flann o'brien.


der 3. polizist.


gelesen von märz bis ende april 94.

1 buch von flann o'brien, so super übersetzt von harry rowohlt, habe ich gelesen im frühjahr 94, ein buch, ein text, der nicht aufhört übrigens. flann o'brien, 1911 bis 1966 gelebt ist aus irland und zählt dort zu den meistgelesenen autoren. im 3. polizist wird dauernd ein philosoph namens de selby ins spiel gebracht, der die plausibelsten gedanken über welt und universum ins spiel bringt, u. a. auch den, dass die dunkelheit durch eine am sogenannten abend stark zunehmende anhäufung schwarzer partikel in der luft verursacht wir solange, bis es finster ist, nacht. in der früh verbläst der wind die3se partikel dann wieder und so weiter. dazu kurz noch das vorwort zum 3. polizisten von de selby selber: da die menschliche existenz eine halluzination ist, welche die sekundären halluzinationen von tag und nacht einschliesst (bei letzterer handelt es sich um eine unhygienische veränderung der atmosphäre, die auf der verdichtung schwarzer luft beruht), steht es einem jeden, der seine sinne beisammen hat, übel an, mit dem illusorischen unterfangen, die erhabenste halluzination, den tod, zu begreifen, befasst zu sein. und dann gibt es da noch im buch ein zweites vorwort, von shakespeare, das so geht: doch weil das los der menschen niemals sicher, lasst uns bedacht sein auf den schlimmsten fall. dazu noch aktuell folgendes: wegen dieser wahl, wir sollten nicht hingehen, allein schon deshalb nicht, weil wir es uns angewöhnt haben und auch dabei bleiben sollten, uns differenzierter zu artikulieren, als da ein kreuz in einen kreis zu machen, neben dem ein dubioses kürzel sich befindet, hinter dem leute stehen, mit denen wir nicht einmal eine busreise um den pichlingersee unternehmen würden, weil wir mit ihnen nichts anfangen können. sonntagsbeschäftigung für analphabeten. und wenn uns jemand fragt: was wollt ihr dann, dann hätten wir durchaus gute antworten. daran soll es nicht scheitern.
markus binder

mir war es recht, wenn man mich in frieden ließ, denn ich wußte, daß meine arbeit wichtiger war als meine person. s 15

de selby, sein (des hauptdarstellers) filosof hat zum thema häuser einiges interessante zu sagen. er sieht 1 häuserreihe als 1 reihe notwendiger übel an. die verweichlichung und degenerierung…führt er auf ihre zunehmende vorliebe für interieurs und auf ihr schwindendes interesse an der kunst des ausgehens und draußenbleibens zurück. dies wiederum sieht er als resultat immer mehr um sich greifender tätigkeiten wie lesen, schachspielen, trinken, ehe und dergleichen...an anderer stelle definiert er ein haus als "großen sarg", als "gehege" und als "schachtel". s 28

"warum antworten sie immer mit nein?" ... ">nein< ist, allgemein gesprochen, eine bessere antwort als >ja<" ... "würden sie sich weigern, mir zu erklären, warum sie das sagen ?"... "nein", sagte er. "als ich ein junger mensch war, führte ich ein unbefriedigendes leben und widmete den löwenanteil meiner zeit exzessen der einen oder anderen art," ... "was hat das mit ja und nein zu tun ?" "nach einer gewissen zeit", sagte der alte mathers, mich ignorierend, "sah ich gnädigerweise den irrtum meines treibens ein und erkannte das mir gewisse ende, wenn ich mich nicht besserte. ich zog mich aus der welt zurück und versuchte, zu verstehen, warum sie desto fader wird, je mehr jahre sich auf dem körper eines mannes angesammelt haben. was, glauben sie, habe ich am ende meiner meditation herausgefunden ?" ich fühlte mich wieder geschmeichelt. diesmal fragte er mich etwas. "was?" "daß nein ein besseres wort ist als ja", antwortete er. ... ... "fahren sie fort", sagte ich. ... "ich bemerkte", sagte er, "daß wir alles, was wir tun, als reaktion auf einen wunsch tun oder einen vorschlag, der uns von einer anderen person in uns selbst oder außerhalb gemacht worden ist. einige dieser vorschläge sind gut und lobenswert, und andere sind zweifellos sogar ausgesprochen herrlich. aber die meisten sind entschieden verwerflich...verstehen sie mich?" "vollkommen." "ich würde sagen, daß die schlechten die guten in einem verhältnis von drei zu eins übertreffen." sechs zu eins, wenn ihr mich fragt. (joe, die stimme der hauptfigur von oben). "deshalb habe ich beschlossen, zu jedem vorschlag, zu jedem wunsch, zu jeder anfrage, kommen sie nun von innen oder außen, fortan nein zu sagen. ... es ist nun schon viele jahre her, seitdem ich das letztemal ja gesagt habe. ich habe mehr wünsche abgelehnt und mehr bemerkungen verneint als irgendwer, tot oder lebendig. ich habe in einem ausmaß verneint, abgelehnt, abgewunken, bestritten, abgeschlagen, mich geweigert, gesperrt, geziert und herausgehalten, habe negiert, geleugnet und verworfen, daß es geradezu unglaublich ist." ... "das system bringt frieden und zufriedenheit", sagte er. "die menschen machen sich nicht mehr die mühe, einen mit fragen zu behelligen, wenn sie wissen, daß die antwort das ergebnis eines wohlüberlegten beschlusses ist. gedanken, die keine aussicht auf erfolg haben, verzichten von vornherein darauf, einem in den sinn zu kommen." "muß ihnen das nicht in mancher hinsicht lästig sein", schlug ich vor."wenn ich ihnen zum beispiel ein glas whiskey anböte ... " "die wenigen freunde, die ich habe", antwortete er, "sind meist so gute freunde, daß sie derartige einladungen in einer weise formulieren, die es mir erlaubt, meinem system treu zu bleiben, ohne den whiskey auszuschlagen. ich bin mehr als einmal gefragt worden, ob ich ähnliches zurückweisen würde." "und die antwort lautet unverändert nein?" "gewiß." s 37-40

