Von einem anderem Blickwinkel aus kann dieses Problem auch als Dilemma der Formaldemokraten benannt werden. Demnach sind diejenigen Kräfte demokratisch, die im Parlament vertreten sind, alle die außerhalb oder parteiförmig nicht nahe genug am parlamentarischen Ritual dran sind, mit dem Geruch des Undemokratischen behaftet. In der Regel gilt diese Stigmatisierung als undemoktratisch aber nur für die ressourcenarmen Akteure im politischen Spektrum; bei denjenigen, die über wirtschaftliche, politische, mediale Macht verfügen und außerhalb des parlamentarischen Raums agieren, wird dies nicht so empfunden. Wenn ein Medienmulti wie Leo Kirch oder die Kronen Zeitung was durchsetzen wollen, dann klopfen sie nicht an der parlamentarischen Tür, sondern bringen ihren Einfluß dahingehend zur Geltung, daß ihre Signale verstanden werden und verschämt parlamentarisch nachvollzogen wird, was sie wollen. Diese Art von Macht wird als quasi natürlich empfunden, über sie wird nicht abgestimmt, sie ist einfach da. Sie wird nicht thematisiert, außer sie lüftet durch allzu rüpelhafte Gier den formaldemokratischen Schleier und stellt die Ohnmacht der parlamentarischen Organe öffentlich zur Schau.
Das Herumlästern an dieser parlamentarischen Demokratie wird angesichts einer neofaschistischen Bedrohung der Demokratie als tiefer Frevel empfunden, so als ob sich nun alle Gläubigen schnell bekreuzigen müssen, weil der Teufel draußen wartet. Und der Teufel freut sich, weil er alle Demokraten homogenisiert, situativ parlamentarisch fixiert, die Kräfte, die in der Differenz, der Pluralität liegen, lahmlegt. Es ist nichts einzuwenden gegen das Zusammenstehen und die Blockbildung der politischen Kräfte gegen eine grundlegende Bedrohung, nur müssen diejenigen, die den fruchtbaren Boden für die Entwicklung eines demokratiegefährdenden Ungeheuers bereitet haben, und aus opportunistischen Gründen nicht vehindert haben, auch zur Rechenschaft gezogen werden. Denn eine vorübergehende Pseudohomogenisierung der Demokraten ohne zu vereinbaren, welche Bedingungen geändert werden müssen, damit der Neofaschimus wirksam bekämpft werden kann, ist eine Vortäuschung guten Willens ohne Garantie einer Veränderung.
Die Neofaschisten haben ein rein instrumentelles Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie. Sie benützen sie für ihre Propaganda und gleichzeitig untergraben sie ihre Autorität, ihre Glaubwürdigkeit. Sie würden sie auch ohneweiteres nach einer Machteroberung als Fassade beibehalten, denn international würde es nicht schicklich sein, kein derartiges Organ zu haben. Fast jede noch so brutale Macht schmückt sich heute mit einem Parlament, um sich entweder einen Speichelleckerstall zu halten oder weil es praktisch ist, gleich von dort aus aufmüpfige Politiker zu verhaften und umzubringen wie z.B. in der Türkei. Aber die Neofaschisten verlassen sich bei weitem nicht allein auf den parlamentarischen Hebel zur Machteroberung; gleichzeitig wird vorparlamentarisch und parastaatlich agiert. Vorwiegend geht es ihnen um den Kern des Staates, den Zwangsapparat: Verwaltung, Polizei, Justiz, Militär werden durch- und zersetzt bei gleichzeitigem Aufbau eigener Parallelstrukturen. Zu dieser Zangenbewegung kommt die mediale Propagandawalze hinzu: für die mehr geistig Verkommenen und rassistischen Kriminellen eine Aula und der ganze Rattenschwanz von schmutzigen Publikationen, für das Fußvolk die Kronenzeitung.
