Besinnt Euch,
Ihr Ochsen und Ihr Esel!

Alvin C. Waldfels

"Weihnachten, das "gemütvollste" Kirchenfest, läuft gegenwärtig Gefahr, als bloßes Geschenk- und Familienfest seines christlichen Gehalts entleert zu werden. Als Geburtsfest Christi in Bethlehem wurde Weihnachten in Rom bereits 336/337 gefeiert. Der vorchristliche, deutsche Festname bezeichnet ursprünglich die erste der 12 "geweihten" Nächte um die Jahreswende (24.12. - 6.1.). Leider lebt die bessere, weil den christlichen Kern der Feier klar bekennenden Bezeichnung "Christfest" nur noch im innerkirchlichen und mundartlichen Sprachgebrauch." 1

Was ist los mit Euch, Leute? Statt Euch darüber zu freuen, daß die Jungfrau Maria, den Sohn des Herrn zwecks Erlösung der Menschheit zur Welt gebracht hat, stürmt Ihr die Tempeln des Konsums (pardon, die Tempeln von Billa usw.) und frönt den irdischen Gütern. Rücksichtslos und ohne Bedacht auf das ewige Seelenheil haut Ihr das Weihnachtsgeld auf den Kopf und gebt Euch hin an Snowboards und Pentium-PCs.
Aber die Rückkehr zum christlichen Sinngehalt ist gerade heute wieder möglich. "Wer Schüssel wählt, wählt weniger Sozialismus", so lautet die neue Frohbotschaft der christlichen Partei. Dankbar blickt das vom Sozialismus geknechtete Volk auf, ein tiefes Aufatmen zieht durch die Volksmassen, endlich werden auch sie vom realen österreichischen Sozialismus erlöst, können nicht nur in den winterlichen Weihenächten, sondern gleich das ganze Jahr zu einem gottgefälligen, christlichen Leben zurückkehren. Man muß sich hinkünftig nicht mehr in sinnentleerten Konsumgütern wälzen, endlich besteht wieder die reale Möglichkeit, sich vermehrt darbend zu erbauen.
Zwar haben es auch jetzt schon die Vranziskaner nicht verabsäumt, der ungebührlichen Begehrlichkeit des kleinen Mannes und der kleinen Frau sinnstiftende Grenzen zu setzen. Letztendlich mußte man ja der Not der Spitzensteuersatzzahler Linderung bringen und dem Elend der Vermögenssteuerpflichtigen Hilfe geben. Wer sollte das bezahlen? Wer hat soviel Geld? Ihr habt es, Ihr Verprasser der Arbeitslosengelder, Frühpensionen, Pflegegelder und Familienbeihilfen! Euch werden wir umgehend ein christliches Leben beibringen, daß Euch der Rosenkranz kracht! Dem Schüssel glitzern in Vorwahl- und Vorweihnachtsstimmung die Augen so sehr, daß er Sonnenbrillen 2 braucht. Und er verkündet voller Freude, der Schüssel-Ditz-Kurs könnte keine Gaben verteilen, weil die Sozialisten schon alles verteilt hätten. Darum ist wahrscheinlich in den letzten Jahren die Lohnquote so gefallen.
Die Mehrheit der Arbeiter aber beginne zu Jörg, dem Schutzpatron der Österreicher, zu tendieren, melden die Meinungsumfrager. Diese Werktätigen schämen sich wohl verdientermaßen - weil sie seit fünfundzwanzig Jahren für so wenig Arbeit so viel Geld erhalten haben - schließen sich reuevoll dem Kampf gegen die materialistische Weltauffassung an und treten für die Schaffung einer wirklichen Volksgemeinschaft ein. 3
Ihr werdet es nicht bereuen! Der ÖGB wird Euch künftig noch weniger terrorisieren mit der Einmischung in Eure Interessen, christlicherseits kann man vermehrt an der Erlösung aus dem irdischen Jammertal mitwirken, weil die Menschen dann mit mehr Berechtigung endlich wieder an das jenseitige Paradies glauben dürften und die notleidende Wirtschaft wird in die Lage versetzt, den Platz in den Geldspeichern noch besser auszunützen.
Am 17. Dezember vermögen wir zur Vorbereitung auf ein nachweihnachtliches Leben in Demut beizutragen, auf ein Dasein, wo endlich die Pferde mit den größeren Köpfen uns wieder vom Denken entlasten, und wo dann vielleicht der Aufbau einer neuen, nunmehr schon Dritten Republik in die Wege geleitet werden kann. Das ist es doch, was wir ersehnen von der Zukunft Fernen?

1 Wörterbuch des Christentums - Orbis Vlg `95, S. 1351
2 "Mit Wolfgang Schüssel haben wir den besseren Spitzenkandidaten, er hat das Glitzern in den Augen" (VP-Klubobmann Andreas Khol am 24.10.95), Schüssel stellte darauf den Ankauf von Sonnenbrillen in Erwägung, "um das Glitzern in meinem Blick zu verdecken." Standard vom 25.10.95
3 "Daß Haiders Dritte-Republik-Verständnis nicht demokratisch, sondern autoritär ist, läßt sich aus seinen Bekenntnissen zur `Sozialen Volksgemeinschaft' ableiten, die zu den Wesenselementen der faschistischen Staatstheorie zählt. Hinter dem in Vergessenheit geratenen Begriff verbirgt sich das Gesellschaftssystem der Nazis: die Unterordnung von Klassen-, Gruppen- oder Standesinteressen unter das vom Führer definierte Gemeinwohl." (Hans-Henning Scharsach, Haiders Clan, Orac-Vlg. 1995, S. 248 )