die farbe eines menschen ist die farbe des windes, die bei seiner geburt vorherrschte. s 43

auf der landstraße blickte ich mich um und sah nur den rand des grabens, aus dem rauch aufstieg, und es sah aus, als säßen kesselflicker auf seinem grund, die dort ihr was-es-gerade-gab kochten. s 64

"eine reise ist eine halluzination". behauptung de selby's. de selby definiert die menschliche existenz als "sukzession unendlich kurzer statischer erfahrungen". er bestreitet jegliche progression, verneint, daß die zeit als solche im überkommenen sinn vergehen kann und verbannt das allgemein erfahrene gefühl der progression ins reich der halluzinationen, zb bei einer reise von 1 ort zum andern oder sogar während man "lebt". wenn sich jemand in a aufhält und wünscht, sich an dem entfernten ort b aufzuhalten, so kann er das nur dadurch bewerkstelligen, daß er sich unendlich kurze intervalle lang an unzähligen dazwischen liegenden oder intermediären orten aufhält. ... für die illusion der progression macht er die unfähigkeit des menschlichen gehirns verantwortlich, die realität der separaten aufenthalte anzuerkennen; statt dessen ziehe man es vor, millionen von ihnen zusammenzufassen und das resultat bewegung zu nennen, ein völlig unvertretbares und unmögliches vorgehen, da auch nur 2 verschiedene positionen nicht von einem körper gleichzeitig eingenommen werden können. daher ist bewegung ebenfalls eine illusion. er erwähnt, nahezu jede fotografie sei der schlüssige beweis für seine lehren.
...sozusagen backe an wange mit diesem findet man die wohlbekannte abhandlung über "zelt-anzüge", jene ausgezeichneten kleidungsstücke aus leinwand, die er als ersatz sowohl für die verhassten häuser als auch für die herkömmliche kleidung entwarf. s 66/67

"teilen sie mir die quintessenz ihrer erkenntnisse mit, damit ich sehe, was ich dann sehen werde." s 77

seine (de selby's) untersuchung des wesens von zeit und ewigkeit anhand eines systems von spiegeln: wenn ein mensch vor einem spiegel steht und in diesem seine reflexion betrachtet, dann sieht er nicht sein wahres abbild, sondern er sieht ein bild, das ihn als jüngeren menschen darstellt. die erklärung ist einfach. die lichtgeschwindigkeit und die zeit, die sie braucht, um den weg zwischen dem objekt (zb auge) zum spiegel und wieder retour zurückzulegen. mag diese idee nun stimmig sein oder nicht, so ist doch die damit verbundene zeitspanne so unbedeutend, daß sich nur wenige menschen von verstand ernsthaft mit diesem punkt auseinandersetzen werden. de selby jedoch, nie ein freund von halbheiten, besteht darauf, die erste reflexion in einem weiteren spiegel zu reflektieren...schließlich konstruierte er die bekannte versuchsanordnung paralleler spiegel...bei dem zwischengeschalteten objekt handelte es sich um de selby's eigenes gesicht, und dieses habe er, gibt er an, durch eine unendlichkeit von reflexionen "mit hilfe eines starken glases" rückwärts studiert. ... er berichtet, er habe in den reflexionen eine zunehmende jugendlichkeit bemerkt ... wobei die entfernteste - zu winzig, um unbewaffneten auges wahrgenommen zu werden - das gesicht eines bartlosen knaben von zwölf jahren war ... es gelang ihm allerdings nicht, den gegenstand bis zur wiege zurückzuverfolgen, wofür er "die erdkrümmung und die grenzen des teleskops" verantwortlich machte. s 84/85

"was, würden sie sagen, ist eine bulbul?". nach vielen antwortversuchen: "eine bulbul ist eine persische nachtigall. was sagen sie nun?" s 86

"wohin gehen wir eigentlich?", fragte ich, "beziehungsweise, in welcher richtung bewegen wir uns, oder sind wir auf dem rückweg von irgendwo?" ... "wir gehen dorthin, wohin wir gehen", sagte der sergeant, "und das ist der richtige weg zu einem ort, der sich gleich daneben befindet. ..." s 101

