bumm

von markus binder , April 95
ihr name. ja. danke, ihr name. sie haben einen schönen namen. finde ich und ich will nicht verheimlichen, daß wir und viele von uns zynisch erzogen wurden, also sie brauchen nicht glauben, das kommt von ungefähr. gut, der name. schön. sie wohnen. ich glaube ihnen. wie. es fällt mir schwer. ich kann ihnen nicht helfen, meine pflicht ist es, das einfach alles einmal aufzuschreiben. sie wissen nichts darüber. gut. andererseits bin auch ich nicht in der lage, mir vorzustellen, was sie alles erleben müssen gegenüber mir. verzeihen sie. also wohnen. ja. das haben wir jetzt. furchtbar. ich habe magenschmerzen von den vielen süssigkeiten, das können sie sich nicht vorstellen. sicher, es ist ein hinterhältiges land, auch ich weiß das und trotzdem weiß ich mir nicht zu helfen, verstehen sie, ich bin ein teil vom land, vom amt. wollen sie eine zigarette. verstehe, sie müssen dauernd an was anderes denken als sich selbst, ich werde sie dann gleich weiterschicken können in die nächste abteilung, aber vorher brauche ich das geburtsdatum, das hätte eigentlich schon hier oben hingehört, verzeihen sie, es ist nicht so leicht, wie ich mir tue, sie sehen es ja, die einteilung. wie soll es denn jetzt weitergehen, was ich alles rede. also das geburtsdatum. so. kann mich nicht erinnern. also an diesen tag jetzan. so jung. also an diesem tag, zumindest weiß ich noch, daß es in diesem monat war damals, genau in dem monat praktisch, als sie auf die welt kamen, aber gut, das gehört jetzt nicht hierher. hierher nicht. und es hilft ihnen nicht. genausowenig wie es mir hilft ihnen gegenüber, wie kann ich es vergleichen, das verschiedene. so wie wir uns gegenübersitzen, sind sich viele schon gegenüber gesessen und konnten sich nicht mehr vergleichen, wie leben und tod und doch ist das eine ohne das andere nicht möglich, viele schon haben vom tod anderer gelebt, ohne es gewußt haben zu wollen. was war das schon wieder, verzeihen sie, diese sätze, ich kann sie nie wirklich zuende bringen, das ganze land kann es nicht, das ganze land dringt nicht bis zum ende seiner sätze vor. und ich bin doch nur ein teil vom land. aber jetzt rede ich schon wie ein dichter. und das gehört jetzt nicht hierher. hierher nicht. wenn ich die sätze nicht anders zuende bringen kann als mit dichtung. nein. halten wir also fest. geburtsdatum, name, adresse, wenn auch nicht wie in der von mir soeben genannten reihenfolge. also ich kann ihnen ja gar nicht sagen, wieviele namen, geburtsdaten und adressen ich auf diesem tisch, in diesem haus, in diesem teil vom land schon notiert habe und noch nie hat es was genutzt, noch nie bin ich auf was draufgekommen, immer hat es mich sosehr beschäftigt, daß ich nicht aufhören konnte, es doch wieder und wieder zu tun, wie sie sehen. und es helfen mir auch sie wieder nicht weiter, diese entfernung, kein einziger stern am himmel ist unerforschter als meine arbeit hier. also weiter. sie verneinen also, sich geirrt zu haben. unsere unterlagen sprechen eine andere sprache, wenn auch ich zugebe, daß sie nichts erklärt. hier steht, die art und weise des zwanges, wie er auf sie ausgeübt wurde, rechtfertigt es nicht, ihrem antrag nachzukommen. blanker hohn. sie glauben ja nicht, welch ungeheures leid wir mit unserer arbeit hier auslösen, obwohl gerade das gegenteil unser auftrag ist. sie, ihre kinder, alle, nichts wird von unserem zynismus verschont, viel weniger als wir selbst können sie sich ihm entziehen, weitaus hilfloser als ich selbst stehen sie ihm gegenüber, viel grausamer als wir selbst es uns nur ausmalen können sind für sie die folgen. das ist, oh, sie sagen was, was sagen sie, das amt hat seine ohren überall, auch meine ohren sind des amts und ich verstehe sie nicht und weiß, daß es für sie nicht darum geht. verstanden werden und es hilft nicht. sehen sie, so vielfältig unsere interessen auch sein mögen, für die ganze welt, wie ich betonen möchte, so kurz ist doch mein schreibtisch hier, meine hände nicht in der lage, über ihn hinauszureichen, meine befugnisse so kurz wie die des amtes, die des amtes so beschränkt wie die des landes und wir gehen nicht davon aus, daß sich das ändern wird, allein schon deshalb, weil uns die sätze fehlen, die sätze zur beschreibung der veränderung. sie verstehen. nun, was schreibe ich jetzt. mein formular läßt nicht viel zu, es ist wie die landkarte vom land, es findet sich der platz nicht, um hinzuschreiben, worum es wirklich geht. sie sehen, und doch sind sie schon der 37. im verlauf dieses zuende gehenden jahres, den wir mit einem derartigem engagement behandeln und ich sehe, wie unverständlich ich ihnen bin, auf meinem sessel lebend, redend, schreibend, unter dem sessel eines anderen über mir, über dem sessel eines anderen unter mir, der wieder über einem anderen und so weiter, das ganze amt so, das land, kommen sie, setzen sie sich einmal auf meinen sessel, na kommen sie und ist er nicht wie ein grabstein, auf dem statt meinem namen ich selber sitze wie etwas endgültiges und das bin ich nun für sie, ein urteil, für das amt, für das land und gegen sie und gegen sie alle und doch wird mir die tatsache, daß diese verachtung nicht auszuhalten ist mehrmals täglich vor augen geführt, nämlich dann, wenn ich in eine der schubladen meines schreibtisches hier hineinlange, sie verzeihen, und die wehrmachtspistole meines vaters herausnehme, und sie, wie seit jahren schon, in der hand halte und auf meine formulare ziele, auf die mauern der amtsstube, die porträts an der wand, die fahne, aufs amt, aufs land und öfter schon habe ich sie geladen, nicht abgedrückt, sie kennen waffen, ja, mit waffen wurden sie vertrieben, um dann hierher zu gelangen, ins land, ins amt, um von hier wieder vertrieben zu werden mit einem kleinen formular, es gibt nur kleine formulare hier, nicht mit dieser waffe hier, die mein vater offiziell als verloren angegeben hat am ende des letzten krieges hier und die er heimlich aufbewahrte all die jahre über und die nun mir gehört und mit der ich täglich ziele, nicht schiesse und sie merken, allein das zielen ist eine richtung, nur das zielen und immer wieder stelle ich mir vor, eines tages werde ich die waffe laden und werde mir in den kopf schiessen, dem amt, dem land, mit dieser wehrmachtspistole hier und sie funktioniert immer noch ausgezeichnet, sie werden sehen, bleiben sie noch hier, im amt, im land, ich lade sie jetzt, hier sind die patronen, sie sehen, bleiben sie und ich führe sie jetzt zu meinem kopf und sie wird sicher ausgezeichnet funktionieren, sehen sie. bumm.