Intakter Abdomen dank coolem Verhalten

von MAX GOLDT , Jan.95
Da ich mich als einen Anwalt der Umwelt begreife, bin ich auch ein großer Freund der Tiere. Sehe ich einen Mitbürger, der sich mit einer Heckenschere oder einem Saxophon einem Kätzchen nähert, dann sage ich "Aber nicht doch, mein Herr!" Jeder versteht das.

Insgesamt sind Tiere aber nicht so beliebt wie die Tierfilme des Fernsehens. Knackt der Mensch eine Haselnuss und es starrt ihn statt des erhofften Natursnacks die fahle Fretze einer Made an, dann legt die Lebensfreude eine kurze Verschnaufpause ein. Anschnauzen muß man die Made deswegen nicht gleich, denn es ist ja bekannt, daß sie sich eines Tages zu einer unersetzlichen Mitkreatur entwickelt, die einem blöde vor der Fresse rumfliegt. Es ist aber ebenso unnötig, niederes Gewürm mit Glacéhandschuhen anzufassen. Das ökologische Gleichgewicht ist kein Kartenhaus, welches zusammenfällt, wenn man eine darauf sitzende Fliege zerpatscht. Die Biester setzen sich ja allzu gerne auf Kartenhäuser. Unerwünschte Fliegen zerpatsche ich stets, da grummelt kein Gewissen in mir. Nur mit erwünschten Fliegen geh ich anders um.

So sind wir Menschen. Niemand, in dessen Teppich eine Million Milben schmatzend ihr Tagewerk verrichten, wird zermürbt sein, wenn er erfährt, daß sich ihre Anzahl aufgrund einer milbeninternen Naturkatastrophe halbiert hat. Da kann ein Naturschützer noch so ganzheitlich orientiert sein - die Tränen, die er weint, wenn er aus Nachlässigkeit im Badezimmer ein Silberfischchen zertritt, werden rascher trocknen als jene, die über seine Wangen rinnen, wenn er im Bad versehentlich einen sibirischen Tiger erschießt.
Pelzig, süß, gefiedert oder zumindest selten müssen Tiere sein, wenn sie der Menschen ungeteilte Gunst genießen wollen. Auch eine gewisse Mindestgröße ist erforderlich, denn man sympathisiert nicht gern durch Lupengläser.

Was aber, wenn Mäuse ins Haus kommen? Die sind total niedlich und mit bloßem Auge gut sichtbar, d.h. theoretisch beliebt. In der Praxis sind sie unerwünscht, denn sie kacken in den Mozarella, wovon man Cholera bekommt. Wegen der lieben Äuglein der Tiere wird der Kauf von Mausefallen jedoch von nagendem Skrupel begleitet. Nun las ich von einer Dame, die per Zufall einen Ausweg fand. Sie hatte nicht nur Mäuse im haus, sondern auch einen Sohn, und der hatte Geburtstag. Er wünschte sich ein Schlagzeug, bekam`s und übte emsig. Die Mäuse mochten das nicht hören und zogen aus, wonach die Mutter zum Papier griff und zum Thema Mäusevergrämung einen Brief an die Zeitschrift "natur" schrieb.

Und was ist mit Spinnen? Hier rat ich zu Gelassenheit. Die Mozarellatüte kriegen die nie auf. Sie sind zu zart gebaut. Zu zart auch, um wirklich grausig zu sein. Ihre Beine sind eigentlich nur bessere Schamhaare. "Bessere Schamhaare?" rufen nun Kritiker, "besser als Ihre Schamhaare vielleicht, aber schlechter als unsere." Nun gut, dann eben schlechtere Schamhaare. Wenn man aber eine Spinne dazu kriegt, Männchen zu machen, dann sieht sie aus wie eine Can-Can-Tänzerin auf einem Gemälde von Toulouse-Lautrec. Dies ist schon ein erfreulicherer Anblick als Kritikerschamhaare. Leider bestehen Spinnen nicht nur aus Schamhaaren. Da, wo andere Leute ihre vier Buchstaben haben, findet sich bei Spinnen eine unsympathische schwarze Kugel namens Abdomen, in welcher sie ihre Eingeweide aufbewahren. Da es der Behaglichkeit abträglich ist, zu sehen wie diese Eingeweide die Rauhfaser herunterrinnen, zerpatscht man Spinnen nicht gern.

