltlose Aufdeckung wir dem Spiegel verdanken, in dem seine Mitarbeiter ja schon seit Monaten ihre hübschen Gesichter stolz begutachten und hineinfragen wie die böse Königin bei Schneewittchen: Wer ist der schönste im ganzen Land? Der Westen ists, im Osten war alles Schmant!2

Die deutsche Vereinigung führt also zumindest schon mal zur absoluten Weltherrschaft in Sachen Biertrinken, auch wenn die Partei DBU, die Deutsch Biertrinker Union, bei den letzten Wahlen in der DDR mit 0,02% 3 eine schwere Niederlage hinnehmen mußte, was aber allein auf den gnadenlosen Druck zurückzuführen ist, den die CSU auf die Bevölkerung ausübte: Die DBU-Forderungen - Schwerter zu Bierhumpen! Aufhebung der Polizeistunde! Anhebung der Mindestrenten! - wurden von der CSU mit der Behauptung niedergeknüppelt, bei der Partei würde es sich um ein Stasi-U-Boot handeln.4 Sehr frei, die Wahlen, wenn so auch der Dümmste kapieren muß, daß im Fall einer starken DBU-Wahl die Grenzanlagen schneller wieder instandgesetzt wären, als er seinen Wahlnachtsrausch ausgeschlafen gehabt hätte.

Die Geschichte hat uns hinreichend gelehrt, und sie hört auch nicht auf damit, daß ein in Bedrängnis geratener Kapitalist zu allem fähig ist (im Gegensatz zum Kommunist in gleicher Lage, was in den letzten Monaten selbst unverbesserliche Antikommunisten gelernt haben dürften), und deshalb halte ich den Verdacht für berechtigt, daß die westdeutsche Brauindustrie maßgeblich an diesem Coup Ein-Volk-ein-Reich beteiligt war, ihn vielleicht sogar als Hauptschuldiger zu verantworten hat. Denn schon seit Jahren kämpft sie mit allen Mitteln gegen den stagnierenden, teilweise sogar zurückgehenden Bierumsatz: Erfolglos! Darüber können auch die steigenden Umsätze mit alkoholfreiem und -armem Bier nicht hinwegtäuschen. Aufblasbare Maßkrüge wurden erfunden, Dosen mit Henkel. Die Verzweiflung der Branche war nicht nur dem Fachmann verständlich: der Biertrinkführer der Welt, und vor der eigenen Haustür bleibt die Profitrate einfach stehen.

Als dann im Herbst letzten Jahres mit den ersten großen Flüchtlingsströmen aus dem Osten unseres leidgeprüften Landes sofort auch der Bierverbrauch deutlich anstieg, war die Parole klar: Pumb ab das Bier in die DDR! Drei Trümpfe glaubt das Brausyndikat des Westens jetzt in der Hand zu halten: Im Osten gibt es erstens zu wenig und nur schlechtes Bier; außerdem hat es da zweitens einen hohen Anteil an Schnapstrinkern, die aber, so schätzt man, leicht zu bekehren sein werden. Und wenn die Gewinnkurve dann immer noch nicht nach oben geht (man kennt ja die Leute: Wir trinken lieber unser schlechtes Bier, weil wir das schon immer getrunken haben!), dann ist das Syndikat drittens auch zu schärferen Maßnahmen bereit. Über die dortigen Braustätten "kann man nur mit der Planierraupe drübergehen", erklärte einer der großen Brauereimanager.

Lassen wir die naheliegende Frage außer acht, wie die Welt vor Deutschland gerettet werden kann, dann heißt die Frage, wie ist Deutschland noch zu retten?

Man muß sich nur einmal vorstellen, was die Kiste enthält, die jetzt vernagelt wird, Griesgrämler und Witzfiguren enthält sie. Daß die Ostler keinen Spaß versteh, haben sie, trotz der massiven Drohung, mit der unverständlichen Ablehnung der DBU bewiesen. Daß den Westlern nichts mehr bedeutet als der Spaß an billigen Witzen, beweist schon der Siegeszug von Leicht- und Nullbier. Zwei hochgradige Bierländer, deren Insassen dennoch total verschieden sind! Wenn das nicht verdammt nach Dynamit riecht!5

