Dünung


In der Stiftskirche von Engelszell liegen die Gebeine christlicher Märtyrer in gläsernen Särgen. Aus römischen Katakomben wurden sie geborgen, dann eingehüllt in goldene Brokatstoffe und ihre grinsenden Schädel auf seidene Polster gebettet. Wir kaufen Kräuterlikör an der Klosterpforte und eine kleine Flasche Kümmel. Dieser Geruch, das ist die Großmutter, sagt G. Er muß nur an der klaren, öligen Flüssigkeit riechen und es ist alles wieder da. Ihre Kredenz , ihre Kammer, der Riegel Bensdorp für die Kinder in der Schürzentasche und das eingemachte Schweinefleisch auf dem Kasten. Am Donauufer rosten die Reste der Landesaustellung. Leere Aquarien und versperrte Häusel. Die Nixen singen wieder unplugged.

"Jetzt kummt er", sagt die Fahrkartenverkäuferin und schon röhrt die "Theodor Körner". Ohne den Landesteg der DDSG wird Engelhartszell nicht mehr Engelhartszell sein. Weiß das nur ich?
Die Zeit der Linienschiffahrt auf der Donau ist vorbei. Die Zeit der Personenschiffahrt auf der Donau ist vorbei. Die Zeit der österreichischen Schiffahrt auf der Donau ist vorbei. Sagen sie. Denn unrentabel ist der Linienverkehr und anachronistisch. Der Bundesbus fährt von Engelhartszell nach Linz in einer Stunde 40, das Auto braucht je nach Verkehr etwas mehr als eine Stunde und das Schiff für die selbe Strecke 3 Stunden und 45 Minuten. Und, samma si ehrlich, nach einer halben Stunde wirds eh fad, das Schifferlfahren. Braunes Wasser, grünes Ufer ,ein paar Schleusen. Ich will auch ehrlich sein. Das Tempo des Schiffes entspricht meiner inneren Geschwindigkeit. So will ich reisen. Das ist meine Zeit. Ich will den Fichtenast erkennen, der vom roten Granitblock ins Wasser hängt und mir Gedanken dazu machen. Ich will den Bauern sehen, der seine Grummethaufen im Nieselregen wendet. Stoischen Fischern will ich zuschauen und unverdrossenen Radfahrern. Ihr grelles Regenzeug schreit die Landschaft an.

Auf dem Linienschiff gibt es keine Animatoren.Wer nicht schaut, der ißt und wer schon gegessen hat, liest. Kinder spielen fangen. Auf Burgen, Schlösser und Landschaften weist der Lautsprecher hin. Ein Bayer studiert die Neue Revue, seine Frau stickt am Sonnenblumenbild. Sagt der Lautsprecher: "Achtung hier kommt die Schlinge, da kommt die Burg", stehen sie sofort auf und schauen. Sie schauen auf grüne Hänge und setzen sich wieder. Die Ruine kommt später, aber da sind sie längst wieder bei Titten und Sonnenblumen. Beim nächsten Lautsprecherhinweis stehen sie sofort wieder auf.
Untermühl. Eine Eisenkette war über die Donau gespannt und die Raubritter bekamen, was sie verlangten. Auch die EU verlangt ihren Preis. Auf dem Rhein - Main - Donau - Kanal wollte man keine österreichische Konkurrenz. Die Art des Ausnehmens hat sich geändert, was jetzt noch alles genommen wird, steht auf einem anderen Blatt, aber nicht im Kleinformat und auch nicht in der Qualitätszeitung. Dort schreiben sie "Bravo", denn es muß ja gespart werden und wo bitte sonst, wenn nicht bei der DDSG, wo so viele Millionen auf Grund gesetzt wurden. Schließlich verstehen auch Wirtschaftsjournalisten etwas von Schiffahrt. Am Arbeitsamt steht der Binnenschiffer hinterm Bergmann aus Timmelkam und der Werftarbeiter dreht längst bei der Wach- und Schließgesellschaft seine Runden.

