Sein Arbeitsamtberater, dem man getrost ehrliches Bemühen unterstellen darf, hat den Michl deshalb Anfang 1995 in einen mehrmonatigen Berufsorientierungskurs gesteckt - das ist seit einiger Zeit unter ArbeitsamtberaterInnen so Mode. Ein Ergebnis dieser BO-Maßnahme war dann auch, daß Michl wohl keine Arbeit annehmen werde, die seinen Idealen nicht gerecht wird. Ein Ergebnis, mit dem ein Arbeitsmarktberater, umlagert von Sachzwängen und Weisungen, wohl nicht viel anfangen kann. So legte er Michl nahe, einstweilen in einem Beschäftigungsprojekt zu arbeiten, denn immerhin - irgendetwas müsse ja geschehen, schon wegen der Statistik. Michl nahm dieses Angebot trotz meiner Warnung auch prompt an, und arbeite seither in einem Tischlerei-Beschäftigungsprojekt. Die ersten Arbeitsmonate waren auch eitel Sonnenschein. Die Vorgesetzten waren mit ihm zufrieden, und Michl war fast glücklich über die vielen neuen Dinge, die es da zu erfahren und zu lernen gab. Mit zunehmender Routine entwickelte sich Michl sogar zu einem Projektteilnehmer, dem man eigenständige Aufgaben übertragen konnte, und der diese auch zu relativer Zufriedenheit der Projektleitung erledigte.
In letzter Zeit schimpft der Michl aber immer mehr über dieses Projekt. Denn, so klagt er immer wieder, hat die Projektleitung aus finanziellen Gründen Aufträge übernommen, die für die Beschäftigten lange, eintönige Arbeit bedeuten. So müssen beispielsweise 10.000 (!) Bilderrahmen hergestellt werden, ca. 500 pro Tag. Das bedeutet für Michl und seine KollegInnen, daß eineR tagelang an der Schleifmaschine steht, einige andere wochenlang nur zusammenkleben, und wieder andere nur lackieren oder Klebestellen putzen.
Nun sind der Michl und seine KollegInnen nicht so zartbesaitet, daß sie deshalb gleich Weinkrämpfe bekommen, oder in tiefe Depression verfallen. Sie sind sich durchaus darüber im Klaren, daß man eben ab und zu in den sauren Apfel beißen muß.
Aber, und da fängt für mich der Käse zu stinken an, da bei dieser Arbeit offensichtlich zuwenig weitergeht, haben die Vorarbeiter den ArbeiterInnen verboten, ab und zu Rauchpausen einzulegen. Auch wenn die ArbeiterInnen während der Arbeit zu lange tratschen, oder gar eine rechte Gaudi haben, sehen die Vorarbeiter den Arbeitsfortschritt gefährdet und mahnen zur zügigen Weiterarbeit. Michl, der zwar ein herzensguter Mensch ist, aber auch nicht auf den Mund gefallen, meinte seinem Vorgesetztem gegenüber, daß sie damit wohl den zivilisierten Umgang, wie er unter Erwachsenen gepflegt werden sollte, verlassen haben und sich gebärden wie frühkapitalistische Peitschenknaller. Diese - die Peitschenknaller - rechtfertigten sich damit, daß man sich hier doch in einem Beschäftigungsprojekt befände, dessen vornehmliche Aufgabe es sei, die Projektteilnehmer auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten, und - so die Sozialrbeiterin des Projekts sinngemäß - da muß man es eben auch schlucken, wenn der Chef ein totales Arschloch ist. Außerdem müßten Beschäftigungsprojekte immer danach trachten, in ihrem Arbeitsalltag normalen" Firmen möglichst nahezukommen.
Für mich hat diese Geschichte, die mir der kleine Michl erzählt hat, etwas Bemerkenswertes. Nicht sosehr das Verhalten der Projektleitung irritiert mich,das halte ich für relativ normal. Man muß wahrscheinlich auch in Beschäftigungsprojekten darauf achten, daß ein gewisses Soll erfüllt wird, und daß das nicht immer ausschließlich durch verständnisvolles Zureden geht, scheint mir auch ziemlich klar zu sein.
Was mich allerdings hellhörig werden läßt, sind die Begründungen, mit denen die Sozialarbeiterin und die Vorarbeiter ihr Verhalten erklären. Diese Erklärung: "man muß es schlucken, wenn der Chf ein Arschloch ist", oder: "man will durch das Rauchverbot eine möglichst realistische Arbeitssituation schaffen" scheinen mir doch symptomatisch für die Kapitulation derartiger Sozialprojekte. Das Bestreben ist nicht mehr, dem "Bösen Tier Marktwirktschaft" die Reißzähne zu ziehen, sondern es geht nur noch darum, möglichst willige und kapitalismuskompatible Arbeitskräfte zu schaffen. Die Nachfrage für solche Arbeitskräfte liegt wohl auf der Hand. Anscheinend soll mit diesen eine Lücke gestopftwerden, die durch die rigiden Ausländergesetze geschaffen wird. Da der Arbeitsmarkt zukünftig immer weniger über Gastarbeiter, die man durch die Drohung des Entzuges der Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung zum Spuren bringt, verfügen kann, muß man nun Inländer durch eine spezielle Schulung dazu bringen, die Gastarbeiter zu ersetzen.
So gesehen wirken solche Beschäftigungsprojekte nicht mehr mit, um der Marktwirtschaft die Zähne zu ziehen, sonder sie bereiten ganz im Gegenteil immer neues Futter für das böse Tier auf, um es noch kräftiger und fetter werden zu lassen. Für diese Sozialprojekte ist es dann sicherlich auch nur ein kleiner Schritt, sich von einem Arbeitstrainingsprojekt zu einem Arbeitsdienst-Projekt zu entwickeln, womit zumindest deren Fortbestand in der sogenannten Dritten Republik gesichert scheint.
Wie wird es wohl mit dem kleinen Michl und seinen Freunden weitergehen? Ich habe ihnen fürs erste geraten, einen Betriebsrat zu wählen - so kommt vielleicht auch die Projektleitung zu ihrem möglichst "normalen Betrieb".
Andreas Wahl