Linz braucht Raum . Linz frißt sein Umland. Wo junge Stadt auf altes Land vorstößt, muß nicht unbedingt Neues entstehen. Bleibt alles beim Alten, kommen nicht nur Grasbüschel unter die Räder. Eugenie Kain hat die Ränder der Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erkundet. Hillinger bringt ihre Berichte von der Peripherie in gekürzter Fassung.

Linz - Rand, Teil I von Eugénie Kain , Feb.95


Ebelsberg

Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, daß Linz hinter Ebelsberg weitergehen würde?Die Kastgründe und das Ennsfeld, geschichtsträchtiger Boden, der nicht nur vom Bauernkrieg sondern auch vom Feldzug des Napoleon Zeugnis ablegen könnte, gehören heute den Wohnbaugenossenschaften. Stein auf Stein, Haus an Haus, Siedlung an Siedlung reihen sich bis knapp an die Autobahn. Die Menschen hier wohnen am Land, aber doch nicht im Grünen.

An diesem Montag Vormittag bin ich die einzige, die bis zur Endstation der Linie 16 fährt. Es ist bitterkalt. Gefrorene Schneehaufen, Eisplatten am Gehsteig, still und starr liegt die Siedlung, der Bus fährt alle 15 Minuten. Drinnen in der Stadt zeigen sie sich jetzt den Vogel oder den erigierten Mittelfinger im Kampf um den letzten Parkplatz, hier heraußen hätten sie freie Wahl. Hie und da ein Installateursauto, sonst freie Parkflächen, soweit das Auge reicht. Und soweit das Auge reicht kein Ort zum Aufwärmen. Kein Espresso, keine Konditorei, kein Tschecherl, kein Cafe, kein Restaurant.

Infrastruktur ist ein Fremdwort, aber auch bei der Planung der Häuser haben sich die Architekten lieber an Altbewährtes gehalten, als Neuland mit Neubau zu gestalten. Wenn schon nicht jeder ein Reihenhaus oder ein Einfamilienhaus mit Garten haben kann, soll er wenigstens ein paar Anleihen davon bekommen: Veranden, Loggien, winzige Vorgärten, die Wohnflächen in der Wohnung mit Treppen unterteilt, verschiedenförmige Fenster und Zimmer mit schiefen Winkeln.. Die Wege zwischen den Häusern sind nach Politikern benannt. Da und dort sieht man Gartenzwerge in den Vorgärten und Schwalbennester an den Häuserwänden. Das alles ist schon ein Fortschritt gegenüber den Wohnsilos an anderen Rändern der Stadt, fördert aber noch lange kein reichstrukturiertes Zusammenleben der BewohnerInnen.

Wahrscheinlich ist es illusorisch, Gemeinschaftsküchen zu bauen, weil in unseren Breiten sowieso niemand mit oder für seinen Nachbarn kochen will, aber zumindest Gemeinschaftsräume könnten einem bei der Planung eines neuen Stadtteils,der keine Schlafstadt werden soll, einfallen. Und gar so streng nach dem Geld richten müßte man sich auch nicht: Der Teil der Siedlung, in dem es Sozialwohnungen gibt, ist schon in der einfacheren Wohnblockart ohne aufwendige Außengestaltung gebaut.

Sicher ist es ein Zufall, daß alle Bewohner mit ausländisch klingenden Namen in einem bestimmten Bereich untergebracht sind und auch das wird ein Zufall sein, daß gerade dieser Bereich parallel Ebelsberg22 k zur Autobahn gebaut ist und daher dem Lärm um einiges mehr ausgesetzt ist. Die "Werkstatt Lebensumwelt",eine Stadtteilinitiative, bemüht sich, die Versäumnisse der Planung auszubügeln und die BewohnerInnen des neuen Stadtteiles zur aktiven Gestaltung ihres Lebensraumes zu motivieren.

