Nie zuvor, und darauf können wir stolz sein, ist in Osterreich vom Bund und von den Ländern so viel und so vorbildlich gefördert worden: Projektförderungen, Nachwuchsförderungen, Staatsstipendien, Auslandsaufenthalte, Preise, Wettbewerbe, Auszeichnungen und Subventionen. Das Ziel: Kreativpotential nicht nur ermöglichen, vielmehr begünstigen. In den letzten fünf Jahren gibt es allerdings in der Kulturszene eine merkliche Verzerrung. Etwa im Literaturbetrieb. Der Beispiele gibt es viele.
Fall 1: Wenn ein Stück des Dramatikers A im Landestheater seinerzeit uraufgeführt wurde, erhielten Schauspieler, Regisseur, Buhnenarbeiter etc. ihren fixen Lohn. A dagegen wurde daran gemessen und bezahlt, wie viele Leute ins Theater gingen, um sich sein Stück anzusehen. Unbürokratisch wurde diesem Mißstand mit einer spontanen Ausfallshaftung abgeholfen, mit einer nachträglich gewährten Tantiemengarantie also; sie sollte einen etwaigen Ausfall von Publikumfrequenz kompensieren. Einige Zeit spater wurde bereits die Forderung laut: Allen solle diese Förderung (obwohl sie ursprunglich als Ausfallshaftung gedacht war) zugute kommcn können.
Fall 2: Der Schriftsteller B hat seinen Brotberuf aufgegeben, um nur mehr zu schreiben. Es ist ihm dabei wohl entgangen, daß er, obgleich erfolgreich, nicht vom Schreiben wird leben können. Dennoch träumt er von einer Schriftsteller-Existenz. Auch er stellt Forderungen.
Fall 3: Der Autor C recherchiert neun (!) Monate zu einem Fernsehfilm, bevor er überhaupt zu schreiben beginnt. Auf eigenes Risiko; ohne Netz; und ohne irgendeine vorherige Zu sage; in der Hoffnung, sein Film wird realisiert. Der ORF bemüht sich zwar redlich um eine Koproduktion, die allerdings allen Bemühungen zum Trotz nicht zustandekommt. C erhält in weiterer Folge nur einen Teil dessen, was er erhalten würde, wenn's eine Koproduktion geworden wäre. Sein Honorarteilentfall ist sein Pech. C findet sich damit ab, er stellt keine Forderungen.
Fall 4: Der Bücherwurm D wird nach seiner Pensionierung zum Verleger. Als Verleger D druckt er Bücher. Er ist ein Besessener. Nun verlangt er wohlfeile Förderung, nun erwartet er Öffentlichkeit in den Medien, weil er wider Erwarten auf seinen Büchern sitzen bleibt. D ist schwer enttäuscht, daß alles nicht so klappt, wie er es sich vorgestellt hat. D stellt vergeblich Forderungen.
Fall 5: In O findet ein Autor(inn)entreffen statt. Ein ambitionierter Verleger entscheidet spontan und unbürokratisch, das erfolgreiche Meeting zu dokumentieren. Auf eigenes Risiko. Erst als alles gedruckt ist, zieht die Gemeinde ihre ursprüngliche Zusage eines Buchankaufs zurück. Sie müsse erst überlegen, was sie mit so vielen Büchern anfangen soll. Pech für den Verleger, daß die Gemeinde ihre Zusage eines Ankaufs von Büchern nachträglich relativiert.
Fall 6: Die Schriftstellerin E lebt vom Schreiben. Stipendien werden ihr verweigert, denn E habe es doch künstlerisch längst nicht mehr nötig, noch Stipendien und Auszeichnungen und Preise zu erhalten. Daß E trotzdem zumindest zwischendurch immer wieder am Hungertuch nagt und Geldzuwendungen jeder Art gut gebrauchen könnte, bleibt bei der Jury unberücksichtigt.
