DER AUFTRAG DES ABDOMENCONAISSEURS


von Tex Rubinowitz , März 95
Foto: Karl-Ernst

Ich saß nackt im Bett und rauchte eine. Es war heiß. So heiß, daß man keinem klaren Gedanken nachgehen konnte. Die Tränenflüssigkeit, die der Körper produziert, um ein Austrocknen der Augen zu verhindern, war, kaum daß sie mit der trockenen Luft in Berührung kam, verdampft, was zur Folge hatte, daß, sobald ich irgendwohin schaute, meine Augen in ihren Höhlen zu quietschen begannen.

Es kam noch dazu, daß im Hotel irgendwelche Säue den ganzen Tag drillbohrten und hämmerten, akustische Säcke schleppen sozusagen, es war nicht zu ertragen. Aber ich saß nur da und konnte mich nicht rühren, brütete vor mich hin, der Krach gepaart mit der Hitze lähmte, bannte mich, ich fühlte mich wie ein ausgeblasenes Ei. Die Gedanken wüteten in meinem Gehirn wie Bulldozer, die Bäume roden. Alles in mir war von oben nach unten und von unten nach oben gekehrt. Alles war grell. Vervielfacht. Geschwollen. Entzündet.

Die einzige Gegenwehr meinerseits war, mir eine anzustecken, den Widrigkeiten, so paradox das klingen mag, mit Rauch beizukommen. Wärme ist ja in der kalten Jahreszeit ein sehr gefragter Artikel. Jetzt wünschte ich ihn zum Teufel. Unter dem Bett, das mit einem pistaziengrünen Überwurf bedeckt war, stand ein Messingspucknapf, auf Hochglanz poliert, ich dachte, ich könnte ihm ein wenig Kühle entzaubern, ihn auf mein erhitztes Gesicht pressen, aber die Hitze hatte sich auch auf ihn übertragen, warum hätte sie eine Ausnahme machen sollen? Als ich das glühende Gefäß hervorzog, wurde ich Zeuge eines makabren Spiels. Eine Tarantel, offenbar durch die Temperatur übermütig geworden, war gerade im Begriff den fragilen Körper eines Schmetterlings zu zermalmen und auszusaugen. Ich verlor fast die Nerven - der Lärm, 45 Grad im Schatten und jetzt dieses Drama. Ich mußte raus! Ich brauchte Luft! Nach Ostis ans Meer. Egal wohin, nur weg! Aber ich kam nicht hoch, ich war unbeweglich, ich war Blei geworden. Es war nicht so, daß ich etwas anschaute, meinen Blick auf etwas heftete, das mir Ablenkung verschaffen könnte. Sicher, ich schaute etwas an, nahm es aber erst viel später wahr, dann wenn der Blick schon wieder (quietschend) ganz woanders war. Und so kam es, daß ich, eben noch voller Entzücken die Ming-Vase in der Ecke betrachtend, mein Augenmerk kurz darauf auf die Sung-Vase, die die andere Ecke verzierte, richtete, vor mich hinmurmelte: "Was für eine hübsche Ming-Vase."

Mit einemmal sprang die Tür auf. Der Bann der Hitze und des Radaus war gebrochen, ich war hellwach. Trotzdem nahm ich den Mann, der sich vor mir aufgebaut hatte wahr wie eine Silhouette in einer Bar in Mexico. Auf seinem linken Unterarm prangte unabwischbar die stümperhafte Tätowierung eines Spinnennetzes, auf dem rechten der Satz Per scientiam iustitiam - durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit.

Seine Stimme klapperte wie eine Kastagnette in einem Film mit klaus Wildbolz: "Bedecke dich, ich muß mit dir reden!"

"Ich kann mich nicht erinnern, dir...Ihnen gestattet zu haben mich zu duzen, du Schwanzlutscher", schnappte ich und war erstaunt über meinen Schneid. "Ziehen Sie sich etwas über, ich muß mit Ihnen reden, es geht doch einfach nicht, ich meine, man kann doch kein vernünftiges Gespräch führen, wenn einer nackt ist".

Wohl um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen, wägte er die kleine Maschine, die Löcher bohrt, eine Bleispritze vor meiner polierten Glatze hin und her.

Ich warf mir rasch das Nötige über. Während ich mir das Hemd in den Hosenbund stopfte, besah ich mir meinen Peiniger. Sein Gesicht spielte ins grünliche, das bleifarbene Augenpaar starrte zwingend auf mich hinunter, sein ganzer Kopf hatte Änlichkeit mit einer großen Tulpenzwiebel, die Falten auf seiner Stirn erinnerten an die rauchfressenden Lamellen eines Wirtshausventilators - trotzdem hatten all seine gesten, die man als nicht ungeschmeidig charakterisieren könnte, die eines Dressman, eines Sascha-Distel-Typs.