Ein auf einen Kletterbaum des Spielplatzes hingekritzeltes "fighting for peace is like fucking for virginity" zeigt, daß die Kids hier noch nicht in dem Alter sind, in dem sie sich gegen Bausünden mit eigenem kulturellen Ausdruck zur Wehr setzen. Noch bieten Gstätten am Rande des Neubauviertels Freiräume, die die nachfolgende Generation von Kindern nicht mehr kennen wird. Sie werden mit ausgeklügelten und trotzdem verplanten "Abenteuerspielplätzen" vorlieb nehmen müssen.Mehr Mitbestimmung hätten sich viele von Anfang an gewünscht."Uns haben sie gefragt, wo wir die Steckdosen haben wollen", erzählt ein Bewohner des Afritschweges, "das war auch schon die Mitbestimmung. Aber die Gemeinschaftsräume machen wir uns selber. Im Sommer sitzen wir draußen auf der Bank bei der Sandkiste, und wenn`s einmal später wird, feiern wir im Luftschutzkeller weiter."

Hoch her geht es im Kindermodengeschäft "Max und Moritz". Ausverkauf ist angesagt. Beim Eingang stauen sich die Kinderwagerl. Kevin , Patrick, Melanie und Julia toben in der Spielecke, die Müter goustieren das Angebot, auch in der second - hand- Abteilung gibt es nur erstklassiges Kindergewand, schließlich will sich hier keine was nachsagen lassen. Eine Windpockenepedemie beschäftigt die Mehrzal der anwesenden Frauen. Eine Tür weiter, in einem kleinen Lebensmitelladen, der sich hochtrabend Feinkostgeschäft nennt, geht es um das Schicksal der gewöhnlichen Leute. Über ein Jahr haben Fachärzte die Kreuzschmerzen der Verkäuferin nicht ernst genommen, erst die dritte Gynäkologin entdeckte dann die Zyste am Eierstock.

Auf der anderen Seite der Florianer Straße, am Ennsfeld errichtet Billa laut Bautafel eine Filiale und sucht nach TeilzeitkassierInnen. Das wird mancher Frau den Arbeitsweg "in die Stadt" ersparen. Hier wohnen einige Frauen, die bei Frühdienst mit dem Taxi nach Kleinmünchen fahren müssen, weil das Gebiet noch kaum an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden ist .

Derzeit fährt am Ennsfeld noch der Bagger. Die Wege werden in dieser Siedlung nach österreichischen DichterInnen benannt und die Häuser eine Spur kühner gebaut. Kein postmoderner Schnick-Schnack, großzügig gegliederte Fassaden mit feinem Schwung zu den Straßenseiten hin. Das ist aber auch schon alles. Einige Wohnblocks sind schon bewohnt, die Siedlung Ennsfeld ist aber noch lange nicht fertig. Die hiesige SPÖ- Sektion begrüßt mittels Wandzeitung 300 neue Mieter und Wohnungseigentümer und listet auf, was in diesem Stadtteil für das Jahr 1995 noch alles versprochen wird: Ein Eltern - Kindzentrum, ein Kindergarten, ein Kinderspielplatz. Angeregt wird auch ein Tagescafé, und die BewohnerInnen werden aufgefordert, sich über eine noch besser funktionierende Mülltrennung Gedanken zu machen. Vielleicht, so steht zu lesen, könnten im zukünftigen Einkaufszentrum nur umweltfreundliche Verpackungen verwendet werden. Freut euch Leute!

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Hinter dem Ebelsberger Friedhof gegenüber dem neuen Wohngebiet liegt das alte Gasthaus Passianwald. Die Wirtin lobt ihre Blutwurst, ansonsten geht es um die Handhabung dritter Zähne. Zwei Männer lehnen an der Theke. Ob sie von hier sind? "Nein, mir san Ebelsberger. San se von do?" Das hätten sie sich gleich gedacht, denn die Leute von drüben, der eine deutet mit dem Kopf Richtung "Erich Fried - Weg, kämen da nicht herein. Warum? " Vielleicht haben sie `s daham so schön, daß nimmer furtgeh miassn. Mir wissen do nix."