Ich schnitt mir einst ein Weidenpfeifchen


von Tex Rubinowitz , Mai 95
Foto: Karl-Ernst

Ich saß angezogen im Bett und rauchte keine. Warum ich das tat, war mir nicht ganz klar. Genausogut könnte ich darüber Gedanken anstellen, warum das Hotelzimmer, in dem ich mich befand mit einer, wohl als Raumteiler gedachten, hüfthohen Mesquitehecke ausgestattet war.

Aber es war ausgesprochen warm in meinem Refugium, um nicht zu sagen kochendheiß. Und Hitze ist eine Substanz, die bei mir dafür bekannt ist, daß sie jegliche gedankliche, aber auch körperliche Regung lähmt, sich wie Blei auf Glieder und Geist legt; ich saß da wie ein Sack Stroh und starrte ins Nichts, wie es mir schien, in Wirklichkeit hing mein Augenpaar ja auf der Hecke, denn das war, soweit ich erkennen konnte, neben dem Bett, das sich mir als Sitzgelegenheit bot, der einzige Gegenstand in diesem Raum.

Ich fühlte mich wie graugeschmortes Schmorfleisch, wie eine Snowboard-Halfpipe, über und über mit Spinnweben bedeckt, mitten im Tschad, wie eine taube Nuß am dürren Ästchen. Aber auch wie eine Motte, deren Flügel wie Platinbarren waren, gleichermaßen wertvoll wie wertlos.

Wiewohl an mir alles taub war, wütete es in mir wie der spanische Erbfolgekrieg und mein Magen fühlte sich an wie ein läufiger Riesenschnauzer. Das, was ich an Geräuschen wahrnahm, war zum Einen das Schimpfen der Elstern in der Hecke und der verschiedene Klang mehrerer rauher Atemzüge.

Ich war also nicht allein.

Ich registrierte unter Aufbietung größter Anstrengungen, daß sich noch zwei Menschen in der Nähe befinden mußten. Aber wo waren sie?

Bald war die Quelle des Radaus ausgemacht. Durch eine kleine scheibenlose Öffnung starrten zwei harte Augen in meine Kemenate, es handelten sich dabei um die Augen eines Fußpflegers, wie sich unschwer feststellen ließ. Eine andere Person schälte sich aus der Hecke und zeichnete sich wie ein riesengroßer Schatten vor mir ab. Ich war mir nicht sicher, ob mich das Zwielicht narrte, ob ich nicht einer Täuschung anheimgefallen war. Aber die Scheme wurde von Moment zu Moment realer. Als ich auch noch einen Revolver, dessen Mündung genau auf meinen Kopf gerichtet war, sah, war der Bann der Hitze gebrochen.

Ich hatte noch nicht den Tagesgruß über die Lippen, da fuhr mir dieser Herr schon großspurig in die Parade: "Du hast wohl Angst vor einem offenen Kampf, du Nutte, du hältst dich im Verborgenen, weil du vor meinem Revolver Angst hast!"


Ich bin kein Mann, der die Gefahr scheut und nicht versteht ihr entgegenzutreten, aber in dieser Situation, geschwächt durch die hohen Temperaturen, brachte ich lediglich ein guttural gekrächztes "Ich heiße nicht Nutte" hervor.

"Well, natürlich heißt du nicht Nutte, du Bettnässer, zieh dir rasch etwas über, ich muß mit dir reden", der Schneid, der in der Stimme des Fremden lag, erzwang Respekt.

Ich blickte an mir herunter und konnte beim besten Willen keine Körperstelle, mit Ausnahme der Greiforgane und des Antlitzes entdecken, die nicht bedeckt war. Ich schaute ihn fragend an. "Ihnen hängt ein Ei aus der Hose" und, tatsächlich, mir hing ein Ei aus der Hose, ich war bareirig.


Obwohl ich Rechtsträger bin, ragte es eigenartigerweise unten aus dem linken Hosenbeinloch, und kam auf dem Schuh zum Liegen. Ich sah einen in der Nähe befindlichen Muff, ihn könnte ich über die inkriminierte Stelle stülpen.

Nun bin ich sehr groß, 1 Meter 93, und demzufolge brauchte ich eine Weile um mich hinunterzudehnen. Ich benötigte ca. 40 Minuten für diesen Vorgang, denn das Dehnen ist eine der zeitraubendsten Fortbewegungsarten des Menschen.

Als ich mich wieder in meiner alten Position befand, bemerkte ich, daß des Peinigers Aufmerksamkeit von mir abgewandt war, zugunsten der Zeitschrift "Monsterbrüste" , die ich abonniert habe und auch mit in den Urlaub nehme, zwecks Fortbildung.

Auch war der Revolver nicht mehr auf mich gerichtet. er baumelte vielmehr lose an seinem kleinen Finger, ein laues Zephyrlüftchen brachte dieses Instrument sogar zart zum Schwingen.