Wie ein grauslicher Ausschlag legen sie sich auf das Land, diese weißen, quadratischen Stoffdächer aus den Bauhäusern und Freizeitmärkten. Sie stehen vor Bauernhöfen, in Gastgärten, auf Wiesen, Campingplätzen und im Schrebergarten. Wer fordert das Recht auf Schatten unter Bäumen? Nach der Gartenlaube kam der Krieg, was kommt nach den Partyzelt? "Das Partyzelt hat den Sonnenschirm verdrängt und die Gartenzwerge sind größer geworden",weiß Chlodwig Poth, der unermüdliche Chronist von Sossenheim. So ändern sich die Zeiten. Der Ruf nach einer ästhetischen Kommission ist nicht zeitgemäß.
Die "Theodor Körner" kann den Schornstein versenken. Ihre Dieselwolke ruft frühere Schiffsreisen wach. Den Ausflug als Kind mit der "Stadt Passau", auf der die Mutter ihre Schuhe vergessen hat. Die Leserfahrt der alten "Volksstimme" auf der alten "Schönbrunn". In Dürnstein wollte niemand auf die Ruine. Die Fahrt mit der Austria nach Spitz. Eine Seniorin aus dem Hillinger - Heim fängt ungebeten an, die Ruinen zu erklären und endet bei den "Proletenspitz'". Ich weiß nicht, was ein Proletenspitz ist? Na, auf alle Fälle, die tauschen ihre resche Frühstückssemmel im Heim immer gegen eine zähe um und die Heimleitung unternimmt nichts. Auf der selben Fahrt schenkt ein Matrose der eineinhalbjährigen Tochter einen Sack voll Zuckerl, weil er auch so ein Kind daheim hat, das er aber kaum sieht. Einmal fuhren wir mit der Dnepr ans Schwarze Meer. Auf Restplätzen mit einer Reisegruppe niederösterreichischer Gendarmen und JustizwachebeamtInnen. Der ukrainische Kapitän, für alle nur "da Russ", konnte einem leid tun. Weil die Donau Niederwasser hatte, kamen wir mit dem Donauschiff nicht bis nach Ismail, sondern nur bis zur Grenzstadt Reni. Von dort gings mit dem Bus durch Bessarabien nach Odessa. Die Ankunft der "touristitschki" hatte sich in Reni schnell herumgesprochen. In der Hoffnung auf Devisen eilte eine alte Frau mit ein paar Häupel Zwiebel in die Schiffstation. Sie war der festen Überzeugung daß wir gute Menschen sein mußten. Denn "DDSG charaschow - Awstricki charaschow.."
Nach Aschach verändert sich der Geruch der Luft. Es riecht jetzt nicht mehr würzig nach Wald, sondern nach Sand und Weiden und ein bißchen nach Brackwasser. In Eferding werden Kisten mit frischem Karfiol, Salat und Champignons geladen. In Ottensheim fällt Nebel ein, das Schiff fährt jetzt mit Radar. Die Besatzung geht ruhig und gewissenhaft ihrer Arbeit nach, obwohl sie einer ungewissen Zukunft entgegenfährt.
Inzwischen sind alle Personenschiffe der DDSG verkauft, verramscht zum Billigstpreis. Die "Theodor Körner" fiel an ein Münchner Reisebüro, die "Stadt Passau" ging für 40 000 Mark an einen Passauer Zementhändler, der noch nicht recht weiß, was er mit dem Schiff machen wird. Die "Austria" kommt nach Holland, der "Donaupfeil" an die Adria, der Tullner Bürgermeister hat bei der "Stadt Wien" zugeschlagen, die "Wachau", die "Admiral Thegethoff", die "Prinz Eugen" und die "Vindobona" erstand das Wiener Verkehrsbüro. Im besten Fall werden die Binnenschiffer als Saisonsarbeitskräfte auf dem einen oder anderen Schiff weiterfahren. Im schlechten Fall haben sie Pech gehabt. Auf welchen Beruf soll sich ein Binnenschiffer umschulen lassen?
Ab Oktober liegt Linz nicht mehr ganz an der Donau. Der Stadt bleibt der "Fitzcarraldo" und ein eigener, neuer Landesteg für die bayrische Reederei "Wurm und Köck". Sie wird den Linienverkehr unter dem Motto "Auf fröhlicher Welle" zwischen Linz und Passau übernehmen. 6 Schiffe, von der "Germania" bis zum "Traumschiff" "Regina Danubia" stehen im Einsatz. Schönheit ist da nicht mehr gefragt, sondern Auslastung. "Das sind keine Schiffe sondern schwimmende Schuhschachteln", meint ein Linzer Donaukapitän. In Linz beginnt gar nichts mehr. In Linz ist Endstation. Wer mit dem Schiff nach Wien will, muß chartern, wer nach Grein oder in die Wachau fahren will, nehme die Bundesstraße.
Die Theodor Körner legt an. Es nieselt noch immer. Ruhig und im Gleichmaß schlagen die Wellen ans Ufer. "Wie wars?", fragt G. "Fesch", sag ich.

Die Schiffe der DDSG fahren zwischen Passau und Linz fahrplanmäßig noch bis 24. September.