Linz braucht Raum. Linz frißt sein Umland. Wo junge Stadt auf altes Land vorstößt, muß nicht unbedingt Neues entstehen. Bleibt alles beim Alten, kommen nicht nur Grasbüschel unter die Räder. Eugenie Kain hat die Ränder der Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erkundet. Hillinger bringt ihre Berichte von der Peripherie in gekürzter Fassung.

(Teil 1: Ebelsberg)

Linz-Rand, Teil II , von Eugénie Kain . Fotos: Udo Danielczyk , März 95


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Doppl Hart

Genaugenommen hat das Harter Plateau mit Linz nichts mehr zu tun. Es ist Linz - Land und gehört zu Leonding, das die Alten in den Vierkantern noch immer als "Lauding" aussprechen. Aber dieses alte Leonding wiederum hat mit den Wohntürmen in der Harterfeldstraße ebensowenig zu tun wie mit den Einkaufszentren an der Welserstraße. Hier ist Linz Rand wie er ausdruckstärker und scheußlicher nicht sein kann.

Die Fahrt mit dem Bus der Linie 15 hinaus Richtung Wagram ist eine Besichtigungsfahrt zu jenen Sehenswürdigkeiten der Stadt, für die Linz nicht wirbt. Man kann sie nicht verstecken, die tristen Hochhäuser an der Unionstraße, die alten Häuser, denen die Straße bis zur Haustür hin asphaltiert wurde, die zwei Wohnungetüme am Harter Plateau und die kilometerlange Zeile der Bau-Elektro-Hofer- Autozubehör- Textil- Fliesenmärkte und Shoppingcities. Deshalb stellt man sie als das Alltägliche, Normale hin und das Designcenter als das Besondere. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt. " Linz baut Beton", "Linz lebt ab", "Linz atmet Abgas" müßte es heißen, damit das Außergewöhnliche, das Unzumutbare an dieser Gegend deutlich wird. Normal ist hier schon lange nichts mehr.

Auf dieser Fahrt, hinaus in die Ebene werden auch die Jahresringe der Stadt sichtbar. Bei der Haltestelle Haag bemerkt man Vertrautes. "In der Flacksiedlung" bezogen die Angehörigen der Fliegerabwehr während der NS- Zeit ihre Neubauwohnungen.Der Name ist geblieben. Die "Hitlerbauten" tun dem Linzer Auge nicht mehr weh, sie gehören zu Linz, wie die Gründerzeithäuser zu Wien. Die Flacksiedlung grenzt zum Teil heute noch an Felder, aber ringsum wird gebaut. Der Gemeinderat von Leonding beschäftigte sich in seiner Jännersitzung mit einer Ausnahme - einer Subventionsvergabe an das Jugendzentrum Harterfeldstraße - ausschließlich mit Flächenumwidmungen. Flächenwidmungen für Lagerhallen, Schauräume, Wohnbauten und Gewerbebetriebe. Leonding hat flaches Land zum Saufüttern und das wird zu Gewerbegebiet gemacht, damit auch was herausspringt.

In merkwürdigem Gegensatz zu dieser Fülle an Boden stehen dann einen halben Kilometer weiter die zwei Hochhäuser am Harter Plateau. 60 Meter und 20 Stockwerke übereinander wohnen da auf nur zwei Parzellen soviele Menschen, wie sie anderswo in einem mittelgroßen Ort Platz haben. Als "neuer Blickfang" für Linz waren sie geplant, die "VÖEST- Hochhäuser", als Symbol einer prosperierenden Verstaatlichten Industrie, die den Menschen nicht nur Arbeit sondern auch neue Wohnungen im Grünen bot. Acht Wohntürme hätten es insgesamt werden sollen. Als 1975 die ersten VOESTLer in der Harterfeldstraße 7 einzogen, war man von diesem Vorhaben wieder abgekomen. Die Stahlkrise und ein verfehltes Managment gaben Vorwand zum beständigen Zertrümmern der Verstaatlichten, die VÖEST hieß bald nicht mehr VOEST , hatte kein Geld mehr für Imponierbauten, das restliche Areal wurde Gewerbegebiet und die Menschen in den Hochhäusern überließ man ihrem Schicksal.

Die Frage, willst du hier leben ,ist müßig, es kann sich nicht jeder seinen Wohnort aussuchen - auch das ist freie Marktwirtschaft.Weil hier so viele Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht wohnen, kommt das Harter Plateau regelmäßig in die Schlagzeilen. Zuletzt vor zwei Jahren, als zuerst ein nie gefaßter Brandstifter monatelang die BewohnerInnen der Hochhäuser terrorisierte und dann im 14. Stock ein Steinmetz seine Freundin und deren 13 jährige Tochter , die er zuvor ein Jahr lang sexuell mißbraucht hatte, erschoß. Da wird dann sensationslüstern vom Ghetto vor den Toren von Linz berichtet, es wird ungehemmt stigmatisiert, nur an der Situation der Betroffenen ändert sich nichts. Die nächsten Schlagzeilen kommen bestimmt.Hier wohnen die Opfer des Sparpaketes. Wer gegen mittag im Trainingsanzug zum Spar um drei Paar Würstel und eine Flasche Fanta geht, der hat keine besonderen Wege,der ist entweder arbeitlos oder in Karenz. Und für ganz Leonding gibt es eine Sozialarbeiterin.