Fall 7: Schriftsteller F wäre durchaus willens und durchaus bereit, ein Werk zu verfassen, vorausgesetzt, ein Verlag garantiere ihm, im vorhinein, versteht sich, den anschließenden Druck sowie ein anständiges Honorar. Sei dies alles gesichert, dann sei er grundsätzlich durchaus bereit, sein Fünfzehnzeilenkonzept auszuarbeiten und mit dem Schreiben zu beginnen. Irgendwas werde ihm schon einfallen, wenn er erst einmal gefördert worden ist.
Fall 8: Der Schriftsteller G ist schon fast 80 Jahre alt. Während andere Autor(inn)en bereits sofort nach dem ersten Gedicht Mitglied bei der Literarischen Verwertungsgesellschaft und bei der Literar-Mechana werden, und für die mechanische Verwertung ihres ersten Zehnzeilengedichts im Rundfunk Gelder kassieren, wird er erst kurz vor seinem Ableben Mitglied. Selber schuld, sagen die einen. Warum haben's ihm die anderen Autoren denn nicht gesagt, fragen andere. Außerdem: Je weniger Autoren Mitglied bei der Literar Mechana und bei der Literarischen Verwertungsgesellschaft seien, desto mehr falle für jeden einzelnen ab. Verständlich, daß die verehrte literarische Neidgenossenschaft tunlichst unter sich bleiben wolle und G keinen heißen Tip gibt.
Fall 9: (Oder: Das billigere Vorurteil.) Obwohl kaum jemand nur vom Schreiben leben kann, denunzieren hauptberufliche wie nebenberufliche Autoren wechselseitig. Während die Qualität wohl oder übel kaum vom Umstand abhängig sein kann, ob ein Autor von ihr leben kann, attestieren viele SchriftstellerInnen, insbesondere nebenberufliche Autorlnnen schwerer absetzbarer und schwerer verkäuflicher oder (am besten) ganz und gar unverkäuflicher Literatur pauschal im vorhinein immer einen prinzipiell höheren Grad künstlerischer Qualität; und daraus folgemd scheinbar vermehrte Förderungswürdigkeit.
Der Fälle gäbe es noch mehr, wohl auch tragischere. Vorläufige Zwischenbilanz: In all diesen (von mir leider keineswegs erfundenen) Beispielen werden öffentliche Gelder (vergeblich) verlangt, (nicht) ausgegeben oder (glücklicherweise oder leider) vorenthalten. Einige Fälle zeigen, daß hier aus ursprünglich sinnvoller und gut gemeinter Förderungsbereitschaft mittlerweile mißbräuchlich manchmal absurde Anrechte abgeleitet werden, die in keinem sinnvollen Verhältnis zur ursprünglichen Intention stehen.
Auch in Sachen Förderung darf die öffentliche Hand kein willfähriger Selbstbedienungsladen werden. Ein modifizierter Schlüssel für eine Neuverteilung der notwendigen Mittel ist angezeigt. Förderung ist keine Holschuld, sondem eine Bringschuld.
Selbstverleger und förderungslüsteme Dilletanten mögen zwar einen Anspruch auf angemessene Selbstverwirklichung und Teilöffentlichkeit anmelden. Einen Anspruch auf öffentliche Mittel und Gesamtöffentlichkeit im vergeudenden Gießkannenprinzip oder verlegerische sowie mediale Verdränger-Präpotenz dürfen sie nicht haben. Denn Förderung ("wenig für alle") ist passe. Es lebe vielmehr die Ermöglichung und Erfolgssicherung jener ("wenigstens ausreichend für einige"), die sie verdienen. Die Freiheit der Kunst in Form von freiem, unverzerrtem Wettbewerb sollte gewahrt bleiben. Nieht mehr bei den Fördernden liegt der Ball. Der Ball liegt jetzt hei den Fordernden. P.S.: Der Autor des vorangegangenen Kommentars legt trotz seiner subjektiven Kritik an Förderlungsforderungen ausdrucklich Wert auf die Feststellung, daß er ein grundsätzlicher Befürworter von Kulturförderung ist und sich mit seinem Beitrag nicht gegen allgemeine Kulturförderung an sich oder für einen kulturpolitischen Sparkurs ausspricht.