DIE GOLDENEN
ZITRONEN
Musik ist kein
Südfrucht-Lecken
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Die ZITRONEN waren in der Stadt. Die Kapu quoll über.
Viel junges Volk,
Menschen im ungebrochenem Punkrocker-Outfit und viele
mit gutem Geschmack.
Hier versammelt von einer Band, von denen sich die einen
die Forsetzung ihrer
Fun-Punk-Seite erwarteten, während andere der Begegnung mit "BLUMFELD mit
menschlichem Antlitz"
entgegensahen.
Von Rainer Krispel , April 95. Fotos: Udo Danielczyk
DEN DISKURS GELB ROCKEN ...
... schrieb mir Didi Neidhart ein paar Tage vor dem Konzert auf ein Fax.
Wie ist das jetzt also mit Hamburg, Jochen Distelmeyer und diesem sagenhaften Diskurs-Rock? Gitarrist Ted Gaier, mit Sänger Schorsch Kamerun verbliebenes Gründungsmitglied und daher - auch als Textlieferant für Propagandafragen zuständig:
"Ich weiß eigentlich nicht was das bedeutet, Diskurs-Rock, aber es stimmt schon, daß seit BLUMFELD viel über Musik diskutiert wird, ich war da anfangs auch skeptisch, aber es ist ja so, daß Freundschaft korrumpiert. Ich finde auch, daß unsere Platte gut mit der von BLUMFELD korrespondiert."
Wobei ich persönlich mit den ZITRONEN einfach mehr anfangen kann. Was ich als ihre unmittelbarere Wirkungsweise - Punk!? - verstehe, erfahre ich schneller und direkter, kann ich schneller in mein System einbauen, als die in einzelnen Formulierungen verblüffend präzise und treffende Sprache von Jochen Distelmeyer, die mir aber immer wieder durch seine seltsam geschwätzige Selbstinszenierung verloren geht. Wobei das aber keine wirkliche "entweder oder" Frage ist. Lieber "Laß uns nicht über Sex reden" UND "Sie kanns ihm beibringen", lieber "L'etat et Moi" UND "Das bißchen Totschlag", als gemeinsam ein größeres Spektrum persönlicher und politischer Realitäten im deutschen Alltag abdeckende Musiken. Die Menschen in Hamburg nehmen ihre Musik ernst und reden auch (gerne) darüber. "Wir haben schon so eine Arbeitsteilung, Schorsch und ich machen die Interviews, wir geben auch viele, weil es ist uns sehr wichtig ist, nicht mißverstanden zu werden." So etwas bedingt Austausch in einer Szene und eine solche hat natürlich auch ihre Problem"kinder". Bernd Begemann schlägt zusehends zu sehr über die bürgerliche Idyllen-Stränge.
"Also die letzte Platte ... der verzapft schon manchmal so viel Scheiß. Das kann schon so weit gehen, daß du Freundschaften beendest."
Wer will schon wirklich Deutschland verstehen? Leider vergesse ich nach dem Sozial-Demokraten-Core von BUT ALIVE zu fragen, die nicht umsonst Begemann covern.
"Die Wohlfahrtsauschüsse waren auch wichtig, mir war da schon klar, daß das nicht so viel bewegen wird, aber bei den Vorbereitungsgesprächen ... es war wichtig ein Statement zu machen, Position zu beziehen."
Das abseits von Zeigefinger, gegenseitiger Betroffenheits-Versicherungen und leeren Parolen. Wer will schon vereinnahmt werden? "Darüber streite ich immer mit den HOSEN, dieses Lied ... es gibt tausend gute Gründe auf dieses Land stolz zu sein, das funktioniert auf so einem emotionalen Level, der zweite Satz (aber mir fällt gerade kein einziger davon ein) ist leicht zu überhören. Oder SLIME, mit dem neuen Album, "Schweineherbst" - Deutschland, ein Land kotzt sich aus - das bringt nichts."
"Das bißchen Totschlag" (hör dir mal den Refrain an! 138k ) funktioniert blendend als sehr klares und auch umfassendes (beiliegende Zeitung) Statement in einem gesellschaftlichen Kontext, in Bezug zu den realpolitischen Verhältnissen, die herrschten als die Lieder geschrieben und gemacht wurden. Ein Statement, daß vor und in ein paar Jahren anders geklungen hätte und klingen wird.
