Du beginnst den Tag am besten in unserem Kaffeehaus. Da warst du gestern abend schon und bist nach Atem ringend entflohen? Ohne eine einzige Zeitung gelesen zu haben? Starr vor Schreck bist du in deiner Ecke gesessen und hast die geschminkten Weiber in ihren Pelzmänteln an dir vorüberziehen sehen und eine hat sogar einen federgeschmückten Tirolerhut getragen?
Du hast deinen Augen nicht getraut. Die mit dem Hut ist dann hinter dir her zum Ausgang gesegelt und hat sicherlich erwartet, daß du ihr galanterweise die Tür aufhältst.
Da war deine Stunde gekommen. Du hast ihr die Tür so richtig draufgeknallt und irgendwie hat dich das unheimlich befriedigt...
Nun ja. So wirst du dir hier bei uns aber keine Freunde machen. Auch wer einen Tirolerhut trägt, will freundlich behandelt sein. Nicht, wenn der Hut mit gebogenen Federn versehen ist? Was soll das nun wieder heißen? Du bist wirklich schwierig, mein Lieber. Aber geh doch jetzt endlich. Du wolltest doch ins Kaffeehaus. Frühstücken. Tu das. Aber beeil dich. Du mußt nämlich wissen:
Na komm schon. Häng deinen Mantel hierhin. Setz dich dorthin. Hab` ich zuviel versprochen? Hier, ein Ecktisch für dich ganz allein und alle Zeitungen nur zu deiner Verfügung und von den Nebentischen her ein leises Rascheln und behutsames Blättern, alles ganz so, wie sich`s gehört. Jetzt revidierst du dein hartes Urteil, nicht wahr?
Laß dir ruhig Zeit. Trink deinen Kaffee. Iß einen Krapfen, aber ja. Wenn der Ober in deine Nähe gerät, wink ihn zu dir. Bezahl. Trink aus.
Die Zeitung? Du hast gerade erst zu lesen begonnen? Steht ohnehin in allen das Gleiche. Deine Zeit ist kostbar, mein Lieber. Du solltest jetzt aufbrechen. Erstens, weil ein Gymnasiastenrudel, die Vorhut sozusagen, schon vor der Türe lärmt, dann aber auch, weil du eine Reihe von Besorgungen vor dir hast. Auch für Besorgungen gilt: Je früher, desto besser.
Es ist nämlich so: Je weiter der Tag voranschreitet, um so mehr kauflustige Menschen bevölkern unsere Geschäftsstraße. Laß dich warnen. Das rastlose Traben der vielen, eilige Füße dringt dir dann so seltsam ans Ohr.
Ich sag`s nicht gern, aber sogar ich bin dann nahe daran, in eine wenig begangene Seitengasse zu entfliehen und der Impuls, mir die Hände schützend über die Ohren zu legen, ist manchmal fast übermächtig. Ich tu's natürlich nicht. Wie sähe das auch aus. Allerhöchstens beschleunige ich meine Schritte ein wenig und halte die Augen gesenkt. Das hilft.
Wenn ich aufschaue und einen Bekannten auf mich zukommen sehe, wechsle ich nach Möglichkeit die Straßenseite. Ich grüße nicht gern. Ein tückischer Blick von der Seite tut`s auch. Es gilt voranzukommen.
Nur wenn sich familiäre Krisen ereignen, bleibe ich stehen. Da schau` ich gern zu. Wenn sich zum Beispiel ein Kleinkind von der Hand seiner Mutter losreißt und torkelnd meinen Weg kreuzt, bedenke ich die Mutter gerne mit einem kühlen Blick. Dann aber schaue ich mich um. Ich will's mir nicht entgehen lassen. Schon hat die zornbebende Mutter ihr Kleinkind erreicht. Sie holt weit aus, dann schlägt sie zu. Sie packt ihr Kind und zerrt es mit sich. Seine Füße berühren den Boden nicht mehr. Zwei Alte vor mir schauen auch zu. Sie sagen: "Noch keinem geschadet". Sie sagen: "Gehorchen lernen. Wichtig für später. Kein Eigensinn. Frühzeitig austreiben."
Entschuldige. Ich langweile dich. Du möchtest brauchbare Auskünfte, möchtest wissen, warum dir hier nichts so recht von der Hand geht.
Gestern zum Beispiel. Gestern wolltest du, da diese Stadt ja wider Erwarten und gegen jeden äußeren Anschein auch eine Universitätsstadt ist, die Universitätsbibliothek aufsuchen. Es war ein Fiasko.