"würde es sie in erstaunen versetzen, wenn sie erführen", sagte er dunkel, "dass die atom-theorie in dieser gemeinde am werk ist?" ... "michael gilhaney", sagte der sergeant, "ist das beispiel für einen mann, der durch das prinzip der atom-theorie dem nahezu völligen ruin verfallen ist. würde es sie erstaunen, wenn sie hörten, dass er fast zur hälfte ein fahrrad ist?" ... "alles besteht aus kleinen partikeln seiner selbst und diese fliegen in konzentrischen kreisen herum und im bogen....stehen nie still, trudeln vor sich hin und flitzen mal hier-, mal dahin und gleich wieder zurück, immer auf achse. diese kleinwinzigen herrschaften nennt man atome. können sie mir scharfsinnig folgen?" ... ... "das brutto- und nettoresultat davon ist, dass die persönlichkeit von menschen, die die meiste zeit ihres natürlichen lebens damit verbringen, die steinigen feldwege dieser gemeinde mit eisernen fahrrädern zu befahren, sich mit der persönlichkeit ihrer fahrräder vermischt - ein resultat des wechselseitigen austauschs von atomen-, und sie würden sich über die hohe anzahl von leuten in dieser gegend wundern, die halb mensch und halb fahrrad sind." ... "und sie wären platt, wenn sie wüssten, wie viele fahrräder es gibt, die halb menschlich, die halbe menschen sind, die zur hälfte dem menschengeschlecht angehören." da gibt es anscheinend keine grenze, bemerkte joe. in dieser gegend kann alles geagt werden, und es wird wahr sein, und man muss es glauben. s 108-111.

wieder ein bericht über eine theorie von de selby, der meint, daß es anstelle von 4 himmelsrichtungen nur 2 gäbe. allerdings liege auch hier ein weiterer trugschluss vor und in wirklichkeit gäbe es nur 1 einzige richtung, die diesen namen verdient, denn wenn man irgendeinen punkt des globus verlässt, sich bewegt und fortfährt, sich in welcher "richtung" auch immer zu bewegen, dann erreicht man unweigerlich wieder den ausgangspunkt. die lehre, die aus der schlussfolgerung dieser theorie gezogen wird, "die erde" sei "eine wurst", ist nicht ohne reiz. die vorstellung, die erde sei sphärisch, schreibt er der tatsache zu, dass der mensch sich kontinuierlich nur in einer bekannten richtung bewegt (obwohl er davon überzeugt ist, sich in einer richtung seiner freien wahl zu bewegen) und dass diese eine richtung der kreisörmigen zirkumferenz einer erde entspricht, die nur wurstförmig sein kann. man kann kaum bestreiten, dass, wenn die multidirektionalität der erde als trugschluss entlarvt worden ist, die sphärische gestalt der erde ein weiterer trugschluss ist, der sich zwingend aus dem ersten ableitet. de selby vergleicht die lage eines menschen, der sich auf der erde befindet, mit der situation eines seiltänzers, der auf dem drahtseil weitergehen muss, um nicht abzustürzen, ansonsten aber herr seiner entscheidungen ist. aus der bewegung in diesem begrenzten spielraum resultiert jene permanente halluzination, die uns unter dem begriff "leben" mit seinen zahllosen einschränkungen, betrübnissen und anomalien bekannt ist. neue und unvorstellbare dimensionen werden die gegenwärtige ordnung verdrängen, und die mannigfaltigen "unnötigkeiten" der "ein-direktionalen" existenz werden verschwinden.
zu einer bestimmten zeit scheint de selby angenommen zu haben, die schwerkraft sei der "kerkermeister" der menschheit, da sie sie auf die ein-direktionale strasse in die vergessenheit dränge und dass das heil nur in einer eher aufwärts gearteten richtung liegen könne. die luftfahrt verwarf er als unwirksames heilmittel und verbrachte folgerichtig mehrere wochen mit dem entwurf von "barometrischen pumpen", welche mit hilfe von "quecksilber und drähten" arbeiten und breite landstriche von den einwirkungen der schwerkraft befreien sollten. zum glück für die bewohner der betreffenden gegenden - zum glück auch für ihre bewegliche habe - scheint er keine nennenswerten resultate erzielt zu haben. s 123-125

"ich muss jetzt dorthin aufbrechen, wohin mein weg mich führen wird", sagte er, ... s 135

fast jede der zahlreichen rechtsstreitigkeiten, in die de selby verwickelt war, bietet ein lehrreiches beispiel für die erniedrigungen, die grosse geister zu erdulden haben, wenn man sie dazu zwingt, mit dem unbeschwingten intellekt der verständnislosen laienschaft in kontakt zu treten. s 192, fussnote

"kennen sie martin finnucane?" ... "wir sind beinahe verwandte", sagte er, "aber nicht ganz. er steht in enger beziehung zu meiner kusine, die beiden haben aber nie geheiratet; sie fanden nie die zeit dazu." s 195

"ich glaube", sagte er, "wir sollten hinausgehen und es uns ansehen. es ist herrlich, das notwendige zu tun, bevor es wesentlich und unvermeidlich wird." s 205