"Fertig", sagte ich so bestimmt wie es meine Verfassung, die sich in einem heillosen Derangement befand, zuließ, gegen den Eindringling, den ich mir jetzt von Nahem betrachtete, weil ich während des Dehnens eine Lupe zu greifen bekam. Das tiefstehende Licht einer 40-Watt Birne badete mit mildem Schein seine ausgeprägte gallische Nase. Diese wurde von fahlgelben, eingesunkenen Wangen flankiert. Ein dünnlippiger Mund wirkte wie eine Drahtklammer, die alles zusammenhielt und am Zerfließen hinderte. Durch die halbgeöffneten Lider leuchteten seine Augäpfel wie Speichelpfützen.


Langsam hob er seinen Kopf von der Lektüre. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn, sein Lächeln wirkte verkrampft, sein Gesicht verzerrt, verzagt.


"Ist Ihnen nicht gut, sind Sie krank?"

"Kümmern Sie sich lieber nicht um mich, kümmern Sie sich um sich" knurrte der Revolvermann heiser "ich möchte tanzen und Sie scheinen mir der geeignete Partner zu sein", sein Gesicht brodelte mir entgegen," meine Mutter besucht ihre Mutter auf den Färöern, meine Mutter ist die beste Tänzerin diesseits dieser verdammten Hecke, wenn sie nur hier wäre - aber so muß ich mit Ihnen Vorlieb nehmen, übrigens, haben Sie Zierkirschen?"

"Nein, das heißt, ich hatte sie einst, bevor sie die Elstern fraßen" antwortete ich gefaßt.


Der Zudringliche lachte plötzlich wiehernd oder als ob ein Roß schnob und griff nach meinem Handgelenk, das er schmerzhaft umklammert hielt wie eine Schraubzwinge. "Kommen Sie, wir wollen tanzen, gringo maledito, im Karussell sind alle gleich schnell!"

Mit diesen Worten zerrte er mich quer durch die Hecke, aus der reihenweise tote Elstern wie Fallobst fielen, aus dem Zimmer hinaus auf den Boulevard über den der Wind gelbe Staubnebel schlug, die im Purpurglast der Sonne zu feurigen Lohen wurden. Weit in der Ferne hoben sich in violetter Starre die Gipfel der Sierra-Madre-Berge gen Himmel.

Nach einem stundenwährenden Fußmarsch erreichten wir einen Mietstall, in dem der Fremde verschwand, um kurz darauf mit zwei prächtigen Schwarzfalben erschien, die so glatt gestriegelt waren, daß man sich in ihnen hätte spiegeln können.

Wir bestiegen die Tiere und ritten im leichten, raumfressenden Galopp auf die andere Straßenseite, wo sich der Tanzpalast befand.

Wir tanzten und tanzten und gerieten mitten hinein in die Tanzmaschine, den großen, wilden, dampfenden Tanzmähdrescher, und wir wurden geradezu aneinandergequetscht wie zwei verkehrte Steine in einem Geduldsspiel, und es war nahezu unmöglich, aus diesen Zähnen wieder loszukommen und sein Duft stieg mir in die Nase, und ich dachte an seine Mutter, die auf den Färöern saß und mit ihrer Mutter Färöisch sprach und Klippfisch aß.

Und ich dachte an meine Mutter, die eine etwas andere Art hatte, wenn wir uns so nahe waren, und die anders duftete und mir in der Regel beim Tanzen in den Kragen pustete oder mich mit den Haaren kitzelte und mich hie und da etwas drückte wie ein Wiesel, das einem über die Kleider huscht, so daß dann in der Regel ein anderes Wiesel unter den Kleidern lebendig wurde - was jetzt auch beinahe einzutreten drohte, obwohl es der Fremde war, der an meine Jacke gedrückt wurde, und der Duft ein anderer.

Ich dachte intensiv an Mutter und spürte, wie des Peinigers Schenkel an die meinen klopften, und seine Hüften waren wie eine Geige an meinem Bauch, und sein Rücken war schmal und ziemlich warm und so weiter. Und dort zwischen dem Tup-Tup der Schenkel etwas Härteres, ein Geigensteg, deutlich und breit, und ich hielt ihn gut fest und summte in sein Haar hinein. Und er schlängelte sich immer mehr wie ein Seehund oder eine Art fetter Schlange, und das blöde Orchester brachte uns völlig außer Atem, die Musik war jetzt völlig perplex geworden "Interessiert dich nicht, warum ich mich vorhin nach Zierkirschen erkundigte, Liebling?" Ein leichter Hauch von etwas Verlorenem lag über seinem nebligen Gesicht. "Ich nehme an, um dich an der Antwort, daß die Elstern sie gefressen hätten, zu ergötzen" gab ich zur Antwort.


Er nickte kaum wahrnehmbar, zog abermals seinen Revolver hervor und preßte die Mündung gegen seine Schläfe. Sein Gesicht glich jetzt der Fratze eines gefoppten Dämons. Dann krachte der Schuß, dort wo die leuchtende Feuerblume der Mündungsflamme sogleich in sich zusammenfiel. Seinen letzten Atemzug verröchelte mein Peiniger nicht - er verlachte ihn buchstäblich.

Gott, war mir das peinlich.