Wo gehts nach Sibirien?

Von Eugenie Kain

Chillinger oder Gillinger? Wie schreibt man Hillinger auf kyrillisch? Zur Lösung solcher Fragen gibt es in Linz eine Adresse: Die ÖSG an der Landstraße.

ÖSG - Das hieß einmal Österreichisch - Sowjetische Gesellschaft. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, die ÖSG schon. Sie heißt jetzt Gesellschaft Österreich - Staaten der GUS, damit die Abkürzung nicht geändert werden muß. Mit ihr wird schließlich seit 1945 etwas Konkretes verbunden: Völkerverständigung und Kulturaustausch.
Das Büro in der Landstraße: Im ersten Raum Reiseprospekte des Reisedienstes, ein Samowar, noch ein Samowar und viele, viele Matrioschkas. Dann gibt es Krüge, Vasen in Form von Fabelwesen und Schnapsgläser in Wasserglasgröße - die Überbleibsel einer Ausstellung ukrainischen Keramikkunsthandwerks, eine Bibliothek mit Schwerpunkt russische Klassiker, davor eine Tafel mit russischer Grammatik und dann der Arbeitsraum des Sekretärs mit Sputnik, Lenin, Freundschaftswimpeln, Ziertellern und anderen Devotionalien jahrelanger Freundschaftstreffen.

Der Sekretär der ÖSG heißt Wolfgang Rohrstorfer, kurz Whudsch. Er ist kulturell umtriebig, Gründer des Schachklubs Spartakus, sozial eingestellt und hilfsbereit bis in die Haarspitzen. Wegen Chillinger oder Gillinger wird er sich sofort erkundigen, in einer Stunde kommen Russisch - SchülerInnen zu ihm, die müßten das wissen. Warum er der - je nach Ansicht - erste oder letzte Russ in Linz ist? "Weil sich sonst niemand auskennt". Das ist keine Selbstüberschätzung, das ist so. Ohne Whudsch hätte die Stadtwerkstatt bei ihrem letzten Ars - Electronica - Projekt keine sowjetischen Fahnen am Checkpoint flattern lassen können und ohne Whudsch wären Attwenger nie nach Sibirien gekommen.
Denn im Gegensatz zu anderen weiß Whudsch, "wo man hintelefonieren muß, damit alles hinhaut". Sein know how hat er sich jahrelang und oft mühselig erarbeitet und so ist die ÖSG auch so etwas wie eine Drehscheibe für Dienstleistungen der speziellen Art geworden. Wo sonst gibt es in Linz Informationen über Kasachstan? An wen sonst kann man sich wenden, um Hilfe für Freunde und Bekannte in GUS -Staaten zu organisieren, die oft schon monatelang keinen Lohn mehr bekommen haben? Wer hilft, wenn es gilt, für BürgerInnen aus den GUS-Staaten bei den fast nicht mehr durchlässigen Einreisebestimmungen nach Österreich doch noch ein Schlupfloch zu finden? Wo erfährt man, daß es auch im Jelzin-Land Menschen gibt, die weitermachen wollen und sich den Traum von einer besseren und gerechteren Gesellschaft nicht nehmen lassen? Wer stellt einem eine Ausstellung über Sergej Eisenstein zusammen und liefert auch noch die Filme? Wo kann man Dostojewski auf russisch lesen?

Wie die ÖSG zur Stadtwerkstatt gekommen ist? Für ungebetene Mitleser, die jetzt den Stift zu Hand nehmen, um das "linke Netz des Terrors" zu erweitern: Stift wieder weglegen, es ist alles ganz anders. Das sowjetische Informationszentrum befand sich zwar in Urfahr im Hotel Achleitner, das ja gleich hinter der Stadtwerkstatt lag und es wäre eine interessante Überlegung, welche Rolle verschwundene Orte im kollektiven (Unter-)Bewußtsein der Bevölkerung spielen, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Whudsch borgt nicht jeden Tag sowjetische Fahnen her. Nein, das mit der Stadtwerkstatt ist eine gewachsene Geschichte. Da gab es einmal, noch zu sowjetischen Zeiten, im Schloß Scharnstein eine Ausstellung ukrainischer Volkskunst. Deren Betreuerin, eine Museumsdirektorin, nahm Whudsch in die Stadtwerkstatt mit, um ihr zu zeigen, wie in Linz Kunst und Kultur gelebt werden, die nicht ganz der Form eines Heimatwerkes entsprechen. Die Museumsdirektorin war begeistert.
Auch drei russischen Musikern, die einmal an der Ars Electronica teilgenommen hatten, verschaffte er angenehme Erinnerungen an Linz. "Das Kulturministerium hat angerufen und hat gesagt, morgen kommen in Schwechat drei Künstler an, die müssen nach Linz, können Sie sich um die kümmern? Ich war mit ihnen am Pleschinger See und wir haben Steckerlfische gegessen. Dem einen hab ich dann noch Noten nach Italien zu einem Wettbewerb geschickt. Die waren froh, daß sie sich an jemanden wenden konnten."

Zur Zeit gibt es in der ÖSG 70 HörerInnen für den Russisch - Kurs, einmal im Monat wird ein Russisch - Klub für SchülerInnen, KünstlerInnen und Russophile abgehalten, auch für PensionistInnen finden regelmäßig Veranstaltungen statt. Anlaufstelle ist die ÖSG aber nicht nur für kulturelle Belange.
Die Mütter der Tschernobyl - Kinder, die von der Caritas nach Österreich auf Erholung eingeladen wurden, kommen regelmäßig, um für sich und ihre Kinder russischen Lesestoff auszuborgen. Und dann gibt es noch jene Russinnen aus Linz und Umgebung, denen die ÖSG ein kleines Stück Heimat und Identität vermittelt. Was kann eine Russin in Linz machen, die im Stahlwerk Slobin einen VÖESTler geheiratet hat, mit ihm nach Österreich gekommen ist? Die Ehemänner sind kaum zu Hause, die deutsche Sprache ist schwer, Bekannte, Freunde und Vertrautes weit weg und die Illusionen vom besseren Leben und den Verheißungen des freien Marktes weicht der Desillusion. In der ÖSG bekommt sie Kontakt zu Frauen mit ähnlichen Problemen, im Russisch Klub ist ihr Wissen über Sprache, Kultur und Menschen ihrer Heimat gefragt und sie lernt Menschen kennen, die mit Russen nicht nur unliebsame Ausländer oder saure Fische assoziieren.

Manche Sachen allerdings verweigert Whudsch. Als ihn unlängst ein Großbauer aus Eferding um die Vermittlung von russischen Studenten einer Landwirtschaftsschule für den Ernteeinsatz bat, konnte Whudsch nicht dienen. "Ostarbeiter vermitteln, das mach´ ich nicht". Auch andere Sachen hat er nie gemacht. Etwa die, die ihm in seinem Stapo - Akt zugeschrieben wird: Mit dem Sibirischen Erdgasminister hätte er in der Chemie - Linz über den Erdgas - Preis verhandelt. So war es nun wirklich nicht.
Knifflige Individualreisen bringen ihm zwar finanziell nichts - der Reisedienst der ÖSG bietet Gruppenreisen nicht nur in die GUS - Staaten, sondern auch nach Indien, Bali und China an - er freut sich aber, wenn alles klappt wie am Schnürchen. Deshalb hat auch die Postkarte von Attwenger aus Nowosibirsk einen Ehrenplatz in der Teeküche bekommen. "Lieber Husch. Also ohne Deine Hilfe..."