Ned fia d` Wiascht ...

"Facetten 1995" spannen Bogen von literarischer Ungeheuerlichkeit bis zu Texten besonderer Güte.

Mit den "Facetten", dem literarischen Jahrbuch der Stadt Linz, ist es wie mit der alten DDR seelig. Solange es sie gibt, schimpft und hadert man, wie es zuweilen in langanhaltenden Ehen vorkommen soll, aber wie es sie nicht mehr gibt, ist man tief betroffen und gerührt, und es ist, als ob ein enger Vertrauter verschieden wäre. Aber die Facetten leben ja noch immer... Seit 1952 erscheinen sie nun in ununterbrochener Reihenfolge.

Kleine Höhepunkte sind immer wieder die Vor- und Nachwörter der jeweiligen Bürgermeister. Da schreibt der Namenspatron dieser Zeitung Franz Hillinger 1981 in seinen Postscriptum: "Überblickt man diese jährliche Bestandsaufnahme des schriftstellerischen Schaffens in Linz und Oberösterreich, dann fällt zunächst auf, daß es keine großen Aufbrüche zu neuen Ufern gibt... " Das sitzt. Da sollte dieser alte Polterer die vereinigte Dichterschaft würdigen, stapft indes tapfer ins Fettnäpfchen, unterstellt, daß sie sowieso nichts Neues zusammenbringe; was Laudatio sein soll, wird zur groben Beleidigung. Obwohl gerade zu dieser Zeit Autoren von nachhaltiger Bedeutung im literarischen Leben in den "Facetten" publizierten. Wie Heimrad Bäcker, Sprachexperimentator und Poet, Verleger und Literaturförderer, Compangnon von Friedrich Achleitner und Gerhard Rühm. Oder Anselm Glück, ein Autor, der weit über die Grenzen Oberösterreichs hinaus bekannt wurde. Franz Kain, der großartige Erzähler, der, lange Zeit in Österreich boykottiert, seine Romane in der DDR verlegen mußte. Erst im letzten Jahr wurden diesem Dichter und Romancier die längt überfälligen Würdigungen zuteil. Weiters Karl Wiesinger, der ein umfaßendes Romanwerk vorgelegt hat, vor allem aber mit seinem Bauernroman "max metz weiling land und leute" für Furore sorgte. Erich Hackl, Franz Rieger, Ilse Aichinger u.v.m. sind alleine in diesem Band vertreten.

Selbertverständlich waren auch damals literarische Eintagsfliegen vertreten. Gymnasiasten-Lyrik und Mittelschulprosa. Bedeutungsschwanger und existenzialistisch schwernotleidend, pubertäre Metaphorik dumpfschwährend liebeskrank, so kamen und kommen sie daher oft die Texte. Aber das ist keine spezielle Erscheinung unserer Zeit, diese Möchtegerns schrieben immer und werden es weiter tun, oft ist ja auch ganz lustig, wenn man psychlologisch gut disponiert ist. Ansonsten wirds halt peinlich.

Die "Facetten" haben aber auch eine andere Qualität, den Bösartigen zur Freude. Da kann man auch so manche literarische Leiche im Keller auffinden, worüber die Autoren später nicht gern reden oder drauf angesprochen werden. Da liegt so mancher böse Schatz verborgen, den zu heben noch großen Spaß bereiten wird. Gell Ernie Aschauer (Spreizer), SPÖ-Kulturkommissarin nunmehr, ohne dichterische Ambition, wie zu hoffen ist.

