MUSIK IST KEIN HONIGLECKEN

EIN PRAGMATISCHER SAMPLER

"Music is deadly important" sagt Ian McKaye von FUGAZI.
Ob das auch in Österreich gilt, erörtert Rainer Krispel anhand von FM 95, einer CD-Compilation mit 16 österreichischen "Indie"-Bands,
September 95

1. Sudern und reklamieren sind Verhaltensweisen, die den ÖsterreicherInnen - auch den musizierenden - sehr nahe stehen. Dabei geht es selten - nie!? - darum, den tatsächlichen Problemen zu Leibe zu rücken, sondern eher um eine Art sadomasochistische Beschäftigungstherapie, die das konstruktive Klima in Richtung sibirischer Eiseskälte verschiebt. Wohl gibt es genug, gegen (oder für) das es sich anzustinken lohnt: eine MusikerInnengewerkschaft AKM, die alles tut, außer ihre "kleinen" Mitglieder zu vertreten und dabei Geschäftspraktiken an den Tag legt, die ein Affront gegen das Wort "Transparenz" und seine Bedeutung sind. Oder eine Radio-Landschaft, in der FM 4 als konstruiertes Ghetto Ö3 gegenübersteht, für das "unsäglich" (weil unhörbar) noch zu kurz gegriffen ist. Ö3- Musikchef Bogdan Roscic gibt launige Interviews (Profil #33), in denen er künstlerisch Untoten wie Stefanie Werger und Bilgeri reinen Wein einschenkt, das reale Radio-Programm straft ihn aber Lügen. Eine Hardcore/Grassroots-Szene, der aller Respekt gebührt, die aber gerne übersieht, daß ihre Art Musik zu betreiben, nicht die allein gültige ist und daß die Ausdrucks-Formen, für die ihr Netzwerk funktioniert, sehr limitiert sind, ist als vitale Alternative allein zu wenig.

2. Zum Glück mehren sich Entwürfe, die neue, andere Wege weisen. Einer davon ist FM 95, eine Compilation-Reihe, erstellt von Robert Rotifer von FM4, Otmar Bajlicz und Chris Duller vom CHELSEA CHRONICLE und Walter Gröbchen. Gröbchen, langjähriger Ö3-Mitarbeiter, heute A & R-Manager bei GIG RECORDS, hatte die Idee dazu schon zu seligen (Nachmittags-)MUSICBOX-Zeiten. Ein Sampler, der - wie "Austrian Flavours" für die Hip Hop-Szene - die Qualität aus der Veröffentlichungsflut der Gitarrenbands filtern sollte. Zuerst lancierte Gröbchen das Projekt als "Up Next" mit der Szene Wien und GASH, bevor er, in der grotesken Lage,die Geschichte über Föderungen der Austro Mechana und IFPI finanziert zu haben, mit neuen Partnern die jetzige Form fand. Man achtete auf größtmögliche Transparenz - auf die Künstler entfallen 20% der Gesamteinnahmen. Bei 1000 verkauften Stück und drei garantierten Einsätzen pro Song auf FM 4 steigt jede Band mit immerhin drei Blauen aus. Wobei GIG RECORDS nur naheliegenderweise miteinstieg, weil "GIG in diesem Bereich eigentlich keine Kompetenz hat". Das Team Bajlicz, Duller, Gröbchen und Rotifer wählte 16 Bands und Songs aus, für "einen pragmatischen, nicht idealistischen Sampler", wobei die vage Vorgabe der ersten CD "Pop" war. Gröbchen: "Es geht auch darum, ein gutes Produkt herzustellen, das sich nicht nur im Rave Up und Why Not verkauft, sondern auch im Libro und Virgin. (...) Als A & R-Manager einer großen Firma würde ich mich über einen solchen Sampler sehr freuen". Ein Major-Dilemma bringt er so auf den Punkt: "Wenn die Majors was machen, schimpfen alle, wenn sie nichts machen, schimpfen auch alle." Viele Bands - egal ob auf Major- oder Indie-Level - übersehen gerne, daß das Produzieren und Vertreiben von Tonträgern mit Kosten verbunden ist, die in einem kleinen Land wie Österreich kaum einzuspielen sind. Von den 16 auf FM 95 vertretenen Bands haben die wenigsten das eigenständige Zeugs, tatsächlich über die (Szene-)Grenzen treten zu können. So kommentiert Thomas Kramar in "DIE PRESSE" FM 95 mit "sehr solide, sehr konservativ". Was nichts daran ändert, daß FM 95 eine mehr als taugliche Compilation mit einigen Highlights ist, vor allem für Neueinsteiger in die Materie zu empfehlen. Bis Jahresende hat sich Gröbchen die Latte auf 1000 verkaufte Stück gelegt, "was realistisch zu erreichen ist". Die flankierenden Konzerte im Wiener CHELSEA waren ausnehmend gut besucht. Was zeigt, daß Interesse an der heimischen Szene gegeben ist. Ein Interesse, das mit einem Mehr an guter und sorgfältig (gar leidenschaftlich!?) umgesetzter und präsentierter Musik genutzt werden sollte. Musik ist auch hier (vielen) wichtig, nur die wenigsten agieren und handeln so.

FM 96 ist gerade in der Vorbereitung, wobei auch "härtere" Sachen berücksichtigt werden sollen. Interessierte MusikerInnen/Bands schicken Material an: CHELSEA CHRONICLE, HORNBOSTELGASSE 16-18/II/2, A-1060 WIEN oder FM 4/Robert Rotifer, Argentinierstraße 30a, A-1040 WIEN oder GIG RECORDS/Walter Gröbchen, FÜHRICHGASSE 8, A-1010 WIEN

FM 95 - A Chronicle Of Austrian Indie Sounds, GIG RECORDS, 1995 mit: BIRDBRAIN, BLOOM, ELECTRIC EELS, DIE GUTEN, HEILAND SOLO, H.P. ZINKER, LITTERBOX, MASTALSKY, ORANGE BABOONS, PARASITES, PASTE, PLAY THE TRACKS OF ..., REDRED ROSARY, THE SEE SAW, 3 GORDONS, SNAKKERDU DENSK