Die Zeit drängt , die Zeit mahnt, weil die Zeit wird knapp denn Zeit ist Geld und die Stunde droht und zum Denken koa Zeit.
Wieso eigentlich?
Eine Minute sind 60 Sekunden oder ein paar tiefe Schnaufer.
Zeit zum Innehalten.
"Der Mensch" ist selbst schuld, daß er keine Zeit mehr hat . Im Mittelalter gab es noch die zyklische Zeit, die sich nach dem Rhythmus von Natur und Mensch richtete. Im Zuge der Industrialisierung und der kapitalistischen Entwicklung war mit dieser Zeit nichts mehr anzufangen und es entstand die lineare Zeit, weil profitable Maschinen auch laufen müssen, wenn es finster ist, bitterkalt oder 3 Uhr 30 in der Früh. Die Menschen detto.
Mit dieser linearen Zeit leben wir jetzt, ausgerichtet nach der Atomuhr, die auch noch in Nanosekunden zerstückeln kann und sie wird knapp, weil alles immer schneller gehen muß. Deswegen ist es verpönt und verdächig, Zeit zu haben. Weil dann tut man nichts.
Die heurige Werkstätte ArbeiterInnenbildung, eine Gemeinschaftsveranstaltung von AK, VHS, ÖGB, Betriebsseminar der Diözese, der Grünen Bildungswerkstätte, dem Verein zur Betreuung von Ausländern, dem Sozialministerium und dem Bundesinstitut für Erwachsenenbildung in St. Wolfgang hatte das Thema Freiräume zum Inhalt.
Freiräume und Zeit hängen unmittelbar zusammen, dementsprechend spielte Zeit eine wichtige Rolle.Im "hillinger" sollen hier jetzt nicht die Ergebnisse der einzelnen Arbeitskreise referiert oder den Ablauf linear wiederzugeben. Die Werkstätte war Anstoß, sich den Umgang mit der Zeit näher anzuschauen. Im folgenden einige Aspekte.
Zeit wird nicht geschenkt, sondern gestohlen. Und zwar in den Betrieben, Büros, in der Arbeitswelt.
Stempeluhren gehen anders: Eine Minute Zuspätkommen in der Fabrik bedeutet eine Viertelstunde Lohnabzug. In den meisten Lebensmittelketten beginnt die Arbeit nicht laut Dienstvertrag, sondern eine halbe Stunde früher. Bezahlt wird diese Arbeitszeit nicht, aber rückvergütet mit 10 Minuten Frühstückspause.
Bezahlt wird auch nicht die Zeit, die nach Geschäftsschluß zum Kassamachen notwendig ist. Müssen "Teilzeitarbeitskräfte" länger als 30 Stunden arbeiten, sind das keine Überstunden, sondern nur schlechterbezahlte "Mehrstunden".
Im Gesundheitsbereich wiederum muß oft auch 32 Stunden durchgearbeitet werden. In Arbeitsprozessen bleibt kaum mehr Zeit und Raum, um zu sich selbst zu kommen.
Die Industriellenvereinigung will schon die längste Zeit die Lebensarbeitszeit verlängert haben.
Bei längeren Krankenhausaufenthalten darf jetzt nach Entscheid des Obersten Gerichtshofes das Urlaubsgeld des Betroffenen gekürzt werden.
Vor allem im Bereich der Mittel - und Kleinbetriebe wollen Unternehmer ihren "MitarbeiterInnen" den Urlaub nur mehr tageweise nehmen lassen und eine Linzer Geschichte aus den Oberösterreichischen Nachrichten paßt auch dazu:
Eine halbe Stunde vor Geschäftsschluß will eine Kundin in einem Friseurgeschäft auf ihrem Kopf Strähnen färben, waschen, schneiden und trocknen. Die einzige noch anwesende Friseurin bedauert, weil die Prozedur zwei Stunden dauert. Die Kundin beschwert sich bei der Chefin und die zieht der Friseurin 300 Schilling vom Wochenlohn ab. So schauts aus.
Freizeit wird immer mehr zu verplanter Zeit. Nichtstun und faul sein wird nicht gern gesehen in einer Konsum- und Freizeitgesellschaft. Besser ist, man verhält sich auch in der Freizeit so, als ob man arbeiten würde.
Der vorbildliche Freizeitmensch macht Actionurlaub,geht ins Fitneßcenter,ist ein Häuslbauer, kauft sich Rollerblades, joggt natürlich und hat Kabelfernsehen und einen Time - Planer. Das mästet die Wirtschaft. Bereits der Tagesablauf von vier und fünfjährigen Kindern ist auf die Viertelstunde genau geplant, dabei zeigen gerade die Schwierigkeiten bei der Umstellung auf die Sommerzeit, daß Kinder noch ihren ganz eigenen Rhythmus hätten. Der ihnen aber mit Zeit als Disziplinierungsmaßnahme - pünktlich sein müssen, als Strafe früher ins Bett gehen, nur mehr eine halbe Stunde spielen dürfen....- schon frühzeitig ausgetrieben wird.
