Pest ist ein romantischer Bandbastard, der seine Eigenwilligkeit stets kultiviert. Dabei treten selbstredend handelsübliche Probleme auf. Wie verhält es sich mit der Transparenz von Leben und Kunst, was ist die Qualität
des Ausdrucks, oder: Wie leidet ein konzeptioneller Anspruch durch Aushöhlung mittels zynisch-hohler Phrasierung? Oder haben sie in der Tat schweren Realitätsverlust zu beklagen?
Wäre und ist doch alles nicht schlimm, werter Leser, es liegt einzig bei Dir (denn Interpretation ist keineswegs = Zerstörung), herauszufinden, was Pest ist. Ein Roman von Camus?
Ist konzeptioneller Stoff dieser Härte nicht die Einladung zu kommentierender Interpretation und Anlaß leichteren Amusements?
Die Menge der Freiräume für Interpretation beinhaltet Freiräume für Mißinterpretation. Es gibt keine Affinität zu konzeptionellem Anspruch. Pest verwehrt sich der interpretatorischen Neuformulierung. Die Begeisterung für die Interpretation hat ihren Grund nicht in der Ehrfurcht vor dem beschwerlichen Werk, sondern in einer offenen Aggressivität, einer offenkundigen Verachtung des äußeren Erscheinungsbildes. Die Interpretation gräbt aus; und im Akt der Ausgrabung zerstört sie.
Was versteht ihr unter Agitation?
Die Agitation verbindet Töne mit Bildern, die keine Pflicht, keine Aufgabe erfüllen, nichts vollbringen und trotzdem das Unmögliche sagen. Ein Labor, das existentielle Situationen beschwört, eine Reaktion unwiderstehlich macht, die Gefahr als reales
Element nicht verbannt, dem Unkontrollierbaren und Unverständlichen sein Existenzrecht zurückgibt. Versucht wird, aus dem bauschigen Körperdrama das Skelett
zu schälen, ein leibseelisches Extrakt zu brauen; Schmutz, den man nicht mehr abwaschen kann, auf dem man leben muß.
Wie wichtig ist dabei die Musik?
Die Bedeutung der Musik liegt in der Produktion einer Klangmasse, die den Raum durchflutet. Um das Ohr zu befriedigen, wird Musik geschafften, um das Auge zu befriedigen, das Bild. Beide leben aus ihrer Autonomie, befruchten sich durch ihre Autonomie und sind parallel stattfindende Ereignisse, die sich zeitlich und räumlich überlagern. Die Musik synchronisiert nicht, die Agitation veranschaulicht nicht; die Komponenten überlagern sich in konstruktiver Interferenz.
Hatten wir das nicht alles schon einmal (Nackte auf der Bühne, etc.)? Ist ein Skandal möglich und falls "ja", ist er wichtig, bedeutet er etwas?
Eine Aktion auf ihre vermeintlich provokativen Elemente zu reduzieren und sie selbst als bloße Wiederholung zu denunzieren, bringt jegliche Forschung auf dem Gebiet der Abartigkeit in Verruf. Nur bis zum Zeitpunkt der Überwindung eines Tabus wirkt die Herausforderung durch das Ungewohnte als Provokation. Provokationen erscheinen immer solange als solche, wie die Tabus bestehen, an denen sie rühren.
Sich an das Ungewohnte zu gewöhnen bedarf der Wiederholung. Erstmaligkeit und Originalität bedeuten keinen Wert an sich. Es gilt die Vergangenheit zu durchsieben und das Filtrat zu verarbeiten. Das ästhetische Moment ist der Motor.
Welche Bedeutung hat für Pest das Absolute?
Und ist die Gotterschaffung vielleicht nicht die übelste Art der Selbstbespeiung? Jeder Mensch, der sich mit der Erschaffung eines Gottes beschäftigt oder auch nur eine solche Erschaffung zuläßt, bespeit sich auf die übelste Art.
Lenin an Maxim Gorkij (14. November 1913)
PS: Pest tritt auf. In der Kapu am Samstag, 6.5.