"Sexy" auf jeden Fall, wie es Thomas Meinecke formulierte, denn die ZITRONEN sind bei aller inhaltlicher Vehemenz und Reflektiertheit auch Pop, also Spaß und Glamour. Dabei wurden sie als Verfechter des analogen Sounds auch fast "gezwungenermaßen zu Sound-Experten" im alles nivellierenden Digital-Zeitalter
KONTEXT
"Als wir angefangen haben, waren unsere Pyjamas, unser Fun im Bezug auf die wirklich harte Hardcore-Szene in Hamburg zu verstehen, wir hingen da immer rum und spielten mit denen in der Hafenstraße, wir wollten uncool sein, anders sein."
Prompt geriet zitrone beinahe in die Fun-Punk-Falle. Als sich die ÄRZTE auflösten, glaubte BRAVO in ihnen den Nachfolger gefunden zu haben. "Es ist ja nicht nur so, daß die Bands solche Zeitschriften brauchen, sondern auch umgekehrt sind die auch auf dich angewiesen." Bei allem Faible für Glam a la SWEET und GLITTER, funktionierte das sich abzeichnende Teenie-Idol-Dasein nicht wirklich so wie sich die ZITRONEN das vorstellten. Spätestens auf Tour mit den TOTEN HOSEN war Umdenken angesagt. "Das war so mit Backstage-Pässen, Security-Leuten und so." So nicht.
Mit "Punkrock" war Gegensteuern angesagt. Es geht den ZITRONEN darum zu sehen, was um sie herum abgeht und darauf zu reagieren, auch musikalisch.
"Auf das logische Riff habe ich echt keine Lust mehr" meint Ted. "Wir arbeiten mehr so wie die ROLLING STONES, wir treffen uns nach einer Weile und sehen, was an Material da ist." setzt Schorsch nach.
Aber nix da von wegen Rock'n'Roll in den Grenzen der verschissenen 70er. "Für uns war auch immer klar, daß da Frauen mitmachen, aber eben nicht als Groupies." Jüngste Durchführung - "Sie kanns ihm beibringen": "Das sind doch deine Worte, geile Alte, geiles Fahrgestell und Kurven an der falschen Stelle. Also passe deine eigenen Kurven dem Körper wieder an und sieh zu, daß dein Getränkebuch schnell Geschichte wird."
Operiert eine Band so sorgfältig in Wahrnehmung der Erwartungen an die eigene Position und der Implikationen des eigenen Band-Seins, dann sind dreieinhalb Jahre zwischen den Alben - wobei die mit einer befreundeten Hip-Hop-Conncetion eingespielte Maxi "80.000.000 Millionen Hooligans", in gewißer Weise Nachbereitung von "Punkrock" und Vorbote von "Das bißchen Totschlag" war, nicht zu übersehen und überhören ist - nicht wirklich lang. Außerdem gibt es diverse Side-Steps wie MOTION, DIE STARS oder eine "Beat-Band mit portugiesischen Texten, weil der Sänger Brasilianer ist", in die die ZITRONEN-Posse verwickelt ist.
FRICKELN IM PUDEL-CLUB
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Wo kriegen die ZITRONEN die Moneten her? Macht die Musik den schlanken oder fetten Arsch?
Ted: "Das war mal so" Schorsch: "Wir leben von und in einer Szene. Wir machen alle möglichen Jobs. Wir nennen das Durchfrickeln. Das geht schon. (...) Ich bin Wirt, im Pudel-Club, da veranstalten wir, auch so Dinger wie Halbprominente, die da mal andere Sachen machen. Alfred Hilsberg (Deutscher Indie-"Papst", jetzt BLUMFELD-Manager, Anm.) stellte da Bilder aus, nur leider ist das jetzt so in, wir müßen da wohl irgendwie gegensteuern."
Was sie - was die Popularität auch in Österreich anbelangt - (noch) nicht müßen. (Sehr) gut besuchte Konzerte und auch der Clash der Fun-Punk-Erwartungen mit der ZITRONEN-Realität 95 funktionierte - nicht reibungsfrei, aber umso spannender.
Aktuelles Album: "Das bißchen Totschlag"
LP/CD, Sub Up/Vertrieb: Ixthuluh, 1994
Kontakt: GOLDENE ZITRONEN,
Buttstraße 50, 22767 Hamburg, Deutschland
WAS KOMMT
Zitronen-Cocktail Am Aschermittwoch wurde Sozialminister Hesoun vom "Österreichischen Lesben- und Schwulenforum" für die "Goldene Zitrone" nominiert. Grund: schwarze Listen gegen Lesben. Das Cafe Berg bat zu Zitronentorte und -saft; der Minister selbst blieb dem Empfang fern. Ob er sich bei der Endausscheidung im Oktober schließlich über die "Goldene Zitrone" freuen darf, wird sich zeigen.
Quelle: Falter
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