Aus Böhämischen Tagen

von Florian Sedmak , April 95
Heute wollen wir die Poesie ergründen. Nicht die ganze als solche.
Es geht um die Frage:
Wie werde ich Nachwuchspoet?
Genauer:
Wie werde ich Underground-Literat?

Wer die Xerox-Gazetten aufmerksam studiert hat, wird bemerkt haben, daß die Musik abgemeldet ist. Die Schriftgelehrten der Szene schlagen zu, spoken word-Festivals erfreuen sich reger Teilnahme, Literaturfanzines preschen vor. Kein Wunder, wo schon jeder in einer Band spielt. Da ist nichts mehr zu holen.

Literarisch hab ich seit kurzem den Bogen raus. Denn ich bin selbst ein Nachwuchspoet geworden. In jedem schlummert ein Poet. Er muß nur manchmal etwas ausdrücklicher geweckt werden. Kaum jemand kann vom Schreiben leben. Die Ausnahmen sitzen mittelmäßig bestallt in großräumigen Schreibstuben und sonnen sich in ihren kollektivvertraglich zugesicherten Rechten. Daß wir sie insgeheim bewundern, dürfen wir nie zugeben, handelt es sich doch um Lohnknechte und Zeilenschinder, die Schergen der Prosa.

Aber auch aus uns kann durchaus etwas werden, wenn wir es geschickt anstellen.

Das wichtigste ist, in den Augen der Umwelt ein Dichter zu werden. Das läßt sich leicht bewerkstellen. Wir gehen in den nächsten Libro und besorgen uns eines dieser chinesieschen Blankbücher (unliniert! kariert nur im Notfall und niemals liniert!!). Dieses Buch (ein mittleres Format eignet sich am besten, kleine werden zu leicht übersehen und große sind zu protzig) nehmen wir von jetzt an überall hin mit und machen uns laufend Notizen. Vorzugsweise mitten in der Nacht auf Parties oder in überfüllten Lokalen - der Genius im Schriftsteller regt sich eben zu den unmöglichsten Zeiten. Auch ein Buch muß immer mit dabei sein, das dort gelesen werden will, wo uns am meisten Leute beobachten können. Nichts macht die Leute neugieriger, als wenn einer mitten unter ihnen mit sich allein sein will. Wenn wir gefragt werden, was wir da tun, dann murmeln wir etwas vor uns hin, noch ganz geistesabwesend und fixieren entweder einen nichtexistenten Punkt an der Wand oder den Störenfried (den wir tatsächlich aber als ersten Fisch am Hacken betrachten müssen) mit einem leeren Blick. Den Umschlag des Buches, das wir als vademecum immer griffbereit haben, binden wir am besten in Packpapier oder festes blaues Papier. Die Nicht-Dichter fühlen sich ausgeschlossen, weil sie nicht wissen, womit wir uns beschäftigen.

Zum Umgang mit dieser Spezies ist überhaupt zu sagen: Halte alle anderen grundsätzlich für dumm. Das läßt sich am besten durch gelangweilte oder vielsagende Augenaufschläge demonstrieren, die Du ihnen wohldosiert zukommen läßt. Sei knapp und distanziert, ist jemand tatsächlich smarter als Du, dann laß ihn merken, daß er einfach auf dem falschen Trip ist.

Wenn wir uns so verhalten, dann dauert es nicht lange, bis wir als Sonderling gelten. Der Zeitpunkt für einen Auftritt in eigener Mission ist nahe. Kündige deine Lesungen nie als solche an, sondern stets als "spoken-word-performance" (mit Betonung auf Performance). Die Ankündigung schreibst Du selbst (die Lokalpresse ist immer dankbar). Laß Dich aber nur nicht beim Plakatieren sehen. Das gibt einen Punkteabzug.

Schön langsam ist es an der Zeit, Dir zu überlegen, was Du eigentlich schreiben sollst: Einsame Wölfe in der Großstadt sind immer ein dankbares Thema. Es empfielt sich die Kombination aus amerikanischen Trivialmythen und europäischer Genretradition. "Wilhelm Meisters Lehrjahre" und "Lassiter" sind die idealem Bestandteile Deiner Kurzprosa. Tu Dir den Tort an und mach Exzerpte aus der klassischen Literatur. Wenn Du Klopstock paraphrasierst, giltst Du was. Sei in den Texten einsam, unverstanden, abgebrüht und illusionslos. Das, was Du von längeren Wochenende an exzessivem Trinken, Drogengebrauch und Bis-Nachmittag-Schlafen kennst, läßt sich immer zur Erhellung Deiner unbürgerlichen Existenz einbauen.

Sex ist schmutzig, und zwar ein schmutziges Spiel, bei dem Du leer ausgehst. Saufe wie ein Loch (hundertprozentig).
Vermeide es aber unbedingt, in alkoholisiertem Zustand zu schreiben - das wird nichts. Laß besser in Deinem Lieblingslokal die angestauten Ideen ungefragt in einem irren Monolog ab. Das verschafft Dir Respekt.
Unflätige Worte müssen sein. Leg Dir eine Kartei an. Titel wie "Der pissende Asphaltcowboy", "Knietief in der Scheiße" oder "Gefickt" kommen sehr gut.

Bei Lesungen erscheinst Du verkatert und unrasiert oder gleich hackedicht. Während der Lesung mußt Du unbedingt trinken. Provozier einen Skandal, indem Du leere Flaschen auf den Boden wirfst und bestimmte Besucher Deiner Darbietung gezielt aufs Korn nimmst und beleidigst. Sei aggressiv.

Nimm nie an einem Literaturwettbewerb teil. Eine Prämierung bringt zwar Geld, ruiniert aber Dein mühsam erarbeitetes Image.

Jetzt ist die Saat aufgegangen und die Erntezeit gekommen. Laß Dir Deine Texte von einem Freund (offiziell hast Du keine) auf Computer setzen (die sachliche Schrifttype Futura empfielt sich, um Deine poetische Trockenheit optisch zu transportieren), beauftrage den lokalen Copy-Shop, und schon hast Du ein Buch. Andere Poeten klappern jahrelang erfolglose Kleinverlage ab; Du aber bist gleich der Chef.

Behellige Gott und die Welt mit Deinen Texten. Vielleicht wirst Du in einer Kurzkritik als Punkpoet oder belletristischer Rüpel bezeichnet. Das ist das Kapitel für Deine Zukunft.

Wenn Du irgenwo Beiträge veröffentlichen kannst, dann tu es. Kleinvieh macht auch Mist. Sei immer unhöflich und hochtrabend, gründe einen Kleinverlag und pöbele schriftlich weiter. Damit liegst Du voll im Trend und kannst bei einigen Anstrengungen und etwas Glück ein "österreichischer Bukowski" werden.

Alles Gute.