Aus dem April-Programm des Moviemento drei Empfehlungen, diesmal von Standard-Kritiker Claus Philipp


DER EISKALTE ENGEL

Bei den diesjährigen Filmfestspielen in Berlin wurde Alain Delon mit einer großen Hommage bedacht - ein Schritt, der angesichts des vehementen Engagements des Stars für Le Pen und die ultrarechte Front auf heftige Kritik stieß. Jenseits aller politischen Anschauungen mußte man jedoch wieder einmal würdigen, was Delon 1967 in der Rolle seines Lebens als "Le Samourai" mit regungsloser Miene darstellt: Einen Berufskiller, der die Doppelmoral seiner Auftraggeber durchschaut, daraufhin sein Handeln ritualisiert und folgerichtig den eigenen Tod inszeniert. Jean-Pierre Melvilles Film ist ein Kunststück höchster Reinheit, Abstraktion, Kompromißlosigkeit: ein Gangsterfilm, der sich zu existenzialistischer Größe aufschwingt, gleichzeitig eine radikale Studie über entfremdete Arbeit. Bei einer Umfrage unter deutschen Filmkritikern im Jahre 1986 wurde Jean-Pierre Melvilles Meisterwerk zum "besten Film aller Zeiten" gewählt.


MARTHA

Ja, und auch dieser Film ist schon "alt". Aber keine Reprise wird hier geboten, sondern eine erste Chance, dieses Glanzstück des neuen deutschen Kinos zu entdecken. Jahrelang war Rainer Werner Fassbinders "Martha" aufgrund ausstrahlungsrechtlicher Differenzen in den TV-Tresoren verschollen.

Karlheinz Böhm, der später auch in "Faustrecht der Freiheit" sich denkbar weit von den "Sissi"-Rollenklischees entfernen sollte, liebt hier eine Frau beinahe zu Tode. "Martha": eine Phantasie über erstickende Einbaumöbel-Innenarchitektur über Leben nach dem Valium, über die bedächtige Erbarmungslosigkeit deutscher Sprache. Es gilt auch für "Martha", was Fassbinder über die ein Jahr später herausgekommene "Effi Briest" sagte: "Ein Film ganz klar für den Kopf..., in dem man nicht aufhört zu denken und wie man beim Lesen Buchstaben und Sätze eigentlich erst durch die Phantasie zu einer Handlung macht, so sollte es auch in diesem Film passieren."


WILDE HERZEN

Der französische Regisseur André Téchiné zählt in seiner Heimat zu den besten seines Faches. Hierzulande ist er nahezu unbekannt. Zuletzt konnte immerhin sein vorletzter Film "Meine liebste Jahreszeit" (mit Catherine Deneuve und Daniel Auteuil) ein kleines Publikum finden. "Wilde Herzen", produziert für eine Reihe von Jugendlichen-Porträts des TV-Senders "Arte" und heuer mit vier Cesars bedacht, sollte den Geheimtip endgültig bekannt machen. Junge Menschen in Südwestfrankreich, kurz vor dem Mittelschulabschluß; ihre ersten Erfahrungen mit Liebe, Tod und Politik; aus den Transistorradios plärren Del Shannons "Runaway" und hektische algerische Kriegsberichterstatter. Téchiné erzählt seine Geschichte aus dem Sommer des Jahres 1962 mehr in malerischen Andeutungen als mit linearen Szeneabläufen: "Wilde Herzen" ertrinkt förmlich in wärmendem Sommerlicht. Zu empfehlen selbst für Menschen, die vor frankophilem Kino meist davonlaufen.


UNHEIMLICHE DINGE?

"Unheimliche Dinge", eine von Prof. Janusz Kondratiuk initiierte Projektreihe der MK Visuelle Mediengestaltung (siehe Kunsthochschule) hat laut Pressesprecherin Patricia Mayer die Zielsetzung, unerklärlichen Ereignissen und Geschehnissen mittels filmischer Dokumentation (Video) nachzuspüren.

Acht Dokumentarfilme sind geplant, die erste Folge wurde im lieblichen Mühlviertler Ort Waxenberg abgedreht. Im Mittelpunkt der Handlung die jenseits-stimmliche Heimsuchung der ortsansässigen Familie M.

"Stimme der toten Oma gehört" betitelte Kollege Ehrgang seinen "Mühlviertler Rundschau"-Artikel über das filmauslösende Ereignis, möglicherweise bin ich nicht der einzige, der gelegentlich die Flöhe husten hört (von den Quecksilbergeiern ganz zu schweigen).

Schnitt. Edith Stauber, filmisch Federführende und Erich Klinger, Produktionsleiter, erklären mir unisono, daß ihnen bei der Aufbereitung des vorgefundenen Themas wichtig war, keine trendgerechte Geisterbahngeschichte zu produzieren, vielmehr hätten sie versucht, sich behutsam zumindest vordergründig nicht erklärbaren Vorgängen anzunähern.

Soweit das seltsame Gespann Stauber/Klinger.

"Von lauter Blindheit umgeben, tappen sie in einem undurchdringlich anmutenden Nebel an Geschehnissen, ohne sich ihrer Orientierungslosigkeit bewußt zu sein", schrieb Kurt Tucholsky im Jahre 1932 über esoterische Blindgänger. Täglich alles und nichts davon ist wahr.

Der Rest: die gesammelten "Unheimlichen Dinge" sollen im Herbst mittels Wanderkino in etwa 25 Orten Oberösterreichs gezeigt werden, die Einstiegsepisode "Großmutters Stimme" wird bereits Anfang Juni im Moviemento zu sehen sein. Klappe fällt.

Karola Lavnicek