Der große Trugschluß der gutmeinenden, zur Homogenisierung drängenden Demokraten ist ihr Vertrauen, diesen ganz systematisch betriebenen Kampf um die politische und staatliche Macht durch die Neofaschisten als Verirrung, als politisches Sonderphänomen oder gar als Spuk zu verniedlichen. Man müsse nur richtig wählen, um mit neuen parlamentarischen Mehrheiten wieder einen richtigen Weg zu finden, eventuell das Personal etwas verändern, ein paar Reformschritte setzen und die Bedrohung wäre gebändigt. Keine Rede von einer tiefgreifenden Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Infrastruktur der Zweiten Republik, auf derem Boden ja sich die neofaschistischen Ausgeburten haben entwickeln können. Auf das "man wird nicht zulassen" hätte die SPÖ in anderen Zusammenhängen kommen sollen: sie hat aus opportunistischen Gründen zugelasssen, daß sich die Nazis nach dem 2. Weltkrieg wieder schön einnisten konnten und hat um ihre Stimmen gegiert. Sie hat zugelassen, daß sich ein parteiförmiger Zusammenschluß der Nazis (VdU) bilden konnte; ihr späterer Innenminister Olah hat auf streikende Arbeiter im 50er Jahr eindreschen lassen und mit abgezweigten Gewerschaftsgeldern der fürchterlichen Kronen Zeitung auf die Sprünge geholfen. Sie hat zugelassen, daß sich völkische und faschistische Vorfeldorganisationen wie ÖTB. ÖLM, ihr Unwesen weitertreiben konnten und dazu auch noch gefördert wurden. Ein Hans Steinacher, Hitler Freund und einer der übelsten Figuren der deutschen Volkstumsstrategen schlechthin wurde als NR-Abgeordneter und Honorarkonsul in Mailand hofiert. Kreisky hatte faschistische Kriegsverbrecher in seiner Regierung ; gleichzeitig wurden die Verfolgten und Geschundenen des faschistischen Rassenwahns nicht entschädigt. Künstler und Wissenschafter, die von den Nazis vertrieben wurden, blieben Österreich fern, weil sie den Mief nicht aushielten. Mit dem Antikommunismus hatte man sich ein ideologisches Instrumentarium zugelegt, womit sich die Nazis als kleineres Übel recht schön abfinden konnten. 1983 wertete sie die FPÖ sogar zur Regierungspartei auf. Einem Nazi-Massenmörder wie dem Reder wurde die Hand gedrückt und der Minister blieb im Amt. Panikartig wurden die schärfsten Ausländer- und Asylgesetze beschlossen und brutal exekutiert, der Unterwanderung des Staatsapparates durch Rechtsextreme schaute man zu und ließ die STAPO, HNA auf dem rechten Auge erblinden, bespitzelte und verfolgte jahrzehntelang Bürger, die sich irgendwie kritisch, außerhalb genehmer Strukturen engagierten. Taktisch zögernd aber ohne grundsätzliche Differenzen zur ÖVP und FPÖ wurde die völkisch motivierte Anerkennungspolitik Sloweniens, Kroatiens und Bosniens, die den Krieg erst so richtig in gang brachte, betrieben. Und nun sollen auch noch österreichische Soldaten nach Ex-Yugoslawien geschickt werden, dort wo ein Waldheim sein mörderisches Zuarbeiterhandwerk ausübte und wo der österreichische Anteil an der Mordmaschine des Zweiten Weltkriegs 70% betrug.
Eine Dämonisierung eines Haider durch die SPÖ ist zu billig; seine Blüten wuchsen und wachsen in dem Biotop der Zweiten Republik. Mit den Folgen einer von der SPÖ zwar gedämpfter als anderswo betriebenen neoliberalen Wirtschaftspolitik, deren Opfer allmählich immer zahlreicher wurden, wurde den Rechtspopulisten und Neonazis dann auch noch die Wähler zugetrieben. Pseudoklassenkampf, unten gegen oben, Mißbrauchte gegen Bonzen, war schon immer ein klassisches Propagandamuster der Nazis mit dem günstigen Nebeneffekt, daß es auch noch die Auflagenzahlen des neuen völkischen Beobachters erhöht.
Auch wenn man wählen geht, mit dem Wählen schaut es schlecht aus. Rechenkunststücke lenken ab. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß man sich kaum auf diejenigen, die die Macht in Staat und Politik haben, gegen das blaubraune Treiben was zu unternehmen, nicht verlassen kann. Die Geschichte der Zweiten Republik zeigt, daß die rechtsextremen und faschistischen Kreise je nach politischer Konjuktur als Kalkül benutzt wurden, ihnen Einfluß- und Gestaltungsraum gelassen wurde, bis daß sie und die Umstände reif waren, zuzuschlagen. Es gibt keine Gespenster. Die Nazis waren immer Bestandteil der Zweiten Republik, sie sind nicht von außen gekommen. Daher müssen die Fehler in der Zweiten Republik selbst liegen; sie sind kein Mysterium.
Franz Primetzhofer