Für Frauen ist Freizeit keine Freizeit, sondern die Zeit der zweiten und dritten Arbeitsschicht. Da fängt es daheim erst richtig an mit der Aufrechterhaltung der Familienorganisation: Putzen, Kinder, Altenpflege, Beziehungsarbeit und ein vorbildlicher Freizeitmensch will frau natürlich auch sein. Daß sie ihre Ruhe haben wollen, trauen sich die wenigsten zu sagen, weil ja erwartet wird, daß sie in der Freizeit ihre weibliche Pflicht erfüllen. Sonst hat man schnell eine schlechte Nachred'!
Ein Zurück zur zyklischen Zeit des Mittelalters kann es nicht geben. Aber man muß nicht jeden Schwachsinn mitmachen und sich alles gefallen lassen.
Die Sommerzeit zum Beispiel wird uns nicht geschenkt, damit wir mehr Freizeit haben, sie wird einzig und allein zur effizienteren (Selbst)Ausbeutung verordnet. Bevor wir sie in den 70er Jahren verpaßt bekommen haben,war sie bereits zweimal eingeführt gewesen. Das erste Mal 1916, das zweite Mal 1940, in Kriegszeiten also, wo Menschen fest ins Joch gezwungen werden müssen. Mehr ist da nicht.
Seit fünf Jahren gibt es einen Verein zur Verzögerung der Zeit.
Gegründet wurde er vom Philosophen und Gruppendynamiker Dr. Peter Heintel, der an der Universität Klagenfurt unterrichtet.
"Vielleicht kann es sinnvoll werden, Organisationsformen, kollektive Solidarisierungsmöglichkeiten zu schaffen und zu erproben für abstrakte Dinge ( wie Raum, Zeit, Beschleunigung, Energie etc), die zunächst abstrakt erscheinen und doch so radikal in unser Leben und seine Gestaltung eingreifen. Jedenfalls eine Instanz, die sich gegen blinde Beschleunigungsprozesse wendet" ,
umschreibt er in einem Interview seine Motivation für diese Vereinsgründung.
Die Mitglieder des Vereines verpflichten sich laut Statuten "
zum Innehalten, zur Aufforderung zum Nachdenken dort, wo blinder Aktivismus und partikulares Interesse Scheinlösungen produziert."
Dieses Innehalten steht keineswegs in Widerspruch zu Aktivitäten, erläutert Dr. Martin Roß, Mitglied der Wiener Regionalgruppe und habe überhaupt nichts mit Trotzkopfhaltung a la l'art pour l'art zu tun, sehr viel aber mit Widerständigkeit.
"Zeit kann man nicht verzögern. Aber den eigenen Umgang mit Zeit kann man in jedem Lebensbereich verzögerter gestalten. Das fängt damit an, daß man sich auf Reisen dem Fliegen verweigert und stattdessen sachte in das andere Land hinübergleitet und geht bis dorthin, daß man seine Texte mit der Hand schreibt und nicht direkt in den Computer hinein."
Und Dr. Birge Krondorfer, Philosophin und Vereinsmitglied betont:
" Der Verein zur Verzögerung der Zeit hat zum großen Ziel, daß sich die Menschen anfangen zu wehren gegen das, was man unter Zeitnot, Zeitdruck und Zeitverknappung versteht.
Der Zwang zur Effizienz, zur optimalen Produktherstellung , der sich mit der linearen Zeit durchgesetzt hat,bezieht sich ja längst nicht mehr auf Dinge, die wir produzieren und konsumieren müssen sondern auch auf Lebensverhältnisse.
Wenn sich da möglichst viele Menschen aus allen Schichten als Betroffene dem Verein zugehörig fühlen , sich zusammenschließen und das öffentlich machen, dann ist das eine Art Solidargemeinschaft, die zumindest eine abstrakte Unterstützung gibt."
Dem Verein zur Verzögerung der Zeit kann man beitreten.
Adresse : A-9010 Klagenfurt. Sterneckstraße 15.
Tel.: 0463/ 2700 - DW 742, Fax : 0463/27 00 - 759.
Mitgliedsbeitrag ist ein Schilling pro Tag,
also 365 Schilling im Jahr.
In Linz gibt es noch keine Regionalgruppe.
Die Wiener Regionalgruppe plant für nächstes Jahr
in der letzten Juniwoche im WUK ein Symposium,
bei dem auch die Beschleunigungstheoretiker und
Philosophen Paul Virilio und Massimo Calciari,
derzeit Bürgermeister von Venedig, zum
Thema referieren werden.