Begonnen hat es vielversprechend. Der große Park. Die alten Bäume. Der kunstvoll zementierte Teich und die Schwäne darin. Wie bitte? Was aber? Tote Fische? Die weißen Bäuche nach oben gedreht? Na wenn schon. Zwei, drei tote Fische in dem riesigen Teich. Vergiß es. Erzähl.
Frohgemut hast du das imposante Bibliotheksgebäude betreten. Vorsichtig hast du dich den Schaltern und den dahinter thronenden Beamten genähert. Als der erste, ausdruckslose Beamtenblick über dich hinweggeglitten ist, hat dich schon ein eisiger Hauch angeweht. Mit einem Mal war dir ganz beklommen zumute. Du hast dich geräuspert.
Gerade als du, mit einem "Entschuldigen Sie bitte vielmals" einen der Beamten hast ansprechen wollen, hat sich der, mit einer unnachahmlich eleganten, kaum merkbaren Bewegung von dir weg und seinen Kollegen zugewandt. Du hast deinen nutzlos geöffneten Mund wieder zugeklappt.
Eine gemeinschaftliche Unternehmung war für den Abend geplant. Das hast du der angeregten Unterhaltung entnommen. Und einer der Beamten, der absolute Champion, der alle Kegelbahnen leerfegt, würde auch mit von der Partie sein. Durch eine offenstehende Tür hast du sorgsam auf Schränken gereihte Pokale stehen sehen. Du warst beeindruckt. Du hast nicht etwa die Nase gerümpft? Ein sensibler Beamte spürt dergleichen und die schlechte Behandlung folgt auf den Fuß.
Du hast keineswegs die Nase gerümpft. Du hast geduldig gewartet. Du hast dir die Zeit vertrieben. Welcher von denen wohl der Champion ist, hast du dich gefragt. Wann wohl einer das unablässig klingende Telefon abhebt, hast du dich gefragt. Gebannt hast du zugeschaut, wie sich einer der Beamten schließlich aus seinem Drehsessel hochgearbeitet hat. Entschlossen ist er aufs Telefon zugestampft. Er hat den Hörer abgenommen und gleich wieder aufgelegt.
Die Beamtenkollegen waren begeistert. Bravo Sieglinde, hat einer gerufen. Sieglinde, kurzgeschoren und vierschrötig, deswegen dein Irrtum, hat sich wieder in ihren Sessel fallen lassen. Die ist`s, hast du dir gedacht, die muß der Champion sein.
Dein Mut ist gesunken. Du hast dich zum Gehen gewandt. Ungeschickt warst du, mein Lieber. Du hättest dich nachdrücklich in Erinnerung rufen müssen. Oder dich einfach am Gespräch beteiligen. Zum Beispiel einfach einwerfen, wie du kürzlich, bei deinem letzten Kegelabend, obwohl ganz und gar nicht mehr nüchtern, mit einem grandiosen Wurf alle Neune geschafft hast. Die rückhaltlose Bewunderung der Beamten wäre dir sicher gewesen und sie hätten dir deine Bücherwünsche aufs zuvorkommendste erfüllt. ----
Du kegelst nicht. Versteht sich. Wie dumm von mir.
Als er`s dann begriffen hat, hat er nicht etwa resigniert, oh nein. Zur Zeit ringt er verzweifelt um die Anerkennung der dörflichen Honoratioren, er gäbe viel für einen freundschaftlichen Gruß des Fleischermeisters, für ein Scherzwort, das ihm der Vizebürgermeister einfach so im Vorübergehen zuwirft, gäbe er Jahre seines Lebens, sein Endziel ist natürlich ein Platz am Stammtisch des Dorfwirtshauses.
Es sieht nicht gut aus. Ein kleiner Hoffnungsschimmer sind die unvermuteten Erfolge seiner Frau. Der Pfarrgemeinderat ist herangetreten an sie. Sie möge doch am allwöchentlich stattfindenden Bibelkreis teilnehmen. Sie möge doch auch etwas beitragen zum alljährlich stattfindenden, stimmungsvollen Weihnachtsmarkt.
Der Haushalt leidet ein wenig, weil seine Frau seit Wochen stickt und strickt und häkelt wie besessen, aber das nimmt unser neu zugezogener Freund gerne in Kauf.
Vergangene Woche waren seine Kinder erstmals zum Spielen bei denen des Gemischtwarenhändlers. Was meinst du? Ist Hoffnung?
bisher erschienen:
"Geständert", Erzählungen, Edition Wehrgraben Steyr, 1994
"Fore", Erzählungen, Linz Kultur Texte, 1995