Nein, Ghetto ist die Harterfeldstraße keines, ihren BewohnerInnen wird es hier nur um einiges schwerer gemacht, sich ihr Umfeld lebenswürdig zu gestalten als anderswo. Was mag in einer Frau vorgehen, die im 11. Stock eine gute halbe Stunde ihr Fensterbrett poliert? Dabei können manche der MieterInnen sogar von Idyllen und Annehmlichkeiten erzählen. Zuweilen sieht man Rehe, am Balkon im zwanzigsten Stock haben sich einmal Schwalben angesiedelt, was die Wohnungskatze schier um den Verstand brachte und Freitag und Samstag kommen die Bäurinnen aus der Umgebung, stellen sich mit Wohnwagen oder Zelt auf den Parkplatz und bieten frische Eier, Gemüse, Milch, Most und Obst an, im Frühjahr auch Spargel. Die Kinder haben einen sicheren Schulweg, weil die Schule gleich hinter den Wohnblöcken liegt. Daß diese Schule nur in einem langestreckten, ebenerdigen Zweckbau untergebracht ist, in dem die Eingänge zum Kindergarten, zur Sonderschule, zum Polytechnischen Lehrgang, zur Volks- und Hauptschule nebeneinander aufgefädelt sind und auch rundherum alles konsequent in Beton gehalten ist, gehört zum anderen Teil der Geschichte, zum häßlichen Teil. Bei starkem Wind schwanken die oberen Stockwerke der Häuser, die Wände sind hellhörig, die Gänge finster, die Stiegenhäuser und Aufzüge beschmiert und desolat,die Kinderspielplätze bei den Wohnblöcken wirken aufgegeben, so als zahle es sich nicht aus, die Wippschaukel zu reparieren und ein Sitzbrett auf die Sandkiste neben der Durchzugsstraße zu montieren, an der an Freitagen und langen Einkaufssamstagen die Autos nur im Schrittempo weiterkommen, in Richtung UNO und Plus City , in die Shoppingwelt.

Das ist die schönere, bessere Welt und doch nur ein anderer Ausdruck von ein - und derselben Scheußlichkeit. Nichts ist echt. Auch das gehört zur freien Marktwirtschaft: Wer daheim in finsteren,anonymen Betonwaben hockt, darf zumindest beim Geldausgeben im UNO in lichtdurchfluteten Gängen lustwandeln. Wem sie dörfliche Strukturen zerstört, landschaftliche Orientierungspunkte eingeebnet und eine Schallschutzwand vor die Nase gesetzt haben, der kriegt seinen "Marktplatz" und seinen "Brunnenplatz" beim Einkaufen in der Plus City. Der französische Anthropologe und Ethnologe Marc Augé bezeichnet diese Welt der Shoppingcenter und "Erlebniswelten" als "Nicht - Orte" im Gegensatz zu den "Orten", wo die Menschen noch sozial, kulturell und emotional zu Hause sein konnten. Im "planetarischen Einerlei" der Nicht - Orte sind sie Unbehauste in einem riesigen gesellschaftlichen und technischen Universum, das nur noch "Passagen", aber keine Heimat mehr kennt. ( Marc Augé : Orte und Nicht - Orte. Vorüberlegungenzu einer Ethnologie der Einsamkeit. S. Fischer)

Für noch mehr Nicht - Orte in Linz Land am Linz Rand ist gesorgt. Ein weiteres Einkaufszentrum samt Mc Donald ist bewilligt, beim UNO und bei der Plus City will man einen CINEPLEXX - Kinopalast und ein "Mega - Kino" auf die Wiese stellen für jeweils 2500 Menschen und 1800 Autos. Und weil die "Mausefalle" an der Salzburger Straße so klass zuschnappt und die SCS in Wien auch so was hat , sollen die Kinomonster auch noch mit 3000 Quadratmeter Disko, Spielhallen und gastronomischen Betrieben ausgestattet werden. Zyniker werden behaupten, an der Infrastruktur kanns nicht liegen, daß die Lebensverhältnisse am Harter Plateau so desolat sind.

Die Linie 15 ist die hard- core- Variante auf der Fahrt am Linz -Rand entlang. Zur Rückreise ins Zentrum empfiehlt es sich, bei der Meixner Kreuzung unmittelbar bei den VÖEST - Hochhäusern in die Linie 19/22 umzusteigen. Die Strecke führt durch das Leonding, zu dem man noch "Lauding" sagen kann, vorbei an Vierkantern und Kleingärten, ein Stück entlang der "Turmlinie" - die alten Pulvrtürme markieren einen anderen, alten Linz Rand - und spätestens am Froschberg ist sie abgeschüttelt,die eingefangene Endzeitstimmung. Der Wahnsinn tobt am Harter Plateau, aber jetzt ist man wieder daheim,in der biederen Design City.