ZEIT & GENOSSEN

Matti Link, Sommer 95
Ernest Borneman hat seinen Abgang, wie viele seiner Auftritte zu Lebzeiten, ja wie sein ganzes Leben brillant inszeniert. Julius Mende schreibt, "…er hat sich auch bewußt umgebracht und und auch noch ein anregendes Rezept hinterlassen: wie man selbstbestimmt - wenn Alter und Krankheit es ratsam erscheinen lassen - geht." Ein Abgang in Würde, kein kleingeistiges Klammern an einen letzten Rest eines würdelos gewordenen Lebens. Ein Leben, das an Produktivität und Engagement aber auch an Facettenreichtum und Buntheit kaum zu überbieten war. In der Emigration schrieb er Krimis,Theaterstücke und Filmdrehbücher. Er leitete in England Rundfunkstationen, arbeitete als Psychoanalytiker, produzierte Filme gemeinsam mit Orson Welles, ja er spielte sogar auf Bühne und im Film. Aus der Emigration zurückgekehrt ließ sich Borneman zuerst in Deutschland dann in Österreich nieder. Wie die meisten aus der Emigration zurückgekehrte wurde er keineswegs mit offenen Armen empfangen, sondern eher mißtrauisch verfolgt, vom verkorksten Wissenschafterklüngel ausgegrenzt, seine umfassende Arbeit kaum gefördert, meist sogar boykottiert - bis zu seinem Tod. Was soll man denn von einem halten, der die Sexualität als sein Wissenschaftsgebiet auserkoren hat, der überdies Wissenschaft nicht bloß als staubigtrockene Materie auffaßte: Beispielsweise für sein Hauptwerk "Das Patriarchat" scheute Borneman keine Mühen, köstliche griechische und lateinische Klassikertexte beispielsweise über die Knabenliebe ins Deutsche zu übersetzen. In einem saftigen, g'schmackigen Sprachduktus, der der Sache gerecht wird, werden die Arschbacken der griechischen Jünglinge besungen, Hymnen auf die Glutären angestimmt. Die ideale Darreichungsart für dieses fundamentale Werk der Sexualwissenschaft, dessen großes Verdienst es ist, die Sexualität im Kontext mit den politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnissen zu behandeln. Aufbauend auf diesen ökonomischen und politischen Analysen beschreibt Borneman in diesem - seinem wichtigsten Buch meiner Meinung nach - die Ablösung martriachalischer Gesellschaften im mediteranen Raum durch patriarchalische und das über einen historischen Zeitraum von mehreren Jahrtausenden. Bornemans großartiger bildungsmäßige Hintergrund kommt in diesem Buch voll zum tragen. Auch dieses Werk trug Borneman bei Historikern heftige Kritik ein, lehnte er sich doch ziemlich eng an Friedrich Engels "Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates" an. Dessen Gliederung der Geschichte in Epochen, von der Urgesellschaft bis zum Kapitalismus durch den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand sicherlich überholt ist, aber das ist doch das Wesen der Wissenschaft, daß der Erkenntnisprozeß nicht stehenbleibt. Für seine Zeit war "Das Patriarchat" sicherlich ein Meilenstein der Sexualwissenschaft und der Geschichtswissenschaft. Eine differenzierte Basis-Überbaudialektik bezüglich des sexuellen Lebens einer Kultur war bislang neu. Es ist auch nichts Nennenswertes nachgekommen.

Borneman hat aber auch mit der Sammlung erotischer Kindersprüche, mit seinem vielbändigen Lexikon der Liebe und seinem fulminanten Wörterbuch der Erotik ein sexualwissenschaftliches Werk geschaffen, das seinesgleichen sucht. Die Beantwortung von schlüpfriger Leserpost der "Neuen Revue" und im "Stern" kann man ihm da leicht verzeihen. Er argumentierte diese Tätigkeit so, daß diese Leserbriefe wichtig für seine sexualwissenschaftlichen Studien gewesen seien.

Von den Medien wurde Bornemans Abgang mit sensationsheischendem Tamtam aber gleichzeitig mit unverhohlener Häme kommentiert. Er sei an sich selber gescheitert, mit ihm sei seine Theorie und sein Anspruch des Zusammenlebens der Geschlechter gescheitert wurde stets aufs neue hinausposaunt. Immer wieder aufs neue zweifelhafte SexualwissenschafterInnen herangezerrt, die mit großem Genuß Borneman posthum ans Bein pinkelten. Er sei "kein ernstzunehmender Wissenschafter" gewesen, auf "dem Auge der Gewalt blind", er habe "nicht ernsthaft genug" gearbeitet, sei "an seinem eigenen Anspruch gescheitert" wurden die Riege der "KollegInnen" nicht müde in Interviews und Stellungnahmen hinauszuposaunen. Eine einzige rühmliche Ausnahme ist hier anzumerken: Die Sexualtherapeutin Gerti Senger würdigte den Toten wie es anderen auch angestanden wäre: "Das Rebellische ist einer seiner charakterlichen Grundzüge gewesen. Was immer er wissenschaftlich entwickelt hat, es war immer ein rebellischer Standpunkt spürbar. Ich bedauere es sehr, daß es wenige Personen der Wissenschaft gibt, die diese Ausstrahlung, diese Magie und diese Kraft haben, die er gehabt hat. (…) Daß er der Wissenschaft den Grauschleier nehmen konnte, bleibt sein Verdienst." Soweit ein würdiger Nachruf auf einen würdig Abgegangenen. Und die Pyschotherapeutin Rotraud Perner, die schon zu Lebzeiten einen Diskurs mit Borneman führte wirft ihm wissenschaftliche Unredlichkeit vor, attestiert ihm "Killerphrasen", zeiht ihn der Gewalttätigkeit und meint, er sei wissenschaftlich ohnehin längst nicht mehr ernst genommen worden. So geht man nicht um mit den Toten! Mit jenen Toten, die immer im Widerspruch zur herrschenden Meinung gestanden sind. Da bleibt nur noch Ernst Borneman über Rotraud Perner zu zitieren: "Diese Frau stinkt. Ich glaube diese Frau wäscht sich nicht." Wenn auch nicht physisch, psychisch ist diesem Borneman-Sager voll zuzustimmen.