Die Geschichte der Facetten ist ein wildes Auf und Ab. Besonders schwer die Bürgermeisterszeit von Hugo Schanovsky, selber Dichter wie er stets behauptet.
"Wacht auf / Wacht auf /
Wacht auf aus Eurem Dornröschenschlaf /
Es wächst ein Pilz / Es wächst ein Pilz /
Es wächst ein Atompilz ...",

plärrte der Dichter von eigenen Gnaden in den achziger Jahren von der Tribüne einer Friedenkundgebung, ungeniert sich vordrängend ein eigenes "Gedicht" vorzulesen. Der Schreck sitzt heute noch in den Gliedern. Und ebenso ungeniert drängte sich der unsägliche Bürgermeisterschreiber in die "Facetten". Nicht, daß er nicht früher auch vertreten gewesen wäre. Aber als Bürgermeister und Nachwortschreiber mußte er dann doch soviel Genierer haben, zumindest in der Zeit seiner Bürgermeisterschaft literarisch eine wenig leiser zu treten. Aber nein, er hebt sich selber in der Benachwortung der Publikation hervor: "Man möge dem Bürgermeister dieser Stadt nachsehen (...) wenn er selber mit zwei kurzen Beiträgen..." Jaja, zwei klitzekleine Beiträge vom Bürgermeister, da kann die Jury wohl auch nicht nein sagen. Na hoffentlich kommt der jetztige Bürgermeister nicht auf die Idee...

Aber nun zur aktuellen Ausgabe, die wieder ein netter Streifzug durch die heimische Literaturszene geworden ist. Mit zu Teil schon altbekanntem Personal wie dem Lyriker Gregor Lepka, der sicherlich schon gut 20 Jahre mit Regelmäßigkeit vertreten ist, und das zurecht, seine Gedichte ragen weit aus dem Facetten-Durchschnitt hervor. Oder Richard Wall, der ebenso schon zum Facetten-Inventar gehört. franzobel, der Bachmannpreisträger ist momantan sowieso überall vetreten, also auch in den Facetten.
Zweifelhafte Lyrik und grauenhafte Prosa auch wieder zuhauf, auch wieder wie Erich Josef Langwiesers "16 metamorphe gedichte für linz". Uiuiui, von Gymnasiastenlyrik war schon die Rede, aber das wäre hier auch noch zu hoch gegriffen. Kein Rhytmus, verkrampfte Sprache, teils in diffusem Dialekt, teils in bemühter Hochsprache, keine Bilder, kein Sog. Da wird lesen zur Qual. Und verwandeln kann man sich da höchstens in einen Literaturfeind.

Dafür gibt es, und ich will in diesem Fall, ebenso keine Zurückhaltung üben, eine Erzählerin und einen Erzähler zu entdecken, Eugenie Kain und Andreas Weber, beide unter anderem auch Hillinger Autoren. Andreas Weber, Filmemacher, Jornalist und Schriftsteller in dieser Nummer (Seite 14/15) mit einer kurzen Erzählung vertreten, hat sich in seinem Facetten-Text "Rudolf Atzbacher" auf das gefährliche Terrain gewagt über das Schreiben zu schreiben. Und mit Bravour gemeistert! Eine Erzählung die mitreißt, weil es eben nicht nur Reflexion über das Dichten ist, sondern eine persönliche Annäherung oder Abrechnung mit Thomas Bernhard. Ironisch, nie pathetisch und mit sprachlicher Leichtigkeit hinterfragt Weber das vorherrschende Dichterbild im Allgemeinen und anhand des Rudolf Atzbacher alias T.B.

Eugenie Kain, dem "Hillinger"-Klientell durch das EU-Tagebuch und der Reihe "Linz Rand" schon längst ein Begriff hat für die "Facetten" ein Kapitel aus ihrem im Entstehen begriffenen Kriminalroman beigesteuert. Man bekommt sofort große Lust auf den gesamten Roman. "In der Einkaufstadt" begleitet die Protagonistin der Geschichte, Juli, zurück in das heimatliche Provinznest, das nun eben eine Einkaufsstadt geworden ist. Ein spitzer, ja sarkastischer Blick auf die "heimatlichen" Zusammenhänge, auf die Mutter den alten "Putzteufel", eine Annäherung an Vergangenes in der Stadtrandsiedlung ohne Verklärung, aber nicht ohne die schönen Seiten der eigenen Geschichte zu vergessen.

Also doch wieder nicht umsonst dieser Band zeitgenössischer Dichtkunst, beiden letztgenannten ist zu wünschen, daß Verlage zuhauf sich ihrer Texte annähmen, denn 1000 Stück "Facetten" ist dann doch ein wenig mager...
-ff-