Deshalb haben wir nach einer Lösung gesucht und sie nach vielen Debatten auch gefunden. Die deutsche Vereinigung6 darf nur stattfinden bei gleichzeitig in Kraft tretendem Bierverbot, Alkoholverbot überhaupt, und zusätzlich Fahrverbot für Privat- und Lastfahrzeuge. In zwei Wochen ist Deutschland ein, egal wie, ziemlich verlassenes Land. Ruhe. Paradies. Und die Grenzen so dicht, daß keiner von dem Haufen je zurückkommen kann. Um dieses Schauspiel erleben zu dürfen, würden wir uns den kleinen Finger abhacken, vielleicht sogar noch mehr. Da waren Jack Daniels, Johnny Walker und ich einer Meinung. Es heißt immer, daß es keine Utopien mehr gibt. Hier ist eine, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Bier verdirbt 7 den Charakter. Es führt nur - um auch zum Schluß Ernst Jünger zu zitieren 8 - "zu Stimmungen mittleren bis groben Behagens, in denen sich vulgäre Ideen ausbreiten." Unsere Länder, unser Land ist der Beweis.



aus Franz Dobler: "Bierherz", Edition Nautilus 1994
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Foto: Karl Seidl, Illustration: Barbara Weikhart


1 in: Karl Valentin - Volkssänger? Dadaist? (München 1982, S.115). Die Aufnahme entstand 1942.

2 Mit einiger Überraschung muß ich also meinem Vater doch noch recht geben, der mich, als ich noch ein Teenager war, mit dem Hinweis, daß das ein Lumpenblatt ist, vom regelmäßigen Kauf dieser Illustrierten abbringen wollte.

3 Ich verlasse mich bei dieser Zahlenangabe trotz einer Unstimmigkeit auf die Süddeutsche Zeitung, die zunächst 0,41% gemeldet hat, zwei Tage später, am 21.3.1990, dann auf diese 0,02% korrigierte.

4 Der gelegentlich ironische Tonfall mag zur Annahme verleiten, daß das eine Erfindung von mir ist. Das ist nicht der Fall.

5Ich darf als wohl für mich in Anspruch nehmen, einer der frühen Mahner gewesen zu sein, daß die staatlich verordnete Vereinigungseuphorie jeder Grundlage entbehrt!

6 "Dabei wäre, wie so oft im Leben, das Desaster zu vermeiden gewesen, wären wir nur beim Naheligenden geblieben, beim Bier. Als ob das Bier nicht alles hätte, was wir Deutschen brauchen (...), um mit beiden Füßen fest auf der Erde zu bleiben, wenn das Leben uns stürmisch kommt (...)". Hier hat Jörg Fauser allerdings, man kann es nicht anders sagen, kräftig danebengehauen. Die Ereignisse ab 1989 mußte er aber nicht miterleben, drei Jahre vorher wurde er von einem Lastwagen totgefahren. An dieser Stelle der Hinweis, daß es ein wenig bekanntes Fan-Buch gibt mit Briefen, die er im Lauf von 30 Jahren seinen Eltern geschrieben hat: Ich habe eine Mordswut (Frankfurt 1993).

7 Worauf überraschenderweise auch in der neueren Popmusik immer öfter hingewiesen wird. So heißt es im Lied Bier der österreichischen Kapelle 17k JPEG Attwenger: "mia haum uns scho bsunna mia doan wos uns gfreid. schteng aum vormittag auf & daun vaged die zeid. doan oiwei fesch singa daun oiwei recht schrein (...) i dring sunst 6 hoibe foid a fostog daun drei daun dring i nua 5i oba litta miaßens sei (...) beim hoamgeh auf da promenand do hods mi daun zuwidrahd do hob i daun staunzn glernt bei da latern. i hob de trottln augschaud & i hob recht glocht. sie san ned so dumm is grod swaund a so gmocht. i wia gaunz dumm. sbier bringt mi um. & waun i schtiab is ois wengan. göbs bier i kenn di scho du host as mein vodan dau hiatzt dads das mia leck mi in oasch du deppads bier." Aus: Luft (München 1993).

8 Rein aus Gründen der literarischen Symmetrie, versteht sich! Eine Diskussion, wie sie auch zu Schreiben und Leben von Louis-Ferdinand Céline, Knut Hamsun, Gottfried Benn immer wieder gern geführt wird, würde den Rahmen hier sprengen.