"Menschen sind manchmal wie Schildkröten," dachte ich,"versuche niemals jemanden zu zwingen" und so zwang ich ihn gewissermaßen nicht, mich zu erschießen, indem ich mir etwas anzog. Ich mußte schmunzeln und gratulierte mir so still und heimlich, so billig dem Tod davongekommen zu sein.

"Pistaziengrün, eh?" sagte er und sein Blick hing wie verschleiert auf dem Überwurf. "Kleinen Spaziergang machen?" Sein Kopf schnellte herum wie der eines Stelzvogels. Als wir den Boulevard betraten, hatte sich die Dämmerung bereits niedergesenkt. Trotzdem war es noch so heiß, daß ich mir die Faust in den Mund stopfte, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.

Wir gingen ein Stück schweigend nebeneinander, bis wir im Esperantoviertel der Stadt zu einem Viermannzelt kamen, das die ungefähren Ausmaße der Knesset hatte. "Eimer" stand auf einem Holzschild über dem Eingang. Der Lärm, der herausdrang, war unbeschreiblich. Die Kneipe schien bis zum Bersten voll zu sein, denn an der Tür drängten sich die Leute, und einige, die unbedingt hinein wollten, kletterten kurzerhand durch das Fenster. Drinnen wimmerten zwei Geigen, ein Klavier hämmerte und eine Ziehharmonika winselte und quakte dazu die Tyrolienne "Souvenir d'Ischl".

Wir betraten den Saal, indem der Fremde, in dessen Begleitung ich mich befand, mit einem Messer ein Loch in die Zeltwand schnitt. Wir setzten uns an einen Tisch, an dem nur eine einzige Person saß, ein hagerer, stark gebräunter Mann mit einem Schnauz, dessen zwei Enden nach oben gezwirbelt waren und dessen energischen Kinn ein Blutgerinnsel verzierte. Er war über eine Spinnenabdomenratatouille* gebeugt, und es schien als vertilge er sie mit großem Appetit. "Das ist der Schriftsteller Max Goldt, von ihm stammt das Kochbuch, das mittlerweile zum Kult geworden ist, das Kultkochbuch "Lesbische Küche nach 45", er möchte sich ein wenig mit Ihnen unterhalten". Mit diesen Worten verabschiedete sich der Mann, der elegant war.

"Ich habe Sie zu mir zitiert", hub der Dichter an, "weil man sagt, daß sie den Zeichenstift beherrschen können." Das stimmte wohl, nur beschränkten sich meine Fähigkeiten auf einige wenige Grundkenntnisse, Linien, Kreise, Spiralen, Haare, Erde u.s.w., die zusammengesetzt ab und zu eine Figur ergeben mögen. "Ich möchte Sie um eine Grafik bitten, ich zahle Ihnen 1000 Dollar und ein Küßchen".

Das Angebot klang verlockend. "Ich möchte, daß Sie mir eine Spinne zeichnen, in Netzstrümpfen und hochhackigen Schuhen, sie soll eine Krinoline um die Taille haben, ohne Rock, nur die blanke Krinoline, die Spinne sitzt auf einem Hochrad, vor den Augen ein Lorgnon haltend, mit einem ihrer acht Beinchen, die so dünn und so gekrümmt, so gekräuselt wie Schamhaare sein müssen. Das haltende Bein sollte eine Tätowierung schmücken, mit einer Aufschrift, ich stelle mir da "Hallo, blödes Gesicht" vor. Über die Ohren gestülpt hat die Spinne einen antiken Discman, z.B. aus der Zeit Johann Gottlieb Fichtes, aus dem überlaut das Spiel von Marek & Vacek dröhnt. Die Spinne auf dem Hochrad soll auf dem Weg zu einer Fruchtsulzenquete nach Mochovce sein, das können sie ja durch einen Wegweiser darstellen, auf den Sie z.B. schreiben "Nach Mochovce - 30 km" oder so, oder nein, ersetzen Sie Mochovce durch Rom, Rom, 30 km, das ist einfacher", seine linke Hand, die fleischige von beiden, die die aussah wie ein riesiges Ohrläppchen, fuhr in seine Jackettinnentasche und zog ein dickes Bündel Dollarnoten hervor, gleichzeitig schürzt er seine Wulstlippen zum Kusse. "Sie haben sich entschieden? Sie zeichnen?" "Nein", sagte ich.