Ich persönlich bin äußerst cool, was Spinnenbesuche angeht. Wenn im TV gerade eine tschechische TV-Groteske begonnen hat und ich bemerke eine Spinne an der Wand, dann gucke ich die tschechische TV-Groteske erst mal zu Ende, stelle den TV-Apparat aus, trinke in Ruhe ein Glas Limonade, und erst dann schreie ich mit fingiertem Entsetzen "Igitt, eine Spinne!" Anschließend hole ich mir eine Ansichtskarte und einen Zettel. Mit der Postkarte kratze ich den achtbeinigen Gast von der Tapete, sodaß er auf den Zettel purzelt, und dann wuppdiwupp aus dem Fenster damit. Saubere Wand dank intaktem Abdomen, intakter Abdomen dank coolem Verhalten.

Da die Medien manchmal nicht recht wissen, was sie den Bürgern berichten sollen, liest man seit einiger Zeit immer wieder etwas von einem Trend zur Insektenküche, denn Insekten seien preiswerte Proteinbomben, die mit Cholesterin geizen. In den Metropolen soll es schon entsprechende Restaurants geben. Sicher sind dort auch Spinnengreichte im Angebot. Wohl weiß ich, daß Spinnen keine Insekten sind, doch man weiß ja nicht, was ein Gastronom so weiß. Man denke sich nur: frischgepresster Spinnenabdomensaft oder Spinnenabdomensalat. Ich möchte die Leserinnen und Leser bitten, in meiner Gegenwart das Wort "Spinnenabdomensalat" weder oft noch laut auszusprechen. Normalerweise finde ich Leute, die einem verbieten wollen, bestimmte Wörter zu benutzen, z.B. "Betroffenheit" oder "Vaterland", ziemlich bescheuert, aber Spinnenabdomensalat finde ich wirklich viel schlimmer als "Asylant" oder "Power-Frau".

Ein weiteres, die Mundwinkel nach unter zerrendes Wort ist Seepockensperma. Es gab einen Tierfilm im Fernsehen, und dort wurden Seepocken als die Tiere mit den im Verhältnis zum übrigen Körper längsten Penissen er Fauna angebriesen. Die Penisse sahen aus wie chinesische Nudeln. In Großaufnahme sah man die warzenartigen Kreaturen mit ihrer Nudel wedeln, und dann kam auch noch der Samen herausgeschossen, alles in das schöne Wasser, und zwar abends um halb neun, als viele Kinder noch nicht im Bett waren. Vieleicht liegt das Ansteigen der Meeresspiegel gar nicht an der Abschmelzerei der Pole, sondern an der Triebhaftigkeit der Seepocken. bei meinem letzten Badeaufenthalt kam mir das Meerwasser übrigens recht glitschig vor. Die Insel Sylt wird von Seepockensperma verschlungen werden!

Gibt es noch garstigere Vorstellungen, noch garstigere Wörter als Seepockensperma und Spinnenabdomensalat? Aber ja! Leihmumien-Analsex. Sex mit Mumien ist ja schon an sich eine Thema, bei dem man sich gern zurückzieht, aber Analsex mit Mumien, die einen noch nicht mal gehören, ist zweifelsohne das letzte. Ich rate allen Lesern, ihre Mumien niemals zu verleihen, denn auch die besten Freunde sind nicht immer ganz aufrichtig, wenn es um die Preisgabe ihrer sexuellen Vorlieben geht.