Die post-anthropologische Kondition? (Ankündigung)

Immer mehr Bereiche der menschlichen Kultur werden von technologischen Entwicklungen erfasst, die man der Automatisierung zurechnen kann. Die Technowissenschaften haben ein Niveau erreicht, das es ihnen ermöglicht, Natur nicht nur zu erforschen oder zu verstehen, sondern aktiv zu gestalten. Der Salon Technopolitics macht die post-anthropologische Kondition zum Thema, im Rahmen von Vienna Open.

Technopolitics Salon @ Vienna Open
Samstag 18.10. 19:00 – 23:00 Uhr
Mobiles Stadtlabor am Karlsplatz

„Die post-anthropologische Kondition?“

Immer mehr Bereiche der menschlichen Kultur werden von technologischen Entwicklungen erfasst, die man der Automatisierung zurechnen kann. Die Technowissenschaften haben ein Niveau erreicht, das es ihnen ermöglicht, Natur nicht nur zu erforschen oder zu verstehen, sondern aktiv zu gestalten. Der Salon Technopolitics macht die post-anthropologische Kondition zum Thema (siehe theoretischer Hintergrundttext).

Den Herausforderungen der neuen Entwicklungen stellen sich die feministische Science-Studies-Autorin Jutta Weber (Paderborn), der Künstler und Forscher Gerald Nestler (Wien/London) und Netzkultur-Theoretiker Felix Stalder (Zürich/Wien) durch Keynote-Vorträge. In der zweiten Hälfte des Abends werden die Themen diskutiert, unter Beteiligung des Technopolitics-Arbeitskreises, von Freunden, Bekannten und Publikum. Eingeführt und moderiert wird der Abend von Technopolitics-Gründer Armin Medosch.

Technopolitics ist eine transdisziplinäre Forschungsplattform, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, die in kritischen Diskursen zu sozio-ökonomischen und politischen Themenfeldern gemeinhin zu wenig beachtete Bedeutung technologischer Entwicklungen, Perspektiven und Paradigmenwechsel genauer zu untersuchen, ohne dabei einem kurzsichtigen technologischen Determinismus zu erliegen. Mit dem Technopolitics Salon im Rahmen von Vienna Open wenden wir uns an eine größere Öffentlichkeit.

Abstracts und theoretischer Hintergrund

Felix Stalder, University of the Arts, Zurich

Politik der Algorithmen

Vor dem Hintergrund einer umfassenden sozialen Mobilisierung haben sich neue Muster der Kultur herausgebildet. Selbst-organisierenden Gemeinschaften wurden zu den eigentlich Subjekten der
Bedeutungsgenerierung in einer Welt, die immer mehr von Algorithmen mit-konstruiert ist.

Die Rolle der Algorithmen lässt sich aber nicht technologisch bestimmen, sondern wird wesentlich durch das institutionelle Umfeld, in denen sie realisiert werden bestimmt. Sie können gegen diese Gemeinschaften arbeiten und Tendenzen der Postdemokratie befördern, oder auch zu einer Revitalisierung der Demokratie durch die Commons beitragen.

Zu neueren Kontrollformen der Technoscience

Jutta Weber, Univ. Paderborn

Abstract

Bis heute ist uns die Bedeutung der modernen Technowissenschaften und der ihnen zugrundeliegenden Rationalität(en) kaum gegenwärtig. Während die Rede von der Informations-, Wissens- oder Netzgesellschaft Konjunktur hat, bleibt ein Verständnis unseres technowissenschaftlichen Weltzugangs eher randständig. Über die biokybernetische Wende der Technoscience nachzudenken, heißt, prägnant die Verschiebungen unserer Wissensordnung, ihre Epistemologien und Ontologien zu verstehen. Zentrale Bausteine dieser neuen Wissensordnung sind nicht nur das wirkmächtige Blackboxing und die Analogisierung von Organismus/Mensch und Maschine, sondern auch die Fokussierung auf das beobachtbare Verhalten von Systemen sowie das Ressourcing von Unordung, Rauschen und Unvorhersehbarem.

In meinem Beitrag werde ich auf die aktuell erweiterten, flexibilisierten und prinzipiell unabschließbaren Denkformen und Kontrollmechanismen der Technoscience eingehen, denn: „Weder zur Furcht noch zur Hoffnung besteht Grund, sondern nur dazu, neue Waffen [und Wege] zu suchen“ (Deleuze), um alternative Optionen der 'post-anthropologischen' Kondition verwirklichen zu können.

Gerald Nestler, Abstract Technopolitics Salon

Die Netzwerkgesellschaft wird zunehmend durch die Generierung und das Design eines neuen Wissens geprägt, das ältere, humanistisch geprägte Definitionen des Begriffs obsolet erscheinen lässt. Dieses Wissen, das als Technowledge bezeichnet werden kann, wird nicht aus dem Verhältnis menschlicher Sinne in das Erfahrungsregister der Menschen übergeführt, es speist sich aus spekulativ angelegten Operationen automatisierter Bots. Das Sehen als privilegierter Sinn der Erkenntnis in der Moderne gerät in eine Krise, da technologisch konstruiertes Wissen dem Sehnerv keine Reize zur Verfügung stellt. Maschinenwissen und seine Auflösungsleistung entsteht jedoch nicht nur jenseits direkt sinnlicher Wahrnehmungsschwellen – und damit jenseits klassischer Formen der Repräsentation – es akkumuliert durch delegierte Handlungs- und Entscheidungskompetenz. Während einerseits neue Dimensionen von Komplexität extrudiert werden, löst sich andererseits der kohärente Zusammenhang immanenter Zeiterfahrung. Die Vergangenheit wird zu einem Reservoir von Daten, deren Analyse Zukunft nicht mehr nur antizipiert, sondern produziert, und zwar in einer Geschwindigkeit, die mit dem in den Finanzmärkten bekannten Schlagwort einer „future-at-present“ perfekt beschrieben ist. Hier ist die Zukunft weder ein auf lange bzw. kurze Sicht prognostiziertes „dann“, vielmehr kolonisiert sie mittels automatisierter, referenzialisierter Verhandlung einen Zeit-Raum, in dem die Pole der Handlungsperspektive umschlagen: Zukunft ist Präsenz und Ausgangspunkt der Transaktion, Gegenwart verschmilzt zum Nicht-Ort politischer Handlungsfähigkeit, indem ihre Registrierung der derivativen Evaluation (Verwertung) durch Preise vorbehalten ist, die im Moment ihrer Entstehung bereits historisch, d.h. impotent, sind. Diese Entwicklung wird anhand eines Beispiels aus den Finanzmärkten konkretisiert und einer kritischen Analyse unterworfen.

Theoretischer Hintergrund: ZUR FRAGESTELLUNG „POSTANTHROPOLOGISCHE KONDITION“


Von Axel Stockburger auf Basis von Diskussionen der Technopolitics Arbeitsgruppe

Der Begriff der postanthropologischen Kondition ist für uns von besonderer Bedeutung, weil er uns erlaubt, einen adäquaten und gemeinsamen Forschungsansatz für die oft fragmentiert und zusammenhanglos erscheinenden Schlüsselmomente und Konfliktorte des gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbruchs zu entwickeln. Dieser Begriff ermöglicht uns, eine kritische Distanzierung zu Diskursen über den Post- oder auch Transhumanismus einzunehmen. Anders als diese lenken wir den Blick weniger auf die philosophische Auseinandersetzung mit den Traditionen des Humanismus, und auch nicht auf die technowissenschaftliche Hybridisierung des menschlichen Körpers.

Das Moment des Anthropologischen wird von uns gerade deshalb ins Zentrum gerückt, weil spezifische Transformationen in der Informationstechnologie auch neue Episteme mitproduziert haben, die nicht nur den Zugang zum Wissen über das “Menschliche” mit verändert haben, sondern auch weil es erlaubt einen breiteren Rahmen von Praktiken von der Politik über die Ökonomie bis hin zur Kunst zu eröffnen. Dabei geht es uns ganz explizit nicht darum, innerhalb der Disziplin der Anthropologie zu operieren sondern die zunehmend prekärer werdenden Handlungssphären und Entscheidungsspielräume der Subjekte in gegenwärtigen biopolitisch-kybernetischen Regimes, anhand konkreter Situationen mit den Mitteln der Kunst und der Wissenschaft zu erforschen.

Im Sinne dieses Interesses am Konkreten schließt unser Verständnis der postanthropologischen Kondition zum Teil an die Überlegungen der von Manuel de Landa1 und Rosi Braidotti2 in den 1990er Jahren skizzierten “New Materialism” an. New Materialism postulierte, dass Bewusstsein immer eine materielle Dimension habe (Bewusstsein als Idee des Körpers), dass Materie immer auch in die Dimension des Denkens reiche (Das Denken hat den Körper als sein Objekt) und vor allem, dass Natur und Kultur nicht scharf voneinander getrennt existieren können, so dass wir mit Donna Haraway immer von “nature cultures”3 sprechen müssen. Viele der klassischen Dichotomien lassen sich innerhalb dieses Ansatzes überwinden, um sich verstärkt auf die wesentlichen Fragestellungen nach einer angemessenen Ethik und Politik im Angesicht der techno-wissenschaftlichen Umwälzungen konzentrieren zu können.

Auch in der Arbeit Bruno Latours4 taucht die Frage nach den Verbindungen und Vermischungen, menschlicher und nicht-menschlicher Akteure jenseits klassischer Kategorienbildung auf. Dabei ist es für die Technopolitics Arbeitsgruppe von zentraler Bedeutung die Theoriebildung im Feld feministischer, posthumanistischer und transspiezistischer Zugänge wie sie etwa von Haraway oder Butler vorgestellt wurden, im Hinblick auf ihre emanzipatorische und kapitalismuskritische Dimension zu überprüfen. Hier geht es vor allem darum die dezentrierende und anti-essentialistische Stoßrichtung dieses Denkens aufzunehmen ohne sich jenen Differenzierungs- und Subjektivierungslogiken zu ergeben, die sich bereits als perfekter Motor für neoliberale Konsumgesellschaften gezeigt haben. Vor diesem Hintergrund erscheint uns die Untersuchung der “algorithmischen Einhegung” vielfältigster menschlicher Praktiken, von der Ökonomie (Automated Trading), über Biopolitik (Personal Biofeedback) bis zu Politik (Simulationsszenarien) und Wissensproduktion (Search Algorithms und Big Data) als zentraler Konfliktort der postanthropologischen Kondition, dessen Geschichte, Funktionen, Bedingungen und Möglichkeiten wir besser verstehen wollen.

  • 1. De Landa, (2006) M. A New Philosophy of Society: Assemblage Theory and Social Complexity. Continuum, London.
  • 2. Braidotti, R. (2013) The Posthuman, Polity, Oxford
  • 3. Butler, J. (2004) The Companion Species Manifesto, Prickly Paradigm Press, Chicago.
  • 4. Latour, B. (2009) Das Parlament der Dinge, für eine politische Ökologie, Suhrkamp, Frankfurt a. M.