GUS MAIL

Seit Mai bekam der Hillinger und ca. 400 Adressaten mehr plötzlich Post aus der GUS - GUS-Mail. In unregelmäßigen Abständen flatterten Postkarten aus Kiev, Odessa, Moskau oder Samarkand ins Haus, auf denen zu lesen war, was den beiden Projektrealisatoren Nick Dustlos und Drago Torpedowicz auf ihrer Reise so alles unterkam. Ein Teil dieser Postkarten wurden mit eigenen Motiven versehen, die meisten der Sendungen bestanden aber aus Ansichtskarten, oft illustriert mit Fotos von Lenin-Statuen, auf denen die eigenen Texte gedruckt wurden.
Nach seiner Rückkehr aus Samarkand, wo das Projekt aus finanziellen Gründen vorläufig im Sande verlief, berichtet mir einer der Projektrealisatoren von den Schwierigkeiten vor Ort, Druckereien zu finden - natürlich mußten sie die Sendungen auch immer eigenhändig frankieren - falls genügend Briefmarken vorhanden. Zusätzlich überläßt er uns einen kleinen Teil seiner Reiseaufzeichnungen - die auch mal gesammelt erscheinen sollten - zum Abdruck im hillinger.
Bert Estl


Samstag 19. AUG. 95 Aufbruch. Frühstück im Pensionat El Neru in Cholpan Ata. Griessbrei und Tee, in den wohl irrtümlich eine Zwiebel gefallen sein mag. Fahren in einem alten Moskvich nach Balikchi. Reifenpanne.
17.07 Uhr im Restaurant nahe dem Busbahnhof auf der Veranda im ersten Stock. Werner unterhält sich tapfer mit zwei Einheimischen, die kaum Englisch und noch weniger Deutsch sprechen. Er spricht dafür nicht Russisch und auch nicht Kirgis. Der Ort Balikchi ist grandios langweilig. Wir hängen am Busbahnhof herum, spazieren zum Strand, landen im Hafen. Dort tut sich gar nichts mehr. Die Schienenstränge rosten, Gras wächst über das Eisen. Einige Untätige treiben sich am Gelände herum, mit denen wir alsbald ins Gespräch kommen. Den Kränen fehlen jedenfalls die dicken Antriebskabel, welche seitlich auf eine Rolle auf- oder abgerollt werden. Die Scheinwerfer sind ausgeschossen. Gehen den Schienenstrang unschlüssig zum Busbahnhof zurück. Besuchen einen kleinen Markt und werden von herumstreunenden Polizeibeamten kontrolliert. Beide schütteln uns vorher die Hand.
Finden einen Taxifahrer, der uns im Ort herumchauffiert und uns in einem Restaurant an der Hauptstraße absetzt. Dort speisen gerade vier Polizeibeamte und sonst niemand. Später setzen sich drei junge Commander (?) unterschiedlicher Militäreinheiten zu uns. Eine furchtbar anstrengende Unterhaltung über Sport und Militär in bruchstückhaftem Englisch folgt. Die drei begleiten uns dann zum Hotel, welches wir sonst wahrscheindlich kaum gefunden hätten.
22.20 Uhr im Hotel Ak-Kuu. Das Zimmer ist unlängst erst ausgemalt worden. Die Türen und Fenster himmelblau, der Boden mit Spuren davon. Das Fenster aus drei Flügeln ist zugeklebt und die Farbe darübergepinselt worden. Die Klospülung rinnt permanent, so wie landesweit üblich, die Brause funktioniert nicht.

Sonntag 20. AUG. 95
9.35 Uhr im Hotel Ak-Kuu. Die Sonne scheint beim Fenster herein. Der Platz vor dem Hotel gleicht einer Wüstenei. Wind weht Abfall durch die Gegend. In der Ferne einige Wohnblocks, in der Nähe ein KFZ-Parkplatz und mehrere Rohbauten, von einer herrlichen Mauer umgeben. Die Berge des Ala Too Massivs in diesigem Ambiente. Der Balkon dieses Zimmers übersät mit den Scherben der Fensterscheibe. Kunststoffsackerl fliegen durch die Luft. Ein Mann mit zwei Hunden geht in dieser Schotterwüste spazieren. 17.05 Uhr in den Arkaden nahe dem Lenin Monument am Prospekt Chu in Bishkek. Hier wird spektakulär Fenster geputzt. Einer wischt mit einem Lappen, der an einer Holzstange befestigt ist, ein anderer wäscht die gewischten Scheiben mit Wasser aus einem Schlauch. Der Mann am Schaschlik Grill wachelt mit Pappkarton. Der prächtige Prospekt vor dem Lokal ohne ein einziges KFZ. Entweder Treibstoffmangel oder eine Strassensperre. Zuvor im Restaurant Son Kul gegessen. Leider nicht im ersten Stock, sondern bloss im Parterre, wo es bloß die mit Teig getarnten Fleischspeisen gibt. In den Inhalt einer Teigtasche war auch eine Fliege hineinfaschiert.
21.00 Uhr Almaty Time. In einem sogenannten Bistro an der Sovietskaja. Waren zuvor am Osh Basar, wo wir von einem unbelehrbaren Uninformierten belästigt wurden. Der Markt nach einem short continental rainfall stellenweise wegen Schlammbildung nur erschwert passierbar. Nehmen einen falschen Bus und landen in der Peripherie, von der wir mittels Taxi wieder in das Stadtzentrum zurückkehren. Der Fahrer verlangt dafür 40 Com, wir entschädigen ihn mit der Hälfte, was ungefähr der doppelte übliche Fuhrlohn ist. Vor dem Marktbesuch am Kaufhaus Tsum vorbeispaziert. Eine Küchenattrappe gekauft. Am Postamt gewesen. Briefmarken, Kuverts und diverse Auskünfte erhalten. Buben baden bei bewölktem Himmel in einem Springbrunnen. Die ganze Stadt scheint im "1000 Jahre Manas" Fieber zu sein. Jeder Kiosk ist mit dem Festival Logo geschmückt: Ein Ritter der Steppe auf einem im Sprung befindlichen Pferd.

Montag 21.Aug.95
Gegen 8.00 Uhr zum Busbahnhof gefahren. Ratlos vor einem vollbesetzten Ikarus-Bus herumgestanden. Zwei weniger ratlos Wartende schlagen mir eine gemeinsame Taxifahrt nach Almaty vor. Verstauen unser Gepäck in einem Mercedes. Der Fahrer sucht noch einen vierten Passagier. Er kommt jedoch mit drei zurück und nimmt nur mich als vierten mit. Die zwei Männer rennen noch zu dem vorbeifahrenden Ikarus Bus, der Mercedes rollt aus dem FDNJDJRPFK Die Fahrt führt durch Ausläufer der Hauptstadt, kleine Häuser hinter Bäumen, dann bewässerte Felder, dürre Bäume, Steppe. Immer wieder UFB Kontrollanlagen, die wir in langsamen Tempo passieren. Die Fahrgäste sind Uigur, der Fahrer Russe. Durchfahren auch ein abgebranntes Gebiet. Abgekohlte Telegrafenmasten, manche vom Brand ausgehöhlt. Trinken Tee an der Strasse.
15.35 Uhr vor einem Schalter mit der Aufschrift "International Booking Office". Eine Frau vor mir kauft 5 Tickets. Die Ausstellung dauert so lange, dass ich eine Arbeit mitbringen hätte können. Seiten werden abgetrennt und das ganze zigfach gestempelt, sodann die Geldübergabe. Zehn Pakete - jeweils hundert Scheine. Zum Glück wird maschinell gezählt. Besuche am Abend Valera, der uns sechs Tage durch das Ala Too Massiv geführt hat. Er hat früher als Wissenschaftler an unterirdischen Atomsprengversuchen in Semipalatinsk mitgewirkt und berichtet mir von einer aktuellen Sprengung auf dem chinesischen Versuchsgelände Lop Nor. Erinnere mich in diesem Zusammenhang an ein regenbogenähnliches Phänomen im Zenit, an dem Tag, als wir in DJCNTZB angekommen und am Strand des BCCSR REK im Sand gelegen waren. Valera sagte damals, das Phänomen wäre sehr ungewöhnlich und deute auf ein Erdbeben hin.
0.05 Uhr in dem Cafe mit dem blauen Baldachin unfern dem Hotel RFPVJNHT,CJ>PF Hier hat eine Festgesellschaft getafelt.
Aus der Lautsprecheranlage dringt ein Hit von Sinead O`Connor, der mich veranlaßt, hier noch eine Zigarre auszupacken und einen Tee zu bestellen .....

GUS-MAIL - Media Projekt
Museum Moderner Kunststoffe
Harachsthal 8, 4272 Weitersfelden
Konzeption: Backwoodsman Association
Realisierung: Nick Dustlos